Bundestagswahl 2025 „Viele werden nicht abgeholt“ - was Enrico Gemsa bewegen will
Der Naumburger ist Direktkandidat für Bündnis 90/Die Grünen. Seine Themen sind die Probleme unserer Gesellschaft: das Miteinander, die Bildung und die Digitalisierung.
Naumburg. - Von Berlin über München nach Naumburg: Enrico Gemsa ist kein Mensch, der seinen persönlichen Werdegang erzählt haben will, doch dass es ihn vor knapp vier Jahren ausgerechnet nach Naumburg verschlagen hat, ist ihm schon ein paar Sätze wert. „Als meine Frau und ich in München den Entschluss gefasst haben, wieder mehr an die alte Heimat heranzurücken, war klar, dass wir nicht nach Berlin ziehen. Es wurde Naumburg. Wir waren einen Tag hier, haben sieben Wohnungen besichtigt, eine genommen und sind geblieben. Die Stadt ist der richtige Ort zum Leben.“
Jugendlichen in der Heimat eine Perspektive aufzeigen
Und zum politischen Arbeiten. Als Zwei-Meter-Mann üblicherweise die Übersicht habend, ist für ihn die aktive Politik zwar noch einigermaßen Neuland, doch hat er die für sich wichtigen Themen längst gesetzt. Gemsa spricht vom gemeinschaftlichen Miteinander, das immer mehr Federn lasse. Dazu gehöre auch die Diskussionskultur, die kaum noch eine sei, weil gegensätzliche Meinungen immer weniger akzeptiert würden. Das führe zu einer Entfremdung. Sinnvoll sei es, Orte unabhängig von den üblichen zu schaffen, an denen Menschen in der Politik oder in Vereinen zusammenfinden und ins Gespräch über die Dinge kommen, die sie bewegen.
Er selbst sehe seinen Ansatz bei den Jugendlichen. „Es gibt viele, die werden durch die bekannten Angebote vor Ort einfach nicht abgeholt. Ich möchte von ihnen wissen, warum und was sie sich vorstellen. Sehen sie eine private wie berufliche Perspektive in ihrer Heimat oder wollen sie weg von hier? Was stört sie? Ich denke, man kann viel tun und aufzeigen, wie sich gerade hier jeder verwirklichen und beteiligen kann“, so Gemsa. Der Dialog müsse in die richtigen Gremien getragen werden, beispielsweise in die Gemeinderäte.
„Extremer“ Nacholbedarf bei Digitalisierung
Ein Feld mit reichlich Arbeit sieht der Naumburger in den Bereichen Bildung und Kultur. „Die Schulen sind nach wie vor schlecht ausgestattet, investiert wird nach dem Gießkannenprinzip, nicht gezielt. Es mangelt an Personal, auch und vor allem, weil die Anreize fehlen“, meint der Grünen-Politiker. Für fatal hält er den Ansatz in der Politik, bei Sparzwängen zuerst kulturelle Projekte zu streichen. „Das ist einfach und zeugt von wenig Kreativität. Wenn man will, finden sich Wege, auch abseits der Finanzen. Man muss es aber eben wollen.“ „Extremen“ Nachholbedarf macht Gemsa in der Digitalisierung aus, andere Länder und Regionen seien Deutschland und Sachsen-Anhalt weit voraus. Das schaffe große strukturelle Probleme, sagt er.
Er wolle sich dafür einsetzen, dass die Politik schnell aufholt, was über die Jahre versäumt wurde. Umgekehrt müsse das aber auch die Wirtschaft vehement einfordern und selbst leben. „Wer im Internet als Gaststätte, Taschenladen oder was auch immer nicht auftaucht, ist für ganz viele Menschen nicht da.“ Wobei sich Gemsa da auch in seinem beruflichen Metier wiederfindet und im Marketing mit seiner Firma Saalebrands alles jongliert, was andere, auch und vor allem Unternehmen, sichtbarer macht – vom Logodesign über den Internetauftritt bis hin zur Werbestrategie.
„Demokraten müssen miteinander reden“
Zurück zur Politik: Gemsa plädiert für eine gezielte Förderung der E-Mobilität. In diesem Bereich gebe es kein Umkehren, das sei auch in der Wirtschaft – ähnlich wie beim Ausstieg aus der Kernenergie – Konsens. Die Ladeinfrastruktur müsse zügig ausgebaut werden. Das Deutschlandticket sei eine große Errungenschaft. Es habe sich bewährt, öffentliche Verkehrsmittel würden mehr genutzt. Eine Verteuerung sei genauso schädlich wie die Abschaffung des Tickets. Und wie sieht er mögliche Koalitionen nach der Bundestagswahl? „Alle demokratischen Parteien müssen miteinander reden können, was auch heißt, dass Themen und Positionen der Realität anzupassen sind. Das wird auch ein Herr Söder einsehen, der nicht müde wird, gegen die Grünen zu giften“, so Gemsa. Seine Partei jedenfalls wünsche er sich in der Regierungsverantwortung, damit Erreichtes erhalten bleibt.
Zur Person
Enrico Gemsa ist 44 Jahre alt, in Berlin geboren und aufgewachsen. 30 Jahre lebte er dort, bevor es ihn nach München verschlug. Vor knapp vier Jahren kam er mit Frau und Kind nach Naumburg. In Leipzig hat der 2,03 Meter große Mann Kommunikation, Medien und Kultur studiert, arbeitete in der Medienbranche, wechselte dann aber als Selbstständiger in den Marketingbereich. In Naumburg eröffnete er seine Marketingagentur „Saalebrands“, erst neben-, dann vollberuflich. Seit Januar 2024 hat die Agentur ihren Sitz in der Engelgasse. Mitglied bei Bündnis 90/Die Grünen ist Gemsa vor fünf Jahren in München geworden. Nunmehr in Naumburg und im Burgenlandkreis politisch aktiv, wurde er im Oktober vergangenen Jahres in den Vorstand des Kreisverbandes seiner Partei gewählt und fungiert dort als Sprecher.