Bildung Abitur in Sachsen-Anhalt: Kommt nach dem Abi-Urteil die Klagewelle?
Magdeburg - In Sachsen-Anhalt könnte es in Zukunft zu Schadenersatzklagen wegen nicht bestandener mündlicher Abitur-Prüfungen kommen. Nach dem jüngsten Urteil über die Unzulässigkeit der Null-Punkte-Regelung in den Abiturvorschriften des Landes hält der Hallenser Schulrechtsexperte Thomas Herz das für „grundsätzlich nicht abwegig“.
Wie der Rechtsanwalt der MZ sagte, besteht für Betroffene damit nun die Möglichkeit, auf der Grundlage des Urteils zu klagen.
Wer in der Vergangenheit durchs Abitur fiel, weil er in der regulären mündlichen Prüfung null Punkte kassierte, kann laut Herz nun auf einen Ausgleich hoffen. „Betroffene können einen Antrag auf Rücknahme des Bescheids über das Nichtbestehen stellen“, sagt Herz.
Dann wird geprüft, was schwerer wiegt: Das Festhalten an der noch in der Oberstufenverordnung stehenden Vorschrift - oder die persönlichen Umstände des Abiturienten. „Ist ein Schüler etwa krank oder lebt in schwierigen Verhältnisse, dann ist das stärker zu berücksichtigen als die Vorschrift“, so der Rechtsexperte. „Dabei gilt, dass es sich in jedem Fall um eine Kann-Entscheidung handelt, nicht um eine Ist-Entscheidung“, so der Rechtsexperte.
Schneller Widerspruch nötig
Damit der Kläger tatsächlich Anspruch auf Schadenersatz hat, muss er innerhalb eines Monats nach dem Bescheid über das Nichtbestehen Widerspruch einlegen. Tut er das nicht, kann er höchstens eine Aufhebung des Bescheids erreichen. Dabei müsse jeder Fall einzeln beurteilt werden.
Wie viele Personen von dem Sachverhalt betroffen sind, ist unklar. Zwar fielen laut Bildungsministerium seit 2010 im Schnitt jährlich 217 Schüler durch das Abitur. Die genauen Gründe, warum diese keine Hochschulreife erhalten haben, werden aber nicht statistisch erfasst.
Hintergrund der aufgeworfenen Rechtsfragen ist ein Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg. Dieses hatte entschieden, dass die sogenannte Null-Punkte-Regelung unzulässig ist. Nach der Regel fällt ein Schüler automatisch durch das Abitur, sobald er in einer Prüfung null Punkte erreicht - selbst dann, wenn er im entsprechenden Fach sonst ausreichende Leistungen gezeigt hat.
Das Bildungsministerium hatte am Montag angekündigt, auf das Urteil zu reagieren und die Oberstufenverordnung anzupassen - kurz: Die Null-Punkte-Regelung soll fallen.
Ein Bernburger Schüler hatte 2013 in seiner mündlichen Abitur-Prüfung im Fach Religion null Punkte erhalten. Die Schule verweigerte ihm daraufhin den Abschluss. Zum Thema der Prüfung - einem bekannten Jesus-Zitat - habe er laut Prüfungsprotokoll „nur punktuelles Erfassen, unbeholfene Fachsprache, äußerst lückenhafte Kenntnisse, unklare Zusammenhänge“ gezeigt.
Zu dem selben Thema habe der damals 19-Jährige aber im Unterricht eine „sehr gute“ Leistung erzielt, weshalb die Beurteilung unmöglich sei. Er legte Widerspruch ein und klagte später gegen die Schule - mit Erfolg: Das Verwaltungsgericht erklärte die Null-Punkte-Regelung für „unverhältnismäßig und insoweit rechtswidrig und nichtig“.
Ein einmaliges Versagen in einer mündlichen Abiturprüfung sei „kein hinreichendes Indiz für fehlende Hochschulreife.“ (mz)