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Wittenberg Wittenberg: Und die zehn Gänse schauen dabei zu

Von JANINE SCHARF 04.04.2011, 16:56

SCHMILKENDORF/MZ. - Der Tisch im Schmilkendorfer Stall ist gut gefüllt. Federn von zehn Gänsen liegen darauf verstreut. Frauen sitzen darum und blicken gespannt auf die Hände von Melanie Schreiber. Sie fasst die Feder oben an und beginnt mit einem Ruck, die Daunen in entgegengesetzter Richtung zu "schleißen". Außer der 84-Jährigen kennen die meisten Frauen am Tisch das nur vom Erzählen: die Gänsefedern vom Kiel zu trennen. "Man reißt von oben an", erklärt sie und lässt den Kiel routiniert unter den Tisch fallen.

Lernen von den Alten

Sofort machen es der Rentnerin die versammelten Frauen nach: allen voran Kathrin Ahlers. Sie hat alle zur Brauchtumspflege zu sich nach Schmilkendorf auf den Pferdehof eingeladen. Und viele sind gekommen: Freunde, Nachbarn und Arbeitskolleginnen wollen die Tradition wiederbeleben. Zu Weihnachten gehört eine Weihnachtsgans, meint die Landfrau. Doch wohin mit den Federn? Diese Frage kam in den letzten Jahren auch immer häufiger auf den Tisch.

Doch zum letzten Fest kam der Entschluss: "Wir könnten doch Federnschleißen", berichtete Ahlers auf der Arbeit. Gesagt, getan. Zwar war Federnschleißen einst eine wichtige Winterbeschäftigung - doch wollten alle Beteiligten Heizkosten sparen und trafen sich erst jetzt. Die wichtigste Ausstattung: Kopftuch und Schürze. "Das ist wichtig, damit sich die Daunen nicht in Haar und Kleidung festsetzen", erklärt Ursel Soldmann. Die Nudersdorferin ist gleich mit der ganzen Familie gekommen. Während sie die Daunen der Frauen einsammelt, versucht sich ihr Mann draußen vor der Scheune an einem anderen Brauchtum: dem Schnitzen von Quirlen.

Quirle für die Wäsche

"Ich kenne das noch von meinen Großeltern", meint Erhard Soldmann und holt ein scharfes Messer aus der Tasche. Aus den alten Weihnachtsbäumen schnitzen die Männer Wäschequirle. Die benötigte man früher zum Rühren der Kochwäsche, beispielsweise für Windeln. Männer und Frauen konnten sich an kalten Winterabenden so beschäftigen.

"Hier wird das Kind im Manne geweckt", meint auch Bodo Herold, der vom Land kommt und zusammen mit seiner Frau Spaß an den alten Traditionen hat. "Man entwickelt Enthusiasmus, wenn man sieht, das etwas dabei herauskommt", sagt er. Dafür sind sie extra aus Bernburg nach Schmilkendorf gekommen. Von drinnen aus der Scheune hört man immer wieder lautes Lachen. Dass man sich während des Federschleißens über das Dorf und die Leute "das Maul zerreißt", sei normal, berichtet Melanie Schreiber. Jeder sei einmal "durchgehechelt worden". "Man saß dann bis in die späten Abendstunden, und nach der Arbeit gab es Kaffee und Kuchen", berichtet die alte Frau. Damit will auch Kathrin Ahlers punkten.

Tradition für Frau und Mann

Kleine Köstlichkeiten hat auch sie für ihre Helferinnen bereitgestellt. "Aber was wird eigentlich aus den Daunen", fragt Arbeitskollegin Margot Herold. "Als Erinnerung stopfe ich einige Kissen fürs Sofa zu Hause aus", berichtet Ahlers. "Der Rest wird an ein Bettenhaus in Dessau-Roßlau verkauft." Momentan seien Daunen begehrt. Ein Kilogramm bringe 25 Euro. Doch der Landfrau geht es vor allem um die Tradition, die weiter geführt werden soll. "Wir Jungen können jetzt mitreden", sagt sie und blickt auf ein großes Bild an der Wand. Darauf zu sehen sind die zehn Gänse, von denen die Federn stammen.

Das waren glückliche Tiere, sind sich die Frauen sicher und stimmen ein Liedchen an. "Fuchs, du hast die Gans gestohlen, gib sie wieder her...", tönt es freudig durch die Scheune - und ganz nebenbei "spinnt" Ahlers schon die nächsten Pläne: Sie würde gern einmal Schafswolle verspinnen. "Ich habe noch ein Spinnrad", verkündet da Frau Schreiber gleich. Dem Vorhaben dürfte also nichts mehr im Wege stehen.