Test Barrierefreiheit in Halle Test Barrierefreiheit in Halle: Zentimeterhohe Hürden an der Straßenbahn

Halle (Saale) - Wenn Katharina Kohnen aus Dresden ihren Freund André Neutag in Halle besucht, haben die beiden ein Problem: Sie scheitern an der Straßenbahn. Das heißt, Katharina Kohnen scheitert. Denn die junge Frau sitzt im Rollstuhl. In einem Elektro-Rollstuhl, der allein 130 Kilo wiegt - ohne Person. Mit diesem Rollstuhl, eigentlich ein Meisterwerk der Technik, kommt die studierte Kartographin an einigen Haltestellen nicht in die Bahn - oder nicht wieder hinaus. Nur wenige Zentimeter trennen zum Beispiel am Markt, am Francke- und Riebeckplatz, vor allem aber am Bergmannstrost die junge Frau - und vermutlich viele andere E-Rollstuhlfahrer - von ihrem Ziel.
Das war für André Neutag, der sich im Landesvorstand der Deutschen Gesellschaft für Muskelkranke engagiert, Grund genug, mit Verantwortlichen der Havag Kontakt aufzunehmen und eine Probefahrt zu vereinbaren. Dem voraus ging ein schon länger währender Schriftwechsel zwischen Neutag und verschiedenen Ämtern und Institutionen, in denen der Hallenser auf die aus seiner Sicht „unzureichende Barrierefreiheit“ in den halleschen Straßenbahnen hinweisen wollte.
Zum Probefahrt-Treffpunkt am Markt, Abfahrt der Linie 2 in Richtung Beesen (zwischen Rotem Turm und Marktschlösschen) mit Vertretern der Havag und der Stadt haben sich an diesem Vormittag neben Neutag und Katharina Kohnen auch noch Uwe Willamowski und Annett Melzer eingefunden - beide sind ebenfalls auf den Rollstuhl angewiesen. Tram-Führerin Ines Wollschläger im Cockpit der Sonderstraßenbahn nimmt kurz darauf Kurs vom Markt übers Steintor bis nach Ammendorf.
Die Havag verfügt in ihrem Fuhrpark über 102 Niederflurstraßenbahn-Fahrzeuge, davon sind 60 älteren Typs und 42 neuere, die jeweils als Paar fahren. Bei letzteren sind zwölf mit einer Klappe ausgestattet, die restlichen 30 folgen. Für die 60 Wagen älteren Typs wird nach einer Lösung gesucht, allerdings werden sie künftig durch modernste Triebwagen ersetzt. Dagegen sind sämtliche Busse mit Rampen ausgestattet. Bis 2022 wird derzeit an einem Konzept zur Barrierefreiheit in Halle gearbeitet. (kpa)
Doch schon das Einsteigen am Markt bereitet vor allem den E-Rollstuhlfahrerinnen Kohnen und Melzer große Probleme: Beide gelangen nur mit ebenso gekonntem wie gefährlichem Schwung, ausgelöst durch ihren Joystick am Bedienpult des Rollis, in die Bahn. „Da braucht man schon Mut, das traut sich nicht jeder“, kommentiert Katharina Kohnen kritisch. Die im hinteren Teil des Straßenbahnzuges installierte Klapp-Rampe, von Havag-Betriebsleiter Technik, Uwe Winkler, „Spaltbrücke“ genannt, nehmen die beiden Rollstuhlfahrerinnen zunächst gar nicht wahr. „Ach, die gibt’s wohl? Die habe ich noch in keiner Straßenbahn gesehen“, merkt Annett Melzer an. Dabei erfahren die drei Rollstuhlfahrer, dass ein Dutzend der 42 neueren Niederflurwagen bereits mit der leicht zu bedienenden Klappe ausgerüstet sind - 30 werden in den kommenden zwei Jahren folgen.
Problemlos hingegen gestalten sich Ein- und Ausfahrt am neu gestalteten Steintor - vor allem für die E-Rolli-Fahrerinnen. Denn gerade diese Rollstühle, so Kohnen, seien selbst für kräftige Helfer nicht von der Stelle zu bewegen.
Dass es in Halle noch Unzulänglichkeiten an bestimmten Haltestellen gibt, wissen die Verantwortlichen. „Doch alles geht nicht auf einmal“, sagt Winkler und erklärt, dass vieles schon verbessert wurde. Sämtliche alte Trams noch umzurüsten, würde sich aufgrund von geplanten Neuanschaffungen im Fahrzeugbestand nicht lohnen. Und Waldemar Rösler, Teamleiter Verkehrsentwicklung der Stadt, verweist auf Halles Stadtbahn-Projekt. „Der Schwerpunkt liegt auf der Verbesserung der Infrastruktur“, sagt Rösler und meint vor allem das Problem Bergmannstrost.
An der Schleife Ammendorf bringt Uwe Winkler dann eine faltbare mobile Rampe (Kostenpunkt rund 1 000 Euro pro Stück) zum Einsatz - ein Test mit Erfolg. Nach Prüfung der Finanzierung, so Winkler, sei die Rampe als Übergangslösung für die alten Bahnen durchaus geeignet. Annett Melzer und Katharina Kohnen hören das mit Freude.
