Regisseur Burhan Qurbani Regisseur Burhan Qurbani: "Wir sind wie Vögel"

Halle/MZ - „Wir sind wie Vögel“, hat sein Großvater immer gesagt, „Vögel ohne Beine“. Die nirgends landen können. Und deswegen nirgends wirklich zu Hause sind.
Dabei ist Burhan Qurbani doch Deutscher. Geboren in Erkelenz bei Köln, Gymnasium in Leinfelden-Echterdingen bei Stuttgart, Studium an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Seine Eltern aber stammen aus Afghanistan. 1979 fliehen seine Mutter und sein Vater vor dem Krieg in ihrer Heimat nach Deutschland. 1980 kommt dort ihr Sohn zur Welt. Burhan Qurbani - ein Flüchtlingskind. Ein Deutscher? Ein Afghane? Beides?
Vielleicht ist das der Grund, weshalb Burhan Qurbani Filme macht über Menschen, die auf der Suche sind nach ihrer Identität - wie in seinem ersten Spielfilm „Shahada“, der von drei Muslimen in Berlin erzählt. „In meiner Arbeit“, sagt Qurbani, „finde ich etwas, das mir Heimat vermittelt.“
Einer der ersten schönen Frühlingstage. Qurbani sitzt entspannt in einem Ausflugslokal am halleschen Saaleufer, kurz vor Beginn der Dreharbeiten zu seinem neuen, seinem zweiten Spielfilm in Halle. Der Arbeitstitel: „Wir sind jung, wir sind stark.“ Es geht um die ausländerfeindlichen Pogrome 1992 in Rostock-Lichtenhagen, die damit erstmals fiktional aufgearbeitet werden. In Halle wird gedreht, weil die Filmemacher nach einer Suche in ganz Ostdeutschland nur hier einen unsanierten Plattenbau fanden, der ihren Vorstellungen entspricht. Das Original in Rostock, das damals tagelang von Neonazis angegriffen worden war, ist mittlerweile saniert - und damit als Filmkulisse unbrauchbar.
Auch die Protagonisten in „Wir sind jung, wir sind stark“ suchen nach Heimat und Identität - jeder auf seine Art. Lien (Trang Le Hong), die junge Vietnamesin, die im Film im Lichtenhagener „Sonnenblumenhaus“ lebt, jenem Plattenbau, den der braune Mob am Abend des 24. August 1992 in Brand steckt. Martin (Devid Striesow), der Kommunalpolitiker, der vom Bürgerrechtler der Wende- zum Bürokraten der politischen Neuzeit geworden ist. Stefan (Joel Basman), der zu den Randalierern zählt. „Die Suche nach Identität“, sagt Qurbani, „das ist das, wo ich am stärksten andocken kann.“
Er ist elf Jahre alt, als er mit seinen Eltern vor dem Fernseher sitzt und mit ansieht, wie in Rostock-Lichtenhagen das echte „Sonnenblumenhaus“ brennt. Für die Familie ist es ein Schock, den Qurbani heute so beschreibt: „Man konnte die Augen davor nicht verschließen. Als jemandem, der nicht deutschstämmig ist, hat es einem den Boden unter den Füßen weggezogen.“ Es ist eine diffuse Angst. „Dieser Eindruck von damals“, sagt der Filmemacher, „ist geblieben. Aber dagegen wollen wir jetzt antreten.“
Qurbani sagt, es gehe ihm nicht um Denunziation der Täter von damals, sondern um Aufklärung. „Vielleicht bin ich naiv, aber ich glaube, ein Film muss aufklärerisch sein.“ Wenn man heute Jugendliche nach den ausländerfeindlichen Anschlägen von Rostock, Mölln oder Solingen frage, wisse niemand mehr darüber Bescheid. „Das kann doch nicht sein“, findet Qurbani. Drei Jahre lang hat er an seinen Figuren gearbeitet, ein Jahr lang hat er mit seinem Team die Ereignisse von damals recherchiert.
„Wir haben versucht, alles aufzusaugen an Material, was da ist.“ Qurbani, der zuammen mit Martin Behnke auch das Drehbuch geschrieben hat, hat mit Polizisten, Politikern und auch Einwohnern von Rostock-Lichtenhagen gesprochen. Er ist auf Menschen gestoßen, bei denen er ein, so sagt er es, „großes Redebedürfnis“ gespürt hat, und auf solche, die nichts mehr wissen wollten von damals. „Am Ende“, sagt er, „hatten wir einen gordischen Knoten.“ Einen Wust an Informationen über Behördenversagen, Bürgerfrust, braunen Mob und Beifall klatschende Anwohner. „Wir haben nichts mehr verstanden. Aber was man nicht versteht, das muss man einfach erzählen.“
Also erzählt Burhan Qurbani. Und will mit seinem Film auch, wie er es nennt, „denen ins Gesicht sehen, die das damals getan haben“. Die das „Sonnenblumenhaus“ in Brand gesteckt, die die Brandstifter angefeuert haben. Auch das seien Menschen, auf die man zugehen müsse, ohne dadurch ihre Taten zu rechtfertigen. Qurbani sagt das sehr überzeugt und sehr abgeklärt. Seine Eltern, erzählt er, wollten, dass er Arzt wird. „Auch dann wäre ich auf Menschen zugegangen. Nur eben anders.“
Deutschland wäre dann wohl „ein extrem talentierter Regisseur“ verloren gegangen, so lobt Burkhard Althoff vom ZDF/Kleines Fernsehspiel, das den Film gemeinsam mit Arte koproduziert. So aber bleibt Burhan Qurbani das Filmemachen - mit einem beachtlichen Erfolg. Mit seinem Erstling „Shahada“ wurde er vor drei Jahren gleich in den Wettbewerb der Berliner Filmfestspiele eingeladen und dort mit dem Preis der Gilde deutscher Filmkunsttheater ausgezeichnet - ein Ritterschlag für den Jungfilmer.
Sein Rostock-Film soll Ende nächsten Jahres in die Kinos kommen. Man kann sich fragen, warum er nicht schon im vergangenen Jahr, als die Pogrome sich zum 20. Mal jährten, fertig war. Es habe sich schnell herausgestellt, dass das wegen der extrem umfangreichen Recherchen nicht möglich gewesen wäre, sagt Qurbani. „Wir wollten nichts übers Knie brechen.“ Und man habe auch keinen „Event-Film zum 20.“ produzieren wollen. „Das wäre etwas zu frivol gewesen.“
Und wie ist das nun mit Ihrer eigenen Identität, Burhan Qurbani? Ja, sagt er, natürlich sei er noch auf der Suche. „Ich kenne niemanden, der das nicht tut. Ich bin ja erst 32.“ Man darf das auch als Ankündigung begreifen. Man wird noch viel sehen von Burhan Qurbani und dem, was ihn umtreibt.