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Gerhard Nebel Gerhard Nebel: Leben im Widerspruch

Von CHRISTIAN EGER 04.03.2011, 19:17

Halle (Saale)/MZ. - Politische Fragen klärte der junge Gerhard Nebel (1903-1974) gerne handgreiflich. Keiner Schlägerei ging der promovierte Altphilologe im Köln und Düsseldorf der frühen 30er Jahre aus dem Weg. Ein "Hasser und Prügler" sei er gewesen, sagte der sportlich gut trainierte Schöngeist, der 1931 von der SPD weg zur neu gegründeten Sozialistischen Arbeiterpartei (SAP) gestoßen war. Wo sich in den Spätjahren der Weimarer Republik Nazis zeigten, langte er hin. Davon blieb ihm bis zuletzt eine Narbe über dem linken Auge. Nebel, der Haudrauf unter den Vorkriegs-Intellektuellen: "Ich war mit tiefer Genugtuung dabei, boxte in Koblenz einen SS-Mann nieder. Ich war so kampfeslustig, daß mir die Rauferei an sich eine Freude war."

Alsbald im Gegensatz zum Marxismus. Auf Dauer konnte dem schwärmerischen Ernst-Jünger-Verehrer die SAP keine Heimat sein: "Immer blieb etwas in mir abseits, der Nietzsche- und George-Leser, ich wusste immer, dass der Marxismus mich geistig verkrüppelte." Letzteren nannte er schließlich eine "geistesgeschichtliche Flegelei". Dem philosophischen Zeitschriftsteller Nebel, der in den westdeutschen 50er Jahren ein Autor von Rang und Wirkung war, ging es bald um anderes: um eine Verbindung von Moderne und Mythos, eine Welt- und Kunstanschauung, die - von anarchischer Zivilisationskritik beseelt - sogar griechische Götter mit Jesus zu verbinden suchte. Auf eine Art, dass "wir jungen Leser ganz vergnügt wurden", wie der 1934 geborene Autor Rolf Vollmann notierte.

Hase in der Furche

Von diesem Vergnügen ist wenig geblieben, den Osten Deutschlands hatte es nie erreicht. So ist dieser bis zur Eigensinnigkeit eigenständige, immer anregende und stilistisch souveräne Schriftsteller in seiner Herkunftslandschaft vergessen. Denn geboren wurde Gerhard Nebel 1903 als Sohn eines Volksschullehrers in Dessau. Tatsächlich ist er neben Manfred Bieler der bedeutendste Schriftsteller, den Anhalt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hervorgebracht hat. Dort erlebte Nebel seine Kindheit, von der er in seiner Autobiografie "Alles Gefühl ist leiblich" berichtet. Es folgten Schülerjahre in Koblenz, Studien bei Heidegger und Jaspers, Dienst an Gymnasien, Hauslehrerjahre in Ägypten. Und von 1941 an Kriegsdienst in der Wehrmacht: erst als Dolmetscher in Paris, dann als Bausoldat auf der Kanal-Insel Alderney, später in Dortmund und Italien. Einsätze, die Nebel in Tagebüchern festhielt, die er von 1948 an in drei erfolgreichen Bänden veröffentlichte. Aus diesen für den heutigen Leser verschollenen Büchern hat der Wuppertaler Schriftsteller Michael Zeller unter dem Titel "Zwischen den Fronten" eine Auswahl in einem Band herausgegeben.

Tagesnotate aus der deutschen Kriegsetappe, verfasst von einem wenig militärseligen Intellektuellen. Zudem von einem entschiedenen Nazigegner, der - weil er sich anders nicht mehr über Wasser zu halten wusste - 1937 in die NSDAP eingetreten war. Mit solcherart facettenreichen Zeitzeugnissen wird man eher nicht überhäuft.

"Als ein Hase in sicherer Furche" versucht Nebel im Stab in Paris über die Runden zu kommen, bevor er in Folge eines militärkritischen Artikels nach Alderney strafversetzt wird. Die ersten, vom Februar 1942 datierten Seiten machen schon klar, mit wem man es zu tun hat. Einem Menschen, dem der Kommiss "fast körperliche Übelkeit, einen Ekel" erzeugt. Der für Hitlers Krieg nicht die geringste Zuneigung empfindet: "Jenes kann ich von mir so wenig verlangen, wie man einen Zuchthäusler auffordern könnte, für die Vergrößerung seines Kerkers zu kämpfen".

Nebel kritisiert das NS-Regime aus der konservativen Warte: "Hitler hat die menschlich empfindenden und dem Erbe des Abendlandes verpflichteten deutschen Patrioten in eine Krise gebracht, die nur tödlich enden kann." Wo Nebel weltpolitisch steht? "Meine Liebe gehört Europa, und dem deutschen Volk nur, sofern es an Europa teilnimmt", liest man im Juli 1942.

Das großmäulige Auftreten der Nazis ist ihm zuwider. Wie der allgegenwärtige Drill. Dieser "bestätigt mir wieder meinen alten Verdacht, daß man zwar bei kurzen Aufenthalten geistig relativ unbeschädigt durch die preußische Kaserne kommt, daß aber eine längere Berührung mit ihren Dämonen einfach die Intelligenz beeinträchtigt und in schweren, aber nicht seltenen Fällen vernichtet."

Hitler-Befreiungs-Bart

Lesenswert, wie die Gespräche zwischen den Soldaten ablaufen. Wie diese sich erst rhetorisch abtasten, bevor sie Klartext reden. Wie es darum geht, kleine Abwesenheiten vom Krieg mitten im Kriegsdienstalltag zu erbeuten. Wie der Intellektuelle stille Winkel findet, um illusionslos über Deutschland, die Welt oder darüber nachzudenken, warum ihm das Griechische lieber ist als das Römische, das ihm als zu steif, zu eng, ironielos erscheint.

Die Nachricht vom Ende Hitlers ereilt Nebel in Italien: "in der Lügenversion, er sei im Kampfe gefallen". Sofort ist eine Flasche Sekt zur Hand: "das Ende der Bestie muß gefeiert werden". Nebel lässt sich fortan einen Bart wachsen, den er als "Hitler-Befreiungs-Bart" deklariert. Ein Übermut drückt sich hier aus, der den Autor aber nicht darüber hinwegtäuscht, dass er viel zu lange bei der Fahne geblieben ist: "Die Distinktion von Hoch- und Landesverrat hat mich verhindert, überzugehen". Nicht zu den Alliierten übergelaufen zu sein, notiert Nebel, sei "einer der schwersten Vorwürfe, die ich mir überhaupt zu machen habe".

Wer Gerhard Nebel war, der 1974 in Stuttgart starb, und warum er von seinem Vorbild Ernst Jünger verraten wurde: Michael Zeller stellt es in einem schlüssigen, gut lesbaren Nachwort dar. Kunde von einem Mann, der Opposition als Lebensform begriff. Eine Haltung, die Nebel auch in seinem "Dessauertum" begründet sah, wie er 1953 dem aus Augsburg stammenden Kollegen Erhart Kästner zu erklären suchte. "Dessau im Gefolge Potsdams" malte Nebel als Gegenbild zur "reichsdeutschen" Selbstgefälligkeit aus. Ein Widerspruch, der wie so oft bei diesem Autor in ein Bekenntnis mündete: "Bei einer Wahl zwischen Augsburg und Dessau wähle ich mit begeistertem Herzen natürlich Dessau."