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Halle Halle: Gruselstorys zum Grübeln und Kringeln

Von DETLEF FÄRBER 31.07.2011, 18:26

Halle (Saale)/MZ. - Abgründe gibt's! Schwindlig wird es einem, wenn man da hinunter sieht: Verbrechen, Verhängnisse und natürlich die viel besungene Verdorbenheit der Welt. Was stellt man damit als Erzähler an? Natürlich gibt es da etliche Möglichkeiten. Drei davon sind diese: Man kann entweder das Grauen zu Gruselgeschichten verdichten oder man kann es so eingehend schildern und analysieren, dass der Leser ins Grübeln kommt. Oder man kitzelt so lange das Skurrile und Witzige aus den Szenen heraus, dass die Leserschaft sich am Ende kringelt. Ach ja, es soll sogar Autoren geben, die das alles gleichzeitig hinkriegen: Zum Beispiel der Hallenser Kurt Fricke. Und zwar schon bei seinem literarischen Debüt. "Der Flug der Wale" heißt das Buch aus 20 Short-Storys, das im hiesigen mdv-Verlag erschienen ist: ein wirklich bemerkenswerter Prosa-Erstling. Und ein Buch, das aufhorchen lässt.

Bemerkenswert an diesen Geschichten ist auch ihre Vorgeschichte. Denn normalerweise ist der Platz von Kurt Fricke bei der Buchproduktion auf der anderen Seite. Er sitzt sonst nämlich den Autoren als Lektor gegenüber. Im mdv, dem halleschen Verlag mit der großen Belletristik-Tradition, ist er eher für die Betreuung von Wissenschafts- und Sachbüchern zuständig.

Doch seine Affinität zum Künstlerischen brach sich auch vor seinem Erzähler-Debüt immer wieder Bahn - sogar bei seiner Doktor-Arbeit. Fricke hat mit einer - auch als Buch "Spiel am Abgrund" bei mdv erschienenen - großen Untersuchung über ein letztlich tragisches Genie promoviert: über den Schauspieler Heinrich George. Figuren wie dieser einstige Superstar, der es in der Vorkriegs- und Kriegszeit bis ganz nach oben schaffte und der kurz nach dem Krieg in einem vormaligen KZ elendiglich zugrunde ging - solche Figuren interessieren auch den Erzähler Fricke: Wie auch jenes schroffe Auf und Ab solcher Geschichten. Etwa in der Titelstory seines der amerikanischen Short-Story verpflichteten Buchs: in der Kurzgeschichte "Der Flug der Wale" - die eigentlich einen Flug zu den Walen schildert. Denn der Höhenflug endet auch hier mit Absturz - nämlich ins Meer.

Doch das Eigentliche an "Kurts Geschichten" - wie sie seine Lektorin Erdmute Hufenreuter originellerweise gern insgesamt betitelt hätte - ist noch etwas anderes. Es ist das Schnelle, ja Rasante; es sind die Schnitte zwischen den Zeiten, Orten, Perspektiven, Realitäten. Sie erlauben jenes eingangs erwähnte Miteinander (oder Nacheinander) von gruseln, drüber grübeln und grinsen, bis sich der Leser manchmal richtig kringeln kann. Zum Beispiel wenn in der Geschichte "Amsterdam" einer der Finsterlinge aus einem der finstersten Viertel auf jener "Scheiße", die er da mit anzurichten hilft, auch noch selber ausrutscht - und sich damit nachhaltig außer Gefecht setzt. Das klingt großartig: grusel, grübel, grins, kringel!

Freilich, Kurt Fricke schreibt im Grunde nur wenig. "Nur wenn eine Story in sich stimmt", sagt er, dann schreibe er sie "überhaupt fertig". Im "Flug der Wale" sind Geschichten gesammelt, die der 43-jährige in fast 20 Jahren immer mal wieder geschrieben hat. Und die er, bevor er sie richtig zu veröffentlichen wagte, erst mal beim Poetry-Slam ausprobieren wollte: mit Erfolg.

Eine Fortsetzung mit weiteren Storys ist inzwischen übrigens geplant - und sogar ein Roman, zu dem ihm "bisher der lange Atem gefehlt" habe. Der Roman soll im Literaturbetrieb spielen, in dem sich Fricke ja bestens auskennt: ein Krimi soll es werden, eine Groteske. Also wieder mit grusel, grübel, kringel? - Oder das dann auch mal in etwas anderer Reihenfolge.

Kurt Fricke, "Flug der Wale", mdv-Verlag, 144 Seiten, Taschenbuch, 9,90 Euo.