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Interview mit Rainer Eppelmann Interview mit Rainer Eppelmann: "Die Jungs da oben sind Heuchler und Lügner"

Von Anett Indyka 06.05.2014, 07:22
Rainer Eppelmann, der ehemalige Bürgerrechtler, CDU-Politiker und Minister für Abrüstung und Verteidigung in der letzten DDR-Regierung ist Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.
Rainer Eppelmann, der ehemalige Bürgerrechtler, CDU-Politiker und Minister für Abrüstung und Verteidigung in der letzten DDR-Regierung ist Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. dpa Lizenz

Berlin/dpa - Wer im Mai 1989 in der DDR Wahlergebnisse überprüfen wollte, musste Mut haben. Der frühere Bürgerrechtler und heutige Vorsitzende der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Rainer Eppelmann, hat als Pfarrer im Berliner Stadtbezirk Friedrichshain die Auszählung der Kommunalwahl selbst verfolgt. Im Interview der Nachrichtenagentur dpa spricht er über enttäuschte Bürger, die abgehobene DDR-Führung - und über Angst.

Wie haben Sie die Auszählung der Kommunalwahl kontrolliert?

Rainer Eppelmann: Wir haben nicht mehr gemacht als die Zahlen aufzuschreiben, die die Wahlhelfer im Wahllokal vor unseren Augen und Ohren genannt haben. Das waren keine errechneten oder erdachten Fantasiezahlen, die wir zusammengeschrieben haben.

Was haben Sie gedacht, als Sie das Ergebnis gehört haben, dass DDR-Wahlleiter Egon Krenz am Ende verkündete?

Eppelmann: Wir haben uns bestätigt gefühlt. Wir sahen, die haben das gemacht, was sie offensichtlich all die Jahre auch schon gemacht haben: betrogen. Was müssen das für verrückte Menschen sein?

Wie wären die Wahlen ohne die Fälschungen ausgegangen?

Eppelmann: Unter den konkreten Bedingungen hätten bestimmt 60 bis 70 Prozent der DDR-Bürger den Zettel nur gefaltet und in die Urne geschmissen, schon um sich selber nicht in Gefahr zu bringen. Da wäre Angela Merkel - sie kam bei der vergangenen Bundestagswahl auf über 40 Prozent - 14 Tage vor Glück betrunken gewesen. Das reichte aber diesen Männern nicht, sie wollten 99,9 Prozent. Und hatten auch noch die Traute, das öffentlich zu erklären.

Wie erklären Sie sich die Manipulation durch die DDR-Oberen?

Eppelmann: Alle waren der Meinung, wir sind die Größten, wir sind die Besten, wir sind die Klügsten, wir sind wahrhaft die Avantgarde dieses Volkes. Und sie wagten das zu behaupten, obwohl es kaum einen DDR-Bürger gab, der nicht wusste, dass inzwischen Millionen von DDR-Bürgern abgehauen waren. Sie trauten sich trotzdem zu sagen, 100 Prozent liegen uns anbetend zu Füßen.

Wahlfälschung war auch in der DDR ein Straftatbestand...

Eppelmann: Sie wussten natürlich auch, dass das, was sie taten, nach dem Strafrecht der DDR verboten war. Es war kriminell und sie haben es trotzdem gemacht. Es war krankhaft, zu denken, alle müssten einer Meinung sein.

Waren die Wahlen der Anfang vom Ende der DDR?

Eppelmann: An einem gewissen Punkt, mir fallen da auch noch ein paar andere ein, ja. Das hat manchen ehrlichen Menschen wie eine Keule getroffen. Die haben gesagt, das ist so was von schlimm, das darf nicht sein. Ich bin vielen der SED nahestehenden oder auch SED-Mitgliedern begegnet, die fassungslos waren. Tief enttäuscht, dass ihre Partei, die sie so bewunderten, so etwas Fürchterliches macht. Die also im Grunde ihres Herzens anständige Menschen sein wollten und dann auf einmal feststellten, ihre Jungs da oben sind Heuchler und Lügner.

Bis dahin gab es eher einzelnen Widerstand?

Eppelmann: Es gab auch vorher schon „zartere Pflanzen“, zum Beispiel die Bausoldaten. An seinem roten Spaten auf dem Schulterstück war zu sehen, da ist einer, der sich an einer bestimmten Stelle geweigert hat, den Gehorsamkeitsriten der SED nachzugehen. Das hat anderen Mut gemacht. Das war etwas, was sich über Jahre entwickelt hat. In den 80er Jahren entstanden die Friedensbewegung, ökologische Kreise und Menschenrechtsgruppen. Oder der Widerstand von einzelnen, von Schriftstellern, Künstlern. Oder der Rauswurf von Wolf Biermann. Da war der Rubikon für viele überschritten.

Was bedeutete die Kommunalwahl für die Bürgerbewegung?

Eppelmann: Das war für uns ein Sieg. Und das führte dazu, dass noch mehr Leute sagten, das hat ja doch Sinn. (...) Dass Leute sich einfach das Recht auf Demonstrationen nahmen, obwohl sie es gar nicht hatten. Das alles lässt sich nicht erklären ohne kleine Erfolge. Dazu gehörte die Aufdeckung des Wahlbetruges.
Hatten Sie irgendwann einmal Angst?

Eppelmann: Na klar. Zum Glück wusste ich nicht, dass die in der Lage waren, mich umzubringen - und das auch versuchten. Für mich war es immer die Frage: Bist du bereit, wieder ins Gefängnis zu gehen oder nicht? In meiner Zeit als Bausoldat hatte ich erfahren, dass man daran nicht kaputtgehen muss, wenn man weiß, warum man drin ist. Wenn ich etwas gemacht habe, habe ich mich gefragt, bist du dafür bereit, wieder in den Knast zu gehen? Und wenn mir die Frage so wichtig war, dann habe ich das gemacht. Ich bin aber erfreulicherweise - bis auf drei Tage nach dem „Berliner Appell“ 1982 - nicht wieder ins Gefängnis gekommen.

Zur Person

Rainer Eppelmann war in der DDR Pfarrer der Samaritergemeinde in Berlin-Friedrichshain und 1982 Initiator des „Berliner Appells“ (Frieden schaffen ohne Waffen). Im Oktober 1989 gehörte er zu den Mitbegründern der Bürgerbewegung Demokratischer Aufbruch. In der letzten DDR-Regierung war der Wehrdienstverweigerer - in der DDR Bausoldat genannt - Minister für Abrüstung und Verteidigung. Von 1990 bis 2005 saß er für die CDU im Bundestag. Heute ist der 71-Jährige ehrenamtlicher Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.