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Kindheit am Rande des KZ Kindheit am Rande des KZ: Walter Chmielewski ist der Sohn eines Massenmörders

Von Martina Scheffler 22.04.2016, 06:54
Ein altes Foto von Walter Chmielewski aus seiner Jugend
Ein altes Foto von Walter Chmielewski aus seiner Jugend dpa

Unterhaching - Die Sonne scheint auf die rosa Blütenblätter, die den Rasen des gepflegten Vorgartens fast zudecken. In einer hellen, gemütlichen Wohnung im Münchner Vorort Unterhaching ist der Tisch gedeckt, Kaffee und Kekse warten, im Hintergrund ertönt Musik von Frank Sinatra. Walter Chmielewski, ein freundlicher 86-Jähriger, empfängt im Janker den Besuch. Er ist der Sohn eines Massenmörders.

„Dass mein Vater ein Massenmörder ist, muss ich zugeben“, sagt er, und man merkt, wie schwer ihm der Satz fällt, obwohl jetzt ein Buch über seine Erinnerungen erschienen ist, obwohl sein Vater wegen fast 300-fachen Mordes schon 1961 verurteilt worden ist. Walter Chmielewski ist der Sohn von Karl Chmielewski, Lagerführer im KZ Gusen, einem Außenlager des KZ Mauthausen. Er wurde der „Teufel von Gusen“ genannt. „Der Sohn des Teufels“, so heißt nun das Buch, das - aufbauend auf Walter Chmielewskis Erinnerungen - Ende 2015 erschien.

Warum tut er sich das an, im hohen Alter? Jetzt habe er Zeit, sagt er. „Ich wollte einfach als Zeitzeuge mein Wissen und meine Erinnerung der Nachwelt zugute kommen lassen. Das ist so eine furchtbare Zeit gewesen, dass nachfolgende Generationen wissen sollten, wie es wirklich war.“ Leicht war es nicht, gibt er zu. „Ich habe das meiste jahrzehntelang verdrängt, das kam alles wieder hoch.“ Erst bei Recherchen für das Buch sei ihm klar geworden, dass sein Vater ein Massenmörder war. Das Urteil 1961 „hat uns völlig kaltgelassen, wir wollten ihn nicht mehr kennen“.

Der Weg zum Lagerleiter

Der Vater kommt 1940 nach Mauthausen, beaufsichtigt den Bau von Gusen, wird Lagerführer. Der junge Walter geht zum Haareschneiden zu einem inhaftierten Friseur, plaudert verbotenerweise mit Häftlingen. Die Morde, die der Vater begeht, sieht er nicht, doch er spürt, dass Schlimmes geschieht, riecht den Gestank vom Krematorium, sieht Häftlinge stundenlang als Strafe in der Kälte stehen. „Ich habe ihn nur entsetzt als Kind zur Rede gestellt, und er sagte, das sind alles Volksschädlinge.“ Privat sei der Vater „ein ganz normaler Mensch“ gewesen und ein völlig anderer, wenn er ins Lager ging. Alkohol spielte wohl auch eine Rolle. Geliebt habe er den Vater nie.

Die SS-Karriere des Vaters endet, als er selbst verurteilt wird, es ging wohl um Unterschlagung und Vergewaltigung. Da war er für Mutter und Sohn schon längst gestorben: Er hatte zwei Geliebte. Die Mutter war ein „hundertprozentiges Gegengewicht“ zum Vater, schildert Chmielewski. Wenn Häftlinge als Handwerker ins Haus kamen, aßen sie mit der Familie Brotzeit. Die Mutter bestand darauf, dass alle dasselbe Essen bekamen. Ein inhaftierter Professor habe nach der Befreiung gesagt: „Ihren Mann haben wir gehasst, aber Sie haben wir verehrt wie eine Madonna“, erinnert sich Chmielewski, und wie damals werden seine Augen feucht. Menschlichkeit, die hat auch er sich bewahrt, als er als 15-Jähriger einem Russen zur Flucht verhilft.

Nach dem Krieg hat er den Vater erst wieder nach seiner Begnadigung 1979 gesehen. Die Gefühle für ihn seien „absolut bei Null“ gewesen. Das hat dem Sohn wohl erst das unbeschadete Weiterleben ermöglicht, glaubt die Berliner Psychologin und Historikerin Tanja Hetzer, die Seminare anbietet