Fünf Mal im Jahr erklingen alle Glocken der Stadt
Quedlinburg/MZ. - "Wir haben das extra so geregelt", sagt Pfarrer Dr. Ekkehard Steinhäuser. "Es ist unsere Festtagsglocke und sie soll in traditioneller Weise unsere Botschaft überbringen." Bei der Größe der Glocke schreiten jeweils zwei Gemeindemitglieder zehnmal im Jahr ans Werk, sonst ist das eine riesige Kraftanstrengung, weiß Bernhard Schmidt, der Glockenbeauftragte des Quedlinburger Kirchspiels.
"Unsere junge Gemeinde hat sich bereit erklärt, das Läuten der großen Glocke in St. Servatii zu übernehmen. Es ist schon eine Ehre, dort an die Seile treten zu dürfen", bekennt Pfarrer Steinhäuser, der schon oft beobachtet hat, dass auch nicht christlich gebundene Menschen, sich nach den Kirchenglocken richten. Und Bernhard Schmidt erzählt, dass er erlebt hat, wie ein Junge das Geläut der Johanniskirche unweit der Süderstadt hörte und feststellte, noch genügend Zeit zu haben, um pünktlich zum Unterricht zu kommen. "Glocken begleiten das Leben, Menschen richten sich nach ihrem Zeitmaß", freut sich Ekkehard Steinhäuser.
Für die Glocken der Johanniskirche hat Bernhard Schmidt persönlich die Verantwortung übernommen. Dort reicht heute zwar auch ein Knopfdruck, doch noch sind die Maschinen aus der Entstehungszeit der Kirche vor 100 Jahren vorhanden. So finden sich dort, wenn auch nicht mehr funktionstüchtig, noch der alte Elektromotor und der Riementrieb im Kirchturm. Ganz oben vollzieht die Turmuhr seit 1906 ihre Arbeit. "Es ist, obwohl mit mechanischem Werk, unser genauester Zeitmesser", bekennt der Glockenbeauftragte. Der Pfarrer könnte sich angesichts der noch vorhandenen Mechanik ein kleines Techikmuseum in der Kirche vorstellen, denn nur wenige Meter entfernt wird seit längerem die Johanniskapelle, ein wahres denkmalpflegerisches Kleinod, Stück für Stück restauriert, das für Gottesdienste genutzt werden kann. Gerade ist der Himmel gesäubert, sind fehlende Sterne ersetzt worden, im Frühjahr soll dann auch die Uhr über dem Eingang wieder die Zeit anzeigen. Im Turm der Kapelle befinden sich zudem die anderen beiden noch per Hand zu betätigenden Glocken Quedlinburgs.
Läuteordnungen
Wann die Glocken der Stadt erklingen, dafür gibt es seit Mitte der 90er Jahre des vorigen Jahrhunderts Läuteordnungen innerhalb des Kirchspiels. Die ist nicht von ungefähr ausgearbeitet worden. "Glocken dürfen nur zu christlichen Handlungen geläutet werden", erklärt Pfarrer Steinhäuser. "Es gibt uns aber auch Rechtssicherheit, denn die Zeiten aus der Läuteordnung lassen sich nicht durch Gerichtsbeschluss verbieten, wenn sich ein Anwohner vielleicht gestört fühlt", ergänzt Bernhard Schmidt. An den Wochentagen steht von Montag bis Freitag um 7, 12 und 18 Uhr für drei Minuten das Gebetsläuten an. Am Sonnabend um 18 Uhr wird für zehn Minuten der Sonntag mit den Gottesdiensten eingeläutet. Für diese festen Zeiten brauchen die Glocken keine helfende Hand mehr, ein Zeitschaltuhr gibt den Takt vor.
So wie am ersten Weihnachtsfeiertag erklingen die Glocken der Quedlinburger Kirchen gemeinsam nur fünf Mal im Jahr. Dies wird auch als Plenum bezeichnet und findet auch statt: am Ostersonntag um 6 Uhr, am Pfingstsonntag um 10 Uhr, zum Erntedank am ersten Sonntag im Oktober um 10 Uhr sowie am Sonnabend vor dem ersten Advent um 18 Uhr, womit die Weihnachtszeit beginnt. Der sonntägliche Gottesdienst wird meist eine halbe Stunde vorher eingeläutet. Mit Geläut beginnt dann auch der Gottesdienst. "Es ist von unserer liturgischen Auffassung her Teil des Gottesdienstes", erläutert Pfarrer Steinhäuser.
Kirchliche Handlungen
Glocken dürfen nur für kirchliche Handlungen geläutet werden, bekräftigt Bernhard Schmidt. Dies gilt auch für Gotteshäuser, die nicht mehr von einer Gemeinde genutzt werden, wie die Blasiikirche und die Aegidiikirche. "Oft werde ich angesprochen, ob bei einer Totenfeier auf dem Servatiifriedhof die erst vor wenigen Jahren aufgehängte Glocke geläutet werden kann", berichtet Ekkehard Steinhäuser. Da laut Läuteordnung diese nur für innerkirchliche Zwecke erklingen dürfe, hänge die Zustimmung davon ab, ob ein Pfarrer die Totenfeier begleitet.
Außer in der Stiftskirche, deren Uhr nach 1945 mit dem Rückbau der hohen Türme verschwand, obwohl das Uhrwerk noch vorhanden ist, besitzen die für Gottesdienste genutzten evangelischen Kirchen auch eine Turmuhr. Da Markt- und Nikolaikirche elektrisch gesteuerte Uhren haben, dürften sie nicht die falsche Zeit anzeigen. Umso mehr war Bernhard Schmidt erstaunt, dass ein Stadtführer bemerkte, dass die Glocken der Marktkirche zur richtigen Zeit schlugen, die Uhr aber nachging. Dieser Tage blieb auch die Turmuhr der Nikolaikirche am Mathildenbrunnen kurz vor neun stehen. Der Glockenbeauftragte schwört auf seine mechanische Uhr im Turm der Johanniskirche, die nun schon seit 100 Jahren die Zeit anzeigt und meist genau.
In zwei Tagen werden wieder einmal alle Glocken der Stadt gemeinsam erklingen. Am Sonntag um 12 Uhr, denn es ist Weihnachten.