Sprungski aus dem Thüringer Wald Sprungski aus dem Thüringer Wald: Elegant abgehoben zu Olympia
floh-Seligenthal/MZ - Die österreichische Kronen-Zeitung nennt ihn den „Adler-Kometen“. Thomas Diethart ist der Senkrechtstarter in der internationalen Ski-Szene. Mit Sprüngen auf 138,5 und 140 Meter und perfekter Landung in Bischofshofen sicherte sich der erst 21-Jährige den Sieg bei der diesjährigen Vierschanzentournee. Es war sein bisher größter sportlicher Erfolg. Doch nicht nur für ihn. Auch die Ski seines Ausrüsters, Fluege.de, standen erstmals auf dem obersten Podest. Ein kleiner Thüringer Ski-Hersteller zusammen mit einem Leipziger Online-Reiseportal lassen die großen Wintersport-Ausrüster hinter sich.
Ski gefertigt im Thüringer Wald
Gefertigt wurden Dietharts Bretter in dem Bergdorf Floh-Seligenthal im Thüringer Wald. In der Fabrikhalle riecht es nach Holz und Leim. Auf Tischen stapeln sich die leichten und dennoch stabilen Abachi-Hölzer. An unbearbeiteten Ski hängen Karteikarten mit Namen von Springern, deren Körpermaße und technischen Details wie Länge und Krümmung der Spitze. „Alle Sprungski sind Einzelanfertigungen“, sagt Geschäftsführer Georg Reichart. Ähnlich wie in der Formel 1 betreibt der 68-Jährige eine Art Rennstall - nur für Skispringer.
2001 kaufte der Bayer, der früher einen Hersteller für Skibindungen leitete, in Floh-Seligenthal Maschinen der insolventen Germina. Das Unternehmen war einst der größte Ski-Hersteller der DDR. In Thüringen wurden jährlich bis zu 500 000 Langlaufski hergestellt. Mehrfach ging Germina nach 1990 insolvent. Heute erinnert nur noch ein hoher Schornstein auf dem ehemaligen Werksgelände an die Massenproduktion.
Leipziger Unternehmen springt als Sponsor ein
„Die Idee einen deutschen Sprungski-Hersteller aufzubauen, stammte vom Deutschen Skiverband“, erklärt Reichart. Doch mit der Mini-Produktion lässt sich kein Geld verdienen. Die Athleten werden in der Regel von den Herstellern kostenlos ausgerüstet.
Also machte sich Reichart auf die Suche nach Sponsoren. Er klopfte unter anderem bei Audi und der Lufthansa an. Doch diese winkten ab. Über den früheren Weltklasse-Springer Dieter Thoma entstand der Kontakt zum Leipziger Internet-Unternehmen Unister. Dessen Gründer und Mehrheitsgesellschafter Thomas Wagner fand gefallen an der Idee, für sein Online-Reiseportal Fluege.de beim Skispringen zu werben. Allerdings dürfen nach den Statuten des Internationalen Skiverbandes FIS nur die Hersteller selbst auf den Ski mit ihrem Namen präsent sein.
Unister und Reichart nutzten eine Hintertür in den Regeln und gründeten 2010 kurzerhand die Fluege.de Sprungski-Produktions GmbH. Nach MZ-Informationen lassen sich die Leipziger das Engagement jährlich etwa 700.000 Euro kosten. Skispringen ist für das Online-Portal offenbar eine wunderbare Werbeplattform. Denn jede große Veranstaltung wird im TV übertragen. Im Wintersport rangiert Springen in der Zuschauergunst gleich hinter Biathlon. Nach Worten von Unister-Sprecher Konstantin Korosides geht es der Internet-Firma auch um die langfristige Etablierung des Ski-Herstellers. „Unser Anliegen ist es, eine beliebte Wintersportart zu fördern.“
Die neue Allianz sorgte für Aufregung: Der österreichische Ski-Hersteller Fischer drohte nach dem Einstieg des branchenfremden Neulings zunächst mit dem Ausstieg aus dem Sprungsport. 2010 rüstete Fischer mehr als 90 Prozent der Athleten aus. Auch heute gibt es neben Fischer und Fluege.de nur noch den slowenischen Hersteller Elan im Sprung-Zirkus.
Martin Schmitt fliegt mit den Sprungski aus Thüringen
Viele Sportler begrüßten die Alternative. Den Thüringern gelang es, Stars wie Martin Schmitt an sich zu binden. Dazu engagierten sie die „Herren der Bretter“ - wie Peter Lange. Der Skisprung-Experte gab bereits in der DDR den Ski für Olympiasieger Jens Weißflog den letzten Schliff und präparierte die Bretter für Olympiasieger Sven Hannawald. Vom französischen Hersteller Rossignol kam Technik-Chef Pierre Heinrich. Von Schanze zu Schanze begleiten sie ihre Top-Athleten. Nach ihren Vorgaben fertigen zehn Mitarbeiter in Floh-Seligenthal die Ski. „Dies ist eine Wissenschaft“, sagt Reichart. Ski und Springer ähneln einer Tragfläche beim Flugzeug. Der Luftstrom geht an der Unterseite der Ski glatt vorbei, der Oberkörper des Springers ist in einer gewölbten Haltung. Durch den entstehenden Sog entsteht Auftrieb. Ansonsten würden die Springer wie eine Kugel vom Himmel fallen.
Wellinger und Wank werden ausgerüstet
In der Thüringer Werkstatt werden laut Produktionsmitarbeiter Udo Wunsch etwa 2.000 Ski im Jahr in Handarbeit gefertigt. Länge, Breite und Gewicht würden durch die Körpermaße der Athleten vorgegeben. Die Ski bestünden aus 30 Materialien - darunter Holz, Karbon und Fiberglas. Wunsch zeigt auf eine Presse: „Dort werden die verschiedenen Lagen wie bei einem Sandwich gebacken.“ Im Team, das vor allem aus ausgebildeten Handwerkern besteht, beherrsche jeder jeden Handgriff. Je nach Sprungstil des Sportlers würden die Ski angefertigt. „Es gibt kein Patentrezept“, sagt Reichart. Vier bis zehn Ski benötige ein Athlet pro Saison. Kurz vor Olympia im russischen Sotschi haben die Thüringer viel zu tun. Neben Diethart werden etwa die deutschen Spring-Asse Andreas Wellinger und Andreas Wank sowie die US-Skisprungweltmeisterin Sarah Hendrickson ausgerüstet. Sie werden mit den blauen Brettern abheben. Nur Fluege.de werden die Fernsehzuschauer zum Bedauern der Leipziger nicht auf diesen lesen können. Denn bei den Spielen dürfen nur Olympia-Sponsoren und reine Sportartikel-Firmen werben.