Thriller aus Halle Thriller aus Halle: Die Früchte des Zorns
halle saale/MZ - Nur Pferd und Kuh schauen zu, als der Mann weit vor dem Morgengrauen vom Brückengeländer springt. Ehe er unten aufs Wasser schlägt, knallt ein Schuss. Dann wird es wieder still, totenstill, im Reich von Stephan Ludwig, Deutschlands derzeit erfolgreichstem Serienmörder. Eben hat der 47-jährige Thrillerautor aus Halle den Lesern des dritten Bandes seiner „Zorn“-Reihe das erste Opfer präsentiert: Ein Selbstmörder, der von einer Brücke springt. Und sich auf dem Weg nach unten sicherheitshalber noch erschießt.
Es ist vielleicht auch dieser feine Humor auf Kosten des Genres, das immer nach noch mehr Blut und noch ausgefalleneren Morden giert, das die Bücher des Hallensers zu Bestsellern gemacht hat. Zur Überraschung auch des Autors selbst, der hauptberuflich ein Tonstudio betreibt und nur gelegentlich als Co-Autor des Comedian Olaf Schubert zur Feder griff.
Geheimtipp wird zum Kassenknüller
Noch vor zwei Jahren hatte Ludwig nicht nur noch nie ein Buch geschrieben, sondern auch keineswegs die Absicht, damit anzufangen. „Aber dann saß ich irgendwann im Auto und hatte diese Idee einer richtig heftigen Anfangsszene für einen Krimi“, erzählt er. Ohne weitergehende Absichten setzt er sich hin und tippt 15 Seiten in den Computer. Und als er sie ein paar Tage später zur eigenen Verwunderung immer noch gut findet, schickt er sie an eine Literatur-Agentin, die er bereits aus seiner Zusammenarbeit mit Olaf Schubert kennt.
Der Rest ist deutsche Krimigeschichte. Bevor Ludwigs Kommissar noch einen Namen hat, hat der Soundbastler aus Halle einen Vertrag über drei Bücher in der Tasche. Der Name findet sich dann wie von selbst: Auf dem Nachhauseweg aus der Kneipe sieht Ludwig, den seine Freunde nur „Lui“ nennen, eine Wand, auf der groß das Wort „Zorn“ steht. „Ich dachte sofort, Zorn, das ist echt gut.“
Das finden Ludwigs Leser offenbar auch. Der erste Teil der Trilogie, „Tod und Regen“ genannt, avanciert vom Geheimtipp zum Kassenknüller. Ludwigs Vorhaben, „bloß keinen Polizeiruf-Krimi“ mit verschnarchten Ermittlerfiguren und provinzieller Schwachstromspannung zu produzieren, war gelungen. Wenn es hier kracht, kracht es richtig. Schließlich, so haben die Verlagsfachleute definiert, sei die „Zorn“-Serie keine leichte Krimikost, sondern harte Thrillerware, wie sie Jeffery Deaver oder Arne Dahl schreiben. Auch die Ermittler sind das Gegenteil der oft eindimensionalen deutschen Fernsehfiguren: Hauptheld Claudius Zorn ist ein fauler, lebensunsicherer Einzelgänger, sein Kollege Schröder ein dickes, schlaues, aber auch überkorrektes Arbeitstier, das zunächst ohne erkennbares Privatleben auskommen muss.
Eine typische Kleinstadt, die sich größer wähnt als sie ist, gibt den namenlosen Schauplatz für die bisher drei Fälle ab, die das Kriminalistenduo Zorn/Schröder seit April vergangenen Jahres gelöst hat. In allen drei Büchern mit den Titeln „Tod und Regen“, „Vom Lieben und Sterben“ und schließlich „Wo kein Licht“ geht es hart zur Sache.
Stephan Ludwig, gelernter Theatertechniker und einst Mitbegründer des halleschen Szeneclubs Objekt 5, schreibt keine Heimatkrimis. Er liefert vielmehr rasante Thriller, die im Stil US-amerikanischer Vorbilder unvorstellbare Untaten an Schauplätzen schildern, die für Kenner Mitteldeutschlands durchaus identifizierbar sind. Das Ganze würzt der Autor außerdem mit subtilem Humor.
In Band eins der Thriller-Folge verschlingt der Fluss nach einer unterirdischen Sprengung gleich mal einen Teil der Stadt. In Band zwei wird eine Einbruchsserie in Kleingärten zum Auslöser eines Riesenfalles. In Band drei entpuppt sich einer der eingeführten Helden aus den ersten Auftritten von Ludwigs buntem Bühnenpersonal als hintertriebener Schurke - aber verlassen können sich die Leser darauf natürlich bis zur letzten Seite nicht.
Stephan Ludwig stellt „Zorn - Wo kein Licht“ am Donnerstag, 29. August, ab 20 Uhr, bei einer Lesung im Objekt 5 in Halle vor.
