Erkenntnisse über den Bogen
Bitterfeld/MZ. - Denn Männer des Industrie- und Kraftwerksrohrleitungsbaus (IKR) wie Thiel selbst, Peter Anger und Ernst Kinzel wissen Bescheid: In ihrer Branche ist der Bitterfelder Bogen ein ganz spezielles gebogenes Stahlrohrstück, das unerlässlich ist für Ausrüstungen beispielsweise in Kraftwerken. Bis in die 50er Jahre hinein, erklärt Thiel, wurde es ausschließlich in Hamburg hergestellt, zur Zeit des so genannten Kalten Krieges zwischen Ost und West in Bitterfeld neu konstruiert und produziert. Und auch exportiert.
Interessante Geschichten wie diese können die Männer um Dr. Peter Anger, ehemaliger Direktor für Beschaffung und Absatz des Industrie- und Kraftwerksrohrleitungsbaus Bitterfeld, noch mehr erzählen. Das Wissen, an das all die Erinnerungen geknüpft ist, haben die Rohrwerker bewahrt über die Jahre hinweg. Seit Bestehen dieser großen Branche in Bitterfeld, die stets im Schatten der Chemie und der Braunkohle stand, wuchs das Archiv der zugehörigen Betriebe IKR und Rohrwerke Bitterfeld - mit seinem Betriebsteil Muldenstein - von Jahr zu Jahr.
Jetzt haben die Mitglieder des Vereins "Rohrleitungsbautradition Bitterfeld", der sich 1994 gründete, das Archiv mit sämtlichen Dokumenten, Fotografien, Filmrollen und sogar einige Musterstücke dem Kreismuseum Bitterfeld übergeben. "Wir haben uns sehr gefreut", sagt Archivar Steven Pick, "es ist wichtig, so was im Haus zu haben, weil das einen bedeutenden Lebens- und Arbeitsbereich in der Region abdeckt. Der war ja auch im Bewusstsein der Leute hier immer unterbewertet."
Jetzt soll er die Stellung bekommen, die ihm gebührt und nach und nach der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Immerhin waren über 8 000 Leute in der ganzen DDR in der Branche beschäftigt.
Die Tradition des Rohrleitungsbaus beginnt in Bitterfeld in den 20er Jahren. Auf vier Standorten war das Unternehmen allein in Bitterfeld und Muldenstein verteilt, später kamen die Kombinatsbetriebe von der Ostsee bis zum Erzgebirge hinzu. "Der Stammbetrieb jedoch war immer Bitterfeld", sagt Kinzel stolz. "Und der war hier auch der erste Betrieb, der nach der Wende erfolgreich privatisiert war."
Kinzel, Anger und Thiel können eine Menge Geschichten erzählen - zum Beispiel, dass das erste Passagierflugzeug der DDR im Rohleitungsbau-Betrieb in Pirna konstruiert und gebaut wurde, dass es aus mysteriösen Umständen abstürzte und seitdem die Unterlagen nie wieder angefasst werden durften. Auch solche wertvollen Erinnerungen sind im Archiv bewahrt.
Jetzt sind die Mitglieder des Vereins dabei, ein Buch zu schreiben. Das Konzept sowie mehrere Kapitel sind bereits fertig. Viele ehemalige Kollegen, sagt Anger, helfen dabei, liefern Wissen, schreiben mit. 24 Autoren sind sie inzwischen. Besonders freut sie, so Anger, dass auch der ehemalige Betriebsdirektor des Industrie- und Kraftwerksrohrleitungsbaus, Roland Arzt, der über Jahrzehnte das Unternehmen IKR geführt hat, sowie der ehemalige Betriebsdirektor der Rohrwerke Bitterfeld, Helmut Schölzel, mitmachen, sich an die Spitze des Ganzen gestellt haben.
"Unser Anliegen in dem Buch", erklärt Thiel, "ist es, die betriebliche Geschichte als Teil der gesellschaftlichen zu begreifen und darzustellen." In diesen Wochen, so Thiel, werde es wissenschaftlich überarbeitet. Anfang des kommenden Jahres soll die Geschichte des Rohrleitungsbaus als Buch auf den Markt kommen.