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Wie die Kälte auf unseren Körper wirkt Wie die Kälte auf unseren Körper wirkt: Warum zittern wir?

27.12.2018, 14:25
Wenn es draußen knackig kalt ist, hilft auf jeden Fall eins gegen drohende Erfrierungen: dick einpacken.
Wenn es draußen knackig kalt ist, hilft auf jeden Fall eins gegen drohende Erfrierungen: dick einpacken. dpa

Halle (Saale) - Die Stoffwechselprozesse des Menschen funktionieren bei etwa 37 Grad Celsius Körpertemperatur optimal. Schon geringe Abweichungen lösen einen Schutzmechanismus aus. Wie reagiert der menschliche Organismus auf Unterkühlung und wie kann man sich vor Kälteschäden schützen? Darüber hat Lutz Würbach mit dem Mediziner Michael Gekle gesprochen.

Warum frieren wir?
Gekle: Weil es unser Gehirn so will. Es verlangt eine optimale Temperatur zur Abstimmung der Stoffwechselprozesse für die wichtigen Organe.

Warum tut das Gehirn so etwas?
Gekle: Der Kopf sagt: Die Organe sollen 37 Grad haben. Sinkt dieser Wert, signalisiert das Hirn: Es ist zu kalt - Körper, tu etwas! Die Reaktion kann aber schon vorbeugend verlangt werden. Nämlich dann, wenn wir ins Freie gehen und die Temperaturfühler der Haut signalisieren, dass es kalt ist. Dann frösteln wir schon mal, obwohl die Körpertemperatur noch gar nicht beeinträchtigt ist.

Das erinnert an ein Thermostat.
Gekle: Genau. Das Hirn als Steuerzentrale ordnet an: Fenster zu und Feuer machen! Fenster zu bedeutet, die Haut wird weniger durchblutet, gibt deshalb weniger Wärme-Energie ab. Parallel wird der Stoffwechsel hochgefahren bis zum Zittern, um mehr Wärme zu produzieren.

Was hat das Zittern mit Wärme zu tun?
Gekle: Das Zittern ist nichts anderes als kleine, schnelle, rhythmische Bewegung von Muskeln. Und Muskelarbeit erzeugt bei der Verbrennung von Nährstoffen immer auch Wärme.

Unser Körper ist aber nicht an allen Stellen gleich warm, oder?
Gekle: Das stimmt. Wir unterscheiden die Kerntemperatur, die zwischen 36 und 38 Grad liegt, und die Körperschale. Das sind zum Beispiel Arme und Beine. Hier können die Temperaturen im Winter durchaus unter 30 Grad sinken.

Gibt es eine Wohlfühl-Temperatur?
Gekle: Falls die Umgebungstemperatur gemeint ist, dann fühlen sich Büroarbeiter zum Beispiel bei 22 bis 24 Grad wohl. Würden sie übrigens nackt sein, würde der Wert bei 28 bis 30 Gad liegen. Aber wer sitzt schon unbekleidet im Büro...

Ratsam bei Frost ist eine Mütze, weil bis zu 50 Prozent der Körperwärme über den Kopf abgegeben werden. Stirnband reicht nicht. Fäustlinge erhalten mehr Wärme in der Hand als Fingerhandschuhe. Im Zwiebellook kleiden, also lieber mehrere dünnere Pullover als einen dicken. Auf diese Weise wird die Isolierung verbessert. Auch zu enge Kleidung und Schuhe begünstigen Erfrierungen.

Feuchte und durchgeschwitzte Kleidung ist zu vermeiden. Wenn Feuchtigkeit auf dem Körper verdunstet, wird ihm Wärme entzogen. Außerdem isoliert nasse Kleidung schlechter als trockene.

Er ist ein nicht zu unterschätzender Faktor. Bei null Grad Celsius vermittelt schon ein schwacher Wind das Gefühl, es sei sechs Grad kälter. Stürmischer Wind senkt die gefühlte Temperatur um zehn Grad.

Das Gesicht sollte lieber abends als am Morgen gewaschen und mit fetthaltiger Creme geschützt werden. Größere Wanderungen bei strengem Frost sollten möglichst nicht alleine unternommen werden. Alkohol, Nikotin und Erschöpfung sind Faktoren, die die Kälte begünstigen. (luw)

Und bei 16 Grad schlafen wir am besten.
Gekle: Diese Meinung hält sich hartnäckig, ist aber gar nicht bewiesen. Für mich hat das eher etwas von Askese und Energiekosten-Einsparung. Tatsache ist, dass im Schlaf die Thermoregulierung nicht richtig funktioniert. Wir müssen uns deshalb zudecken, um nicht auszukühlen, was bei 16°C ohne Decke der Fall wäre. Letztlich soll jeder für sich selbst entscheiden, ob er bei 16 Grad gut schläft oder bei 20 Grad.

