Ausstellung Ausstellung: Tête-à-tête mit Lichtgestalten
Wittenberg/MZ. - Männer sind keine Engel. Oder anders: Engel sind keine Männer. Zumindest gewinnt der Besucher einer Schau, die zurzeit im Alten Rathaus von Wittenberg gezeigt wird, diesen Eindruck.
Ausgestellt werden Arbeiten der Berliner Künstlerin Ilse Winckler. Ihr Thema: Engel. Und die sind in der Mehrzahl Frauen. Mit und ohne Flügel, mal gesichtslose Wesen, ein anderes Mal wird der Betrachter von großen, in tiefen Höhlen liegenden Augen gefesselt. Er darf sich wundern über Collagen: Designerware, ausgeschnitten aus Modemagazinen, übermalt, magere Engelchen ohne Tiefe. Und er wird staunen angesichts einer ganzen Reihe von Porträts, Lichtgestalten, die in fast unheimlicher Weise eindringlich und raumfüllend sind.
Entnommen sind diese 15 Frauenporträts aus Christian Boltanskis "Kaddish", einem Werk, mit dem der Pariser Künstler an die im Dritten Reich ermordeten Juden erinnern wollte. Ob Boltanski eigene Motive verwendet hat, mag fraglich sein. Bekannt ist er dafür, vorgefundenes Material, Fotos beispielsweise, für seine Zwecke zu verwenden, und nichts anderes hat nun Ilse Winckler getan. Ihre in Öl auf Leinwand gemalten Abbilder stehen im Mittelpunkt eines installativen Zusammenhangs und verweisen auf den anonymen Einzelnen, dessen Schicksal es ist, von der Geschichte als Mitglied einer Masse übergangen, vergessen zu werden. Bei der Reproduktion der Fotos hat Ilse Winckler sich auf die Verwendung von wenigen Farbtönen beschränkt. Es dominieren Schwarz und Weiß, Grau changiert in zahlreichen Nuancen. Aus einiger Entfernung wirken diese Bilder wieder wie aufgezogene Fotografien in einer Gedenkstätte für Opfer des Nationalsozialismus.
Das Pikante daran ist: Boltanski, so die Künstlerin in einem früheren Interview, habe die Fotografien einem kriminologischen Fundus entnommen. Und sie weiß: "Es sind Täter und Opfer, zufällig zusammen geworfen." Welche der Frauen aber Täterin oder Opfer war, darüber geben auch Ilse Wincklers Bilder keine Auskunft und die Frage, ob es Zufall ist, auf welcher Seite der Schnur man aufkommt, bleibt unbeantwortet. Was berührt, ist nur das Lächeln dieser Frauen, wie die Malerin selbst einmal betont hat: "Es ist ihr Lächeln in dem Augenblick, als sie fotografiert wurden."
Mit ihrer Ausstellung hat sich Ilse Winckler, die studierte Literatur- und Kunstwissenschaftlerin, auch an einer Tagung beteiligt, zu der kürzlich das Luther-Zentrum Wittenberg und die Arbeitsstelle offene Kirchen der Kirchenprovinz Sachsen eingeladen hatten. Unter dem Titel "Ohne ihr Wissen haben manche schon Engel beherbergt" (Hebräer 13) wurde unter anderem über Gastfreundschaft in Kirchengemeinden nachgedacht.
"Engel" - Malerei und Collagen von Ilse Winckler im historischen Rathaus Wittenberg, Am Markt. Die Ausstellung ist bis zum 13. Mai täglich von 9 bis 18 Uhr geöffnet. Telefonische Informationen im Luther-Zentrum unter 03491/40 99 72.