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Forschung Forschung: Affen als Gehirn-Informanten

Von Stefan Kruse 03.06.2008, 06:20
Der Langschwanzmakake Winnie, der hier neugierig in die Kamera des Fotografen blickt, gehört zu einer rund 20 Tiere umfassenden Affenkolonie im Magdeburger Leibniz-Institut für Neurobiologie. (Foto: dpa)
Der Langschwanzmakake Winnie, der hier neugierig in die Kamera des Fotografen blickt, gehört zu einer rund 20 Tiere umfassenden Affenkolonie im Magdeburger Leibniz-Institut für Neurobiologie. (Foto: dpa) dpa-Zentralbild

Magdeburg/dpa. - Dann schleckt er aus einerLeitung, die zu seinem Maul führt, einen Schluck Wasser alsBelohnung. Langschwanzmakake Winnie gehört zu einer rund 20 Tiereumfassenden Affenkolonie im Magdeburger Leibniz-Institut fürNeurobiologie. Die Primaten sind wohl die wertvollsten Helfer für dasinternational renommierte Team von Hirnforschern, die demmenschlichen Denkorgan immer mehr Geheimnisse entlocken wollen.

Ziel des Teams um Institutsleiter Henning Scheich ist es, diekomplizierten Mechanismen von Lernprozessen im Gehirn und derZusammenarbeit verschiedener Hirnareale zu ergründen und auf Basisdieser Erkenntnisse neue Behandlungsstrategien gegen Krankheiten wieParkinson, Depression oder Suchterkrankungen zu entwickeln. «OhneTierversuche kämen wir hier nicht vorwärts, wir haben keine andereWahl», sagt der Professor, der sich sehr wohl bewusst ist, dass es -etwa bei Tierschützern - auch Kritiker solcher Experimente gibt.

Weil die Beeinflussung der Nervenzellen durch Medikamente begrenztist und Nebenwirkungen entstehen, versuchen die Wissenschaftler mitHilfe elektrischer Reize, die Rätsel des Neuronennetzwerks zuentschlüsseln und in diese Prozesse einzugreifen. Das MagdeburgerLeibniz-Institut ist eine von bundesweit vier Institutionen, die dieGenehmigung zu dieser Art invasiver Hirnforschung besitzen, und daseinzige im Osten. «Jeder einzelne Versuch bedarf eines umfangreichenGenehmigungsverfahrens, bei dem unter anderem Alternativen und dieBelastungen für die Tiere geprüft werden», erläutert Scheich, der dieAffenkolonie ausbauen will.

Bestimmte Prozesse im Hirn, das Zusammenwirken von Nervenzellen,kann man Scheich zufolge wegen ihrer Schnelligkeit beim Menschen kaumnachvollziehen und auch mit Hilfe bildgebender Verfahren wie derKernspintomographie nicht erfassen. Bei Affen, deren Hirnstruktur dermenschlichen ähnelt, läuft die Signalübertragung von Nervenzellen -den 0,02 Millimeter großen Neuronen - langsamer ab. «Das erlaubt unsEinblicke, die man beim Menschen so nicht erwischt», sagt Scheich.

«Wir brauchen für unsere Art der Hirnforschung ausgeglichene,kooperative Tiere, die besonders intelligent sind», erläutertProjektleiter Michael Prosch. Zunächst werden sie im Verhaltenslabordazu trainiert, auf akustische Signale oder Melodien bestimmteHandlungen vorzunehmen, etwa Knöpfe zu drücken oder Hebel zubetätigen. «Den Tieren kann man nichts erklären, man muss ihnenindirekt begreiflich machen, was man will.» Das heißt trainieren,trainieren, trainieren, wobei ein System von Belohnungen für dieAffen wichtig ist. «Wir sind angewiesen auf die Kooperation derTiere, wenn sie nicht wollen, hat es keinen Zweck», sagt Prosch.

Später nehmen die Wissenschaftler Messungen im Gehirn vor, diedabei gewonnenen Daten laufen in Computern zusammen und fließen dortin Grafiken und Diagramme. Die Affen tragen teils ein Metallgestellauf dem Kopf, mit dem sie bei ihren täglichen Übungseinheiten fixiertwerden können. Die Elektroden zum Messen der Gehirnaktivität werdendurch eine zwei Zentimeter große Klappe in der Schädeldecke in dasHirn geführt. Die Affen haben nach Angaben der Wissenschaftler wederSchmerzen noch bemerken sie etwas von den Messungen.

Der Deutsche Tierschutzbund fordert einen bundesweiten Verzichtauf solche Experimente, die von zweifelhaftem wissenschaftlichem Wertseien. Die Organisation verweist darauf, dass in Deutschland pro Jahr2000 Affen in Versuchslabors «leiden und sterben». Scheich geht mitsolcher Kritik offensiv um, hält die Versuche für ethisch vertretbar.«Die Höhen der ärztlichen Kunst heute beruhen darauf, dass mansämtliche Erkenntnisse durch Tierversuche erarbeitet hat.» Mit Hilfeder Versuche habe sein Team neue Informationen gewonnen, die diebisherigen Annahmen über das Zusammenwirken der Hirnzellen auf denKopf stellten. Ein sichtbares Ergebnis der Arbeit ist der sogenannteHirnschrittmacher, der Parkinson-Patienten das Leben erleichtert.