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Kriminalität Kriminalität: Hunderte bei Gedenkgottesdienst für Jessica

06.03.2005, 18:06
Teilnehmer des Trauergottesdienstes für das Mädchen Jessica zünden am Sonntag (06.03.2005) in der Jenfelder Friedenskirche in Hamburg Kerzen an. Das Mädchen wurde am Dienstag (01.03.2005) in der elterlichen Wohnung von einem Notarzt verhungert aufgefunden. Das siebenjährige Mädchen wog 9,5 Kilogramm. (Foto: dpa)
Teilnehmer des Trauergottesdienstes für das Mädchen Jessica zünden am Sonntag (06.03.2005) in der Jenfelder Friedenskirche in Hamburg Kerzen an. Das Mädchen wurde am Dienstag (01.03.2005) in der elterlichen Wohnung von einem Notarzt verhungert aufgefunden. Das siebenjährige Mädchen wog 9,5 Kilogramm. (Foto: dpa) dpa

Hamburg/dpa. - Jessica war von ihren Eltern in einer Hochhauswohnung ohne genugEssen und Trinken in einem dunklen Zimmer eingesperrt worden. DasMädchen starb am Dienstag qualvoll. Die Mutter des Mädchens, die inUntersuchungshaft sitzt, soll schon früher eigene Kindervernachlässigt haben. Nach Berichten von «Spiegel» und «Focus» hattensowohl eine Tante der 35 Jahre alten Frau als auch ihr Ex-Mann vor 14Jahren und 1999 die Behörden darüber informiert.

Die Frau habe bereits ihren ersten Sohn in einem abgedunkeltenZimmer eingesperrt. «Der Kleine sah übel aus und war total verstört»,sagte die Tante. Der damals acht Monate alte Junge sei dann zuAdoptiveltern gekommen. Auch der spätere Ehemann der 35-Jährigenberichtete, die Frau habe die beiden gemeinsamen Kindervernachlässigt. «Sie kümmerte sich nicht um die Kleinen, wechseltekeine Windeln, kochte kein Essen», sagte er dem «Focus». Schließlichhabe er sich scheiden lassen und das Sorgerecht bekommen.

Der Mann wirft den Behörden Untätigkeit vor. Er habe bereits 1999das Jugendamt informiert. Der Sprecher der Hamburger Sozialbehörde,Rico Schmidt, sagte dem Bericht zufolge, die alten Fälle seienabgeschlossen gewesen. Deshalb finde sich in den Akten kein Eintragdazu.

Jessicas Mutter hatte am Dienstag einen Notarzt gerufen, weil dasMädchen leblos im Bett lag. Die Obduktion ergab, dass dieSiebenjährige an Erbrochenem erstickt war. Sie hatte einenDarmverschluss und konnte deshalb das Essen, das sie offenkundig nachlangem, zwangsweisem Fasten erhalten hatte, nicht bei sich behalten.Außerdem war das Kind bei nur noch 9,5 Kilogramm Körpergewicht völligausgetrocknet.

Der ärztliche Leiter der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrieam Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Peter Riedesser, sagte dem«Spiegel»: «Das ist aktive Folter, keine Vernachlässigung, und nurdamit erklärbar, dass die Eltern als Kinder selbst schwertraumatisiert wurden.»

Nach Polizeiangaben ließen die Mutter und der ebenfallsinhaftierte 49 Jahre alte Vater bei ihren Vernehmungen jedesSchuldbewusstsein vermissen. Die 35-Jährige beteuerte, sie habe ihrerTochter Essen angeboten. «Wenn sie nicht essen will, was soll ichdann tun?», habe sie gesagt.

Zum Trauergottesdienst hatte die Friedensgemeinde in dem HamburgerProblemstadtteil Jenfeld eingeladen. «Wir möchten einen Schutzraumfür Menschen schaffen, an dem sie ihrem sprachlosen Entsetzen undihrer Trauer Ausdruck geben können», schrieb Pastor Hagge in derEinladung. Unterdessen wurde der Leichnam zur Beerdigung freigegeben.Das Sozialamt werde die Kosten für eine «würdevolle Beisetzung»übernehmen, sagte Bezirksamtsleiter Gerhard Fuchs dem «HamburgerAbendblatt» (Samstag).

Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust (CDU) hatte nach dem Tod desMädchens am Dienstag eine lückenlose Aufklärung des Falls gefordert.Dabei müsse untersucht werden, wer in den Behörden verantwortlichgewesen sei. Bildungssenatorin Alexandra Dinges-Dierig (parteilos)kam am Freitag vorzeitig aus ihrem Urlaub zurück und ließ sich dieAkten vorlegen.

Der Sprecher der Schulbehörde, Alexander Luckow, wertete denVorfall als «fatalen und tragischen Irrtum». Ein Mitarbeiter hattedas Nichterscheinen des Mädchens zur Einschulung im Vorjahr nicht demJugendamt gemeldet. «Es war ein tragischer Irrtum eines Mitarbeitersvor Ort», sagte Luckow. Der Mann habe nach eigenem Ermessen gehandeltund lediglich den Eltern einen Bußgeldbescheid geschickt.

Ein Polizeiwagen steht vor dem Hochhaus in der Brieger Straße in Hamburg, in dem die siebenjährige Jessica verhungert ist. Nach den Erkenntnissen der Polizei war das bis auf 9,5 Kilogramm abgemagerte Kind in der Hochhauswohnung völlig isoliert von der Außenwelt aufgewachsen. (Foto: dpa)
Ein Polizeiwagen steht vor dem Hochhaus in der Brieger Straße in Hamburg, in dem die siebenjährige Jessica verhungert ist. Nach den Erkenntnissen der Polizei war das bis auf 9,5 Kilogramm abgemagerte Kind in der Hochhauswohnung völlig isoliert von der Außenwelt aufgewachsen. (Foto: dpa)
dpa