Zwei erfolgreich gelöste Fälle später ändert Stephan Ludwig das langsam. In „Wo kein Licht“, dem gerade erschienenen neuen Band um das seltsame Polizisten-Duo, gewinnen die Protagonisten an Tiefe und Schärfe, während um sie herum einmal mehr Mord und Totschlag herrschen. Ludwig, bekennender Fan des US-Großmeisters Stephen King, lässt diesmal Menschen verschwinden, mitten in einer Stadt, die keinen Namen hat, für aufmerksame Leser aber viele Ähnlichkeiten mit Halle zeigt.
In einer Ruine mitten in einem Wohngebiet hält der rachsüchtige Täter seine Opfer versteckt - die Beschreibung des Ortes führt zumindest ältere Hallenser sofort auf die richtige Spur. Das Solbad Wittekind steht seit 20 Jahren leer, ein Schauplatz, wie ihn sich der Autor nicht besser hätte ausdenken können. „Für mich ist es einfacher so“, beschreibt Stephan Ludwig, der Halle nie explizit nennt, seine Kulissen aber von Anfang an aus dem Fundus der Saalestadt borgt. „Wer erfundene Schauplätze nimmt, muss immer achtgeben, dass sie auch zusammenpassen.“
Normalerweise bleibt Ludwig selbst in seinen Büchern außen vor, kategorisch bestreitet er sogar jedwede Ähnlichkeit mit seinem Hauptkommissar - abgesehen davon, dass beide gern rauchen. Hier aber gibt es mal eine Ausnahme, wie er gesteht: „Wie Zorn war ich als Kind in dem Bad, als es noch in Betrieb war - und wie Zorn bin ich vorm Schreiben noch mal hin, um mir alles anzuschauen.“
Todsichere Mischung
Stephan Ludwig fand den stumpfen Glanz allmählichen Verfalls, letzte Zeichen einer großen Vergangenheit, alten Staub und verblassende Schriftzeichen. Kein Licht, nirgends. Hier passt alles, Orte, Spannung, Action und Humor ergeben eine todsichere Mischung, die aus dem Hobbyliteraten Ludwig einen Thriller-Star gemacht haben: Rund 70 000 Exemplare wurden allein vom ersten Teil abgesetzt. Kaum verwunderlich, dass sich der MDR recht schnell die Filmrechte an den „Zorn“-Büchern gesichert hat. Gemeinsam mit Regisseur Mark Schlichter, der schon mehrere „Tatort“- und „Schimanski“-Folgen verantwortete, hat Ludwig bereits das Drehbuch für den ersten Teil fertig, der im kommenden Jahr in der ARD ausgestrahlt wird.
„Das werden keine typischen Tatort-Filme“
Stephan Ludwig, der gerade Vater eines kleinen Jungen geworden ist, erntet die Früchte des Zorns. Der überraschende Erfolg hat einiges in seinem Leben geändert, obwohl das eigentlich längst fertig verabredet und gut ausgefüllt war. Die ersten beiden Bände hat er noch neben seiner eigentlichen Arbeit im Studio geschrieben, zwei Stunden am Tag, „recht diszipliniert“, wie Ludwig findet. Morgens zunächst eine Runde am Schreibtisch und abends noch eine, anfangs noch so unsicher, „dass ich dem Lektor fast jede Seite einzeln zugeschickt habe, damit er mir sagt, ob ich auf dem richtigen Weg bin.“
Mit der Zeit aber wuchs das Vertrauen, sich auf das Bauchgefühl zu verlassen, das vom ersten Moment an da war. „Dialoge und die Perspektivwechsel, das kommt alles von allein.“ Heute sagt Ludwig nicht mehr, dass er eigentlich nur nebenbei schreibe und sich überhaupt nicht als Schriftsteller fühle. Es sei schon so, dass das Schreiben den größten Teil der Zeit tagsüber fülle, die der kleine Michel nicht in Anspruch nehme. „Im Studio mache ich im Grunde nur noch, was mir Spaß macht“, sagt Stephan Ludwig und meint damit das Basteln am Soundtrack zu den „Zorn“-Hörbüchern oder an dem für die anstehenden Verfilmungen.
Für die hat der MDR ihm und Regisseur Schlichter alle Freiheiten gegeben. Freiheiten, die sie nutzen wollen. „Das werden keine typischen Tatort-Filme“, verspricht Stephan Ludwig, der parallel zur Drehbucharbeit bereits an Band 4 der „Zorn“-Reihe schreibt. Dass dieses Buch, das noch keinen Namen hat, das letzte werde, glaubt er nicht. „Es ist komisch“, sagt der 47-jährige Schriftsteller. „Aber je länger es geht, desto mehr fällt mir ein.“