Schloss Neuenburg Schloss Neuenburg: Ehrung für die Burgen-Retterin

Freyburg - Ihr „erstes Mal“ war an einem grauen, verschneiten Tag im Winter 1989/90. Was sie sah, als sie auf die Neuenburg bei Freyburg (Burgenlandkreis) durfte, „hat mich komplett erschüttert“, erinnert sich Kristine Glatzel. Stacheldraht, vernagelte Fenster, Stroh, das aus der Decke hing, ein akut einsturzgefährdetes Westtor. In der Doppelkapelle stand auf einem Gerüst ein Eimer mit eingetrockneter Farbe - von den letzten Arbeiten im Jahr 1972. Fast 20 Jahre war die Burg für die Öffentlichkeit nicht zugänglich, fast zwei Jahrzehnte Verwahrlosung und Verfall ausgesetzt. Doch trotzdem, so Glatzel, strahlte diese graue Diva Würde aus. Heute lächelt die inzwischen 76-Jährige, wenn sie sagt: „Da klappte über mir die Falle zu. Ich bin diesem Gebäude verfallen.“
Fünf Jahre später war Kristine Glatzel diejenige, die den erstmals verliehenen Romanikpreis des Landes erhielt - dieses Wochenende wird er zum 20. Mal vergeben. Ihr ist klar gewesen, dass ganzer Einsatz nötig ist, „damit dieses wunderbare Bauwerk in phantastischer Lage über dem Unstruttal wieder eine Zukunft hat.“ Sie sei gewarnt worden, erinnert sich die Frau, die 1990 Direktorin der Neuenburg wurde.
Der Verfall sei zu weit fortgeschritten, sie könne sich nur übernehmen. Glatzel focht das nie an. „Es war auch alles andere als eine Ein-Mann-Show“, sagt sie. Die Freyburger selbst seien es gewesen, die „ihre“ Burg wollten. Vor allem aus dem 1990 gegründeten Verein zur Rettung und Erhaltung der Neuenburg setzte sich ein engagiertes Team zusammen - geführt von einer Frau, die ihre Leidenschaft für Burgen schon in der Kindheit verankert sieht.
Faszination seit der Kindheit
Glatzel ist im thüringischen Schwarzburg aufgewachsen, am Fuße der gleichnamigen Burg. Auf dem Dachboden des elterlichen Wohnhauses hat sie Jugendbücher ihres Vaters wie „Der Burggraf und sein Schildknappe“ gelesen. Sie hat sich in die zerstörte Schwarzburg geschlichen und ausgemalt, welche Menschen dort gelebt haben mögen. „Burgen beflügeln die Fantasie.“
Ihr späteres Leben hatte Brüche, nach einem Chemiestudium arbeitete Glatzel als Lehrerin, bevor sie Kunstgeschichte studierte und Chefin der Burg Querfurt wurde. 1984 machte sie sich selbstständig. Doch immer, wenn sie durchs Unstruttal an der Neuenburg entlang fuhr, wusste sie: Wenn du nochmal eine Burg leitest, dann die.
Es wurde die erwartete Mammutaufgabe. In dem Trümmerhaufen lagerte ein riesiger Fundus an Möbeln, Gobelins, Textilien, Büchern, Porzellan und Glas, der über Jahre inventarisiert werden musste. Der Bauzustand war katastrophal. „Es war aber auch eine abenteuerliche Zeit“, sagt Glatzel. Sie erinnert sich an eine Firmenfeier in den einzig intakten Tonnengewölben - und an die folgende 100.000-D-Mark-Spende. Oder an zwei Millionen Mark aus der öffentlichen Hand, die plötzlich innerhalb von sechs Wochen ausgegeben sein mussten.
Damals hat ihr Team Baumärkte leer gekauft, sich mit Gerüsten, Material und Ausrüstung für eine Werkstatt versorgt. Dann gab es Fördermittel für die Entwässerung des Burghofs - kurz zuvor war der Wirtschaftsminister noch in strömendem Regen durch eine Schlammwüste gewatet.
