Architektur Architektur: Rundgang ohne Ecken und Kanten
Halle/MZ. - Daneben die einst weißen Flächen haben einen Grauschleier. "Müsste mal wieder gestrichen werden", sagt ein Besucher vor dem Hundertwasserhaus. "Nein, auf keinen Fall", entgegnet die Frau neben ihm empört - "das ist Kunst!" Die beiden - Typ kulturbeflissene Bildungsreisende - waren heute schon am Stephansdom und draußen in Schloss Schönbrunn. Nun ist die Nummer drei der Wiener Sehenswürdigkeiten dran. "Hundert-Besucher-Haus" könnte sie auch heißen, denn etwa so viele stehen meistens davor, recken die Hälse, diskutieren und zeigen immer wieder auf die bunt bemalte Fassade, an der alles lieblich geschwungen und nichts gerade oder eckig ist. Denn Friedensreich Hundertwasser, der heute vor genau zehn Jahren verstorbene Gestalter dieser Häuserfront in der Kegelgasse, geißelte Zeit seines Lebens die "Diktatur des Lineals".
Ein ergrauter Hippie-Veteran aus Essen ist heute ebenfalls mal wieder hergekommen. Und erzählt seinen Enkeln die "Opa-war-dabei"-Story: Als Student habe er den Bau ab 1983 hautnah miterlebt. "Aufruhr", "Aufbruch", "Auflehnung", das sind die Pathos-Satzfetzen, die der Wind aus seinem Endlos-Vortrag herüberweht. Ja, die Zeit der Großdemos gegen Aufrüstung, Atomkraft und Naturzerstörung. Und des Traums von einer "Bunten Republik Deutschland". Da passte Friedrich Stowasser mit Künstlernamen Hundertwasser als Zeitgeist-Ikone gut hinein.
Hundertwassers Zeichnungen schmücken damals zunächst Kalender, WG-Poster und Briefpapier, dann auch Briefmarken für den Senegal, Liechtenstein und die Uno sowie Rosenthal-Porzellan. Bürgermeister definieren die Aktion "Unser Dorf soll schöner werden" mal ganz anders und bestellen Hundertwasser-Zwiebeltürme, die aussehen wie farbenfrohe Strickliesln, lassen glatte Fassaden von ihm verbeulen und mit Keramikbruch dekorieren. Zu besichtigen etwa am Bahnhof im niedersächsischen Uelzen, bei der Hundertwasserschule in Wittenberg und der Grünen Zitadelle in Magdeburg. Im März eröffnet ein von Hundertwasser entworfenes Gebäude - der 35 Meter hohe Märchenturm im bayerischen Abensberg bei Regensburg.
Das an diesen Gebäuden meist zu findende Sammelsurium an "Hart-Deco" ziert auch das Wiener Hundertwasserhaus: zerschellte Grabsteinstücke als Intarsien einer Treppe, Kegel und Dreiecke am Geländer, bunte Fensterrahmen und immer wieder Säulen. Sie dominieren auch umliegende Straßenzüge und einen Schiffsanleger, den Hundertwasser unten an der Donau umgestalten durfte. Für die einen ist all das Kunst am Bau, für die anderen "Knetgummi-Architektur mit betoniertem Zuckerguss". Solche Schmähungen fallen nicht nur den Besuchern vorm Haus, sondern auch Kunstkritikern ein. Und natürlich immer wieder: "Kitsch!" Hundertwassers Antwort darauf: "Die Abwesenheit von Kitsch macht das Leben unerträglich." Damit hat er sich früh die Freikarte ausgestellt für das, was inzwischen gegenüber dem Hundertwasser-Haus entstanden ist: das Hundertwasser-Village. Eine Souvenir-Höhle mit Hot-Dog-Bräter, Mozart-Ecke, jeder Menge Hundertwasser-Tand und der "Toilet of modern Art" im Keller.
Was sich der Künstler insgesamt so bei seinem Schaffen gedacht hat, dafür reicht Hundertwasser keine Gebrauchsanweisung in der Bedürfnisanstalt, er ließ ein mehrstöckiges Erklärungsgebäude zu seinem Lebenswerk bauen - das "KunstHaus" ein paar Straßen weiter. Hier wird deutlich, der Künstler war ein Meister des eindeutig Uneindeutigen.
Übrigens: Mit einem Stadtplan kann man das Hundertwasserhaus, das KunstHaus und den Donau-Anleger bequem auf eigene Faust zu Fuß erkunden. Geführte Touren gibt es per Fiaker vom Stephansdom aus zum Hundertwasserhaus, per Boot auf der Donau zum Hundertwasserhaus ab Anleger Reichsbrücke. Angeboten wird auch eine Hundertwasser-Stadtrundfahrt.
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