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Zum Fest auf gepackten Koffern

Von Petra Wozny 23.12.2004, 16:39

Merseburg/MZ. - Zugegeben, so hat sie sich das Ende ihrer Arbeit nicht vorgestellt. Renate Geyer, Leiterin der Kindertagesstätte Nulandtplatz in Merseburg, sitzt buchstäblich auf gepackten Koffern.

Am letzten Tag dieses Jahres geht die 59-Jährige in den Vorruhestand. Seit einer Woche wird ihre Arbeitsstätte geräumt. Aus Sicherheitsgründen, denn das gesamte Gelände im Zentrum von Merseburg wird sich in den nächsten Wochen in eine riesige Baustelle verwandeln. Hochhäuser werden dem Erdboden gleichgemacht oder zurück gebaut.

"Da wäre zwar für die Kinder richtig spannend, aber besser ist es schon, wenn sie für ein paar Monate in die zwei Merseburger Kindereinrichtungen Sputnik und Völkerfreundschaft mit ihrem Lieblingsspielzeug und den Möbeln ausweichen", denkt Renate Geyer. Ein Bauplatz vor dem Kindergarten sei das eine. Doch einstürzende Betonwände und die damit verbundene Gefahr, Lkw am laufenden Band, Dreck und Umleitungen das andere. Am Donnerstag schloss die Einrichtung ihre Türen.

Bei jeder Kiste, die Renate Geyer packt, gehen auch ein paar Erinnerungen mit. Seit 1976 ist sie in der Einrichtung am Nulandtplatz. 1981 wurde sie Leiterin. "Wo sind nur die Jahre?", fragt sie und eigentlich wartet sie gar nicht auf eine Antwort.

Tausende Kinder schätzt sie, hat sie in den vergangenen Jahrzehnten mit ihren Frauen - jetzt sind es mit ihr acht - aus den Windeln gehoben und fit für die Schule gemacht. Manche der "Ehemaligen" bringen heute ihren eigenen Nachwuchs zur "Tante Geyer". Die Kindergartenleiterin denkt in diesem Moment auch an Sylke Keller - auch ein "Kind" von Renate Geyer. "Heute ist Sylke selbst Krippenerzieherin in der Einrichtung Buratino und hat zwei Kinder", plaudert die Chefin.

Für Renate Geyer sind Kinder alles. Als alleinstehende Frau hat sie selbst keine. Sie schmunzelt: "Dafür habe ich hier eine große Familie." Bei aller Veränderung in den letzten Jahrzehnten ist der Erzieherin wichtig, mit den Kindern Traditionen zu pflegen. Zum Beispiel Märchen vorzulesen und zu spielen, Feste zu feiern, Rituale zu pflegen. Die Kleinen lernen Grimms Märchen von Renate Geyer. Und sie von den Kindern? "Die Unbekümmertheit, wie man mit einem Computer umgeht", lacht die Merseburgerin.

Mitten im Wohngebiet mit den Knirpsen zu leben - für Renate Geyer war das schöner Alltag. 1969 wurde die Kita eröffnet. Die Kinder hätten in den Neubaublöcken Lieder gesungen, die Frauen vom DFD (Demokratischer Frauenbund Deutschlands) das Spielzeug bestrickt.

Die Kisten türmen sich in den Gängen der Einrichtung. Blaue, prall gefüllte Säcke nehmen kein Ende. Viele Eltern haben mitgeholfen, dass der Kita-Umzug reibungslos läuft. "Wir hoffen, dass wir wieder zurück kommen", sagt Renate Geyer mit etwas Wehmut. Im Mai kommenden Jahres wird das dann sein. Die Chefin ist dann im Ruhestand. Zum Zuckertütenfest ist sie schon eingeladen. Darauf freut sie sich.