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Die erste Ausstellung fand 1992 noch in Kellerräumen statt. Im gleichen Jahr öffnete die Doppelkapelle für Führungen. Schritt für Schritt wurde ein Gebäude nach dem anderen in Angriff genommen. Besucher kamen in Strömen. „Sie glauben nicht, wie interessiert Menschen daran sind, etwas im Entstehen zu begleiten“, sagt die 76-Jährige. Zweifel habe sie nie gehabt. Dennoch erinnert sich Glatzel an einen Moment 1993: Auf dem Burghof leuchteten Fackeln, es gab Musik, Feuerwerk, fröhliche Menschen: „Da wusste ich: Wir schaffen es, das wird richtig groß.“
Bis zu ihrem Ruhestand im Jahr 2003 sind laut Glatzel zwölf Millionen Euro an Fördergeldern und Spenden in die Sanierung von Schloss Neuenburg investiert worden. Heute setzen andere ihren Traum von etwas richtig Großem fort. Zum Beispiel der jetzige Direktor Jörg Peukert, der 1990 schon als Student dabei war.
Die Philosophie, immer neue Teile zu erschließen und zu sanieren, wurde beibehalten, sagt er. Die 1996 geschaffene Kinderkemenate wurde erweitert - allein in ihr werden heute rund 5.000 Kinder jährlich auf spielerische Weise mit der Burg vertraut gemacht wird. Der Anbau am Fürstensaal, zwischen 2008 und 2010 saniert, enthält inzwischen eine sehenswerte Taschenuhren-Ausstellung. Im einsturzgefährdeten Stallgebäude der Vorburg befindet sich seit 2013 eine Edelbrennerei, in der einstigen Scheune wurden 2014 die Arbeiten beendet - sie steht für kulturelle Nutzung oder Direktverbraucher-Märkte bereit.
„Eine solche Kontinuität ist keine Selbstverständlichkeit“, sagt Peukert. Heute sind weite Teile der Burg wieder nutzbar - enthalten Museen, Dauer- und Sonderausstellungen, Gastronomie. Doch die Arbeit hört nicht auf. Da sind noch ein Silo, ein langes Scheunengebäude bis zum Rundturm „Dicker Wilhelm“ oder das Kammertor, an dem das Burggelände eigentlich beginnt. Aus den verfallenen Pächterwohnhäusern könnten weitere Beherbergungsstätten werden - zwei Ferienwohnungen existieren bereits.
65.000 Besucher jährlich
Peukert hat Visionen. Eine ist, bis zu seinem Ruhestand - er ist 47 Jahre alt - mit der Burgsanierung einmal rum zu sein. Die andere: die Region als Kurzurlaubsgebiet zu etablieren. Heute besuchen die Neuenburg rund 65.000 Menschen jährlich - eine Zahl, die sich laut Peukert sehen lassen kann. Es waren schon mehr, allerdings habe die Region heute auch mehr Highlights als in den 90ern. Tagestourismus sei nicht beliebig steigerbar, „aber jetzt lohnt es, drei Tage herzukommen.“ Hoffnung setzt Peukert auch in die Bewerbung der Region zum Weltkulturerbe.
Kristine Glatzel lebt inzwischen wieder in Thüringen. Und lacht, wenn sie sagt: „Ich bin Wiederholungstäterin.“ Da ist die Schwarzburg, im Krieg von den Nazis zerstört. Zu DDR-Zeiten wurde nur der Kaisersaal saniert. Heute stehen Gerüste am baufälligen Hauptgebäude, ins Zeughaus soll die Waffenausstellung einziehen, das Torhaus aufgebaut werden. Immer dabei: Kristine Glatzel, Vorsitzende des Fördervereins Schwarzburg. „Diese großen Kästen sind der Reichtum meines Lebens“, sagt sie. (mz)
