Am Jahrestag des Attentats Steinmeier beim Gedenken an den Anschlag von Halle: „Die Spur der Gewalt endet nicht“
Am Jahrestag des Synagogen-Attentats in Halle schlägt Bundespräsident Steinmeier nachdenkliche Töne an. Seit einem Jahr erlebe er „einen ungezügelten Judenhass“, sagt das Staatsoberhaupt in der Gedenkstunde in der Ulrichskirche.
Halle/MZ - Rund um die Ulrichskirche patrouillieren an diesem Mittwochabend Dutzende Polizisten in schwarzen Uniformen. Mit schweren Absperrgittern und Mannschaftswagen wird die Kirche in Halles Innenstadt zur Hochsicherheitszone. Im Inneren tritt jetzt Frank-Walter Steinmeier ans Mikrofon. Vor 300 Gästen erinnert sich der Bundespräsident an einen Moment des Schmerzes.
Vor fünf Jahren, am Tag nach dem Anschlag auf die hallesche Synagoge, habe ein junger Mann Steinmeier in Halle entgegengerufen: „Ihr könnt uns nicht schützen!“ Bis heute erinnere sich Steinmeier an die Stimme dieses Mannes. „Seine Wut, seine Verzweiflung, die müssen wir als dauerhafte Mahnung begreifen und sehr ernstnehmen“, sagt das Staatsoberhaupt jetzt.
Steinmeier trifft den richtigen Ton beim Gedenken in Halle
In der Ulrichskirche findet an diesem Abend das Gedenken an den Terroranschlag von Halle statt. Vor fünf Jahren versuchte ein damals 27-jähriger Neonazi, die vollbesetzte Synagoge mit Granaten und Schusswaffen zu stürmen. Als er an der gesicherten Tür scheiterte, erschoss er auf der Flucht zwei Menschen im Stadtgebiet und verwundete weitere Personen schwer.
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Steinmeier weiß um die Narben, die dieser Tag bis heute in Halle hinterlassen hat – und nicht nur dort. Bewusst spricht er vom „Anschlag von Halle und Wiedersdorf“. In dem Ort im Saalekreis hatte der fliehende Attentäter zwei Menschen mit Schüssen verletzt und ein Fluchtfahrzeug gestohlen. Die Verletzten hätten „nur deshalb überlebt, weil die Waffen des Täters versagten, als er direkt auf ihr Gesicht zielte“, sagt Steinmeier.
Bundespräsident sieht Kampf gegen den Terror „täglich schwieriger“
Auch die rund 50 Juden in der angegriffenen Synagoge überlebten damals nur durch Glück. Steinmeier versichert: Die Bundesrepublik tue alles dafür, damit Taten wie diese nie wieder geschehen. Die Sicherheitsbehörden stellten sich „der täglichen Aufgabe, antisemitischen und extremistischen Terror zu bekämpfen und zu verhindern“. Und: „Sie tun das mit viel Personal und inzwischen auch mit moderneren Instrumenten.“
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Der Staat habe auf die Gefahr der Gewalt mit mehr Schutz reagiert, sagt Steinmeier. Allein in Sachsen-Anhalt flossen seit dem Terroranschlag in Halle mehr als zehn Millionen Euro für neue Sicherheitsmaßnahmen in jüdischen Einrichtungen. „Die Wahrheit ist aber auch, dass es nahezu täglich schwieriger wird, den Kampf gegen den Terror zu führen“, räumt Steinmeier bei dieser Gedenkstunde ein. „Denn die Hemmschwelle für Hass und Gewalt sinkt.“
Steinmeier beim Gedenken in Halle: „Die Spur der Gewalt endet nicht“
Der Bundespräsident sagt jetzt: „Die Spur der Gewalt endet nicht.“ Sie ziehe sich nicht nur nach Halle, sondern bis Mannheim und Solingen. In den beiden westdeutschen Städten wurden in den vergangenen Monaten mutmaßlich islamistisch-motivierte Anschläge verübt. „Die konkrete Gefahr reicht bis in den Alltag vieler Menschen“, so Steinmeier. „Es ist bitterer Alltag, dass jüdische Synagogen, dass jüdische Kindergärten und Schulen in Deutschland vor Angriffen geschützt weden müssen.“ Seit dem Terrorangriff der radikal-islamischen Hamas auf Israel vor einem Jahr „scheint sich hier und auch in vielen anderen Ländern geradezu ein Ventil für einen ungezügelten Judenhass geöffnet zu haben“.
Ein Überlebender erinnert sich an Anschlag von Halle: Stärker als der Attentäter
Als eine der Ursache für die Radikalisierung sieht der Bundespräsident soziale Netzwerke im Internet, auf denen erfundene Verschwörungsmythen verbreitet und gefeiert würden. Steinmeier nennt die Netzwerke „Hass-Tankstellen“, er nennt die Plattformen Tiktok, X und Telegram namentlich. Aber: „Wir sind nicht machtlos“, sagt Steinmeier. „Es ist Zeit, zu widersprechen“, redet er den Zuhörern in Halle ins Gewissen. Auch diese Gedenkveranstaltung – fünf Jahre nach dem Anschlag auf die hallesche Synagoge – sei ein wichtiges Zeichen, so Steinmeier. Der Täter habe jüdisches Leben auslöschen und die Gesellschaft spalten wollen. „Beides hat er nicht erreicht.“
So sagt es auch Bürgermeister Egbert Geier (SPD). „Die Menschen in Halle haben aber nicht zugelassen, dass Hass und Gewalt uns spalten.“ Das bestätigt an diesem Abend auch einer, für den das Gedenken in der Ulrichskirche besonders schmerzhaft ist. Karsten Lissau, der seinen 20-jährigen Sohn Kevin bei dem Anschlag verlor, bedankt sich für die Unterstützung, die er danach von vielen Seiten erhalten habe. „Ihr habt mir gezeigt, dass ich nicht alleine bin.“