Warum erfrieren Eisbader nicht?
Gekle: Weil sie rechtzeitig aus dem Wasser kommen.

Na dann anders gefragt: Warum vertragen manche Menschen mehr Kälte?
Gekle: Die Menschen haben unterschiedlich hohe Energieumsätze. Wer viele Muskeln hat, kann mehr Wärme erzeugen. Das ist auch der Grund, warum in der Regel Männer später frieren als Frauen, die einen geringeren relativen Muskelanteil haben. Sie müssen ihre Temperatur in der Körperschale eher runterfahren, um mit ihrer geringeren Wärmeproduktion die Kerntemperatur halten zu können. In der Folge springen ihre Kältesensoren auf der Haut eher an. Außerdem hat jeder Mensch ein anderes Kälteempfinden, womit wir wieder beim Thermostat im Kopf wären.

Warum tun kalte Finger weh?
Gekle: Die Finger sind kalt, weil weniger Blut und damit weniger Sauerstoff durch sie fließt. Irgendwann tritt ein Sauerstoffmangel im Gewebe ein. Der Schmerz ist das Signal dafür.

Wer kalte Hände unter warmes Wasser hält, spürt auch einen Schmerz.
Gekle: Weil die Durchblutung rasant zunimmt und dabei Abfallprodukte aus dem Gewebe gespült werden.

Dann ist also ein heißes Bad bei einer Unterkühlung keine gute Idee?
Gekle: Besser ist es, wenn der Betroffene langsam aufgewärmt wird; am besten in eine warme Decke wickeln.

Oder mit Schnee einreiben, weil das die Durchblutung fördert.
Gekle: Bloß nicht! Der Schnee schmilzt auf der Haut und verdunstet. Bei der Verdunstung wird dem ohnehin unterkühlten Körper weitere Wärme entzogen.

Woran lässt sich eine drohende Erfrierung erkennen?
Gekle: Wenn jemand kalte Füße bekommt, tun sie zunächst weh. Irgendwann wird das Gewebe so kalt, dass die Schmerzsensoren nicht mehr reagieren. Der Schmerz ist weg, das Gewebe stirbt ab. Mit anderen Worten, wenn jemand im Winter im Freien unterwegs ist und das Gefühl hat, Zehen oder Finger nicht mehr zu spüren, wird es ernst.

Was ist dann zu tun?
Gekle: Bei Erfrierungen ersten Grades bleiben nach dem Aufwärmen keine nennenswerten Schäden zurück. Sind aber schon tiefere Gewebeschichten wegen der Kälte zerstört, ist medizinische Hilfe erforderlich. Wenn das nicht gleich möglich ist, sollte alles getan werden, um die Körperkerntemperatur auf mindestens 35 Grad zu bringen. Bei Erfrierungen zweiten Grades treten übrigens beim Aufwärmen Blasen auf. Schwarz-blau verfärbtes, hartes Gewebe ist totes Gewebe - Erfrierungen dritten Grades.

Was ist eigentlich Fieber?
Gekle: Bei Fieber heizt sich der Körper auf, weil das Gehirn einen höheren Wert verlangt. Dadurch werden die Abwehrkräfte unterstützt - das ist zumindest die gängige Erklärung. Aber wenn jemand Fieber hat und fiebersenkende Mittel bekommt, wird er trotzdem gesund. Möglicherweise ist Fieber für unseren Organismus ohne direkten Nutzen.

Zum Schluss noch eine ganz andere Frage: Warum läuft im Winter unsere Nase und tränen die Augen?
Gekle: Gute Frage, wahrscheinlich dient die bessere Durchblutung von Augen und Nase einem Schutzmechanismus. Bei der Nase kommt hinzu, dass sie die eingeatmete Luft erwärmt, wofür bei Kälte mehr Wärmeabgabe nötig ist. Aber ehrlich gesagt, das Laufen der Nase und Tränen der Augen macht eigentlich keinen Sinn, es ist eher ein Kollateralschaden des Schutzmechanismus. (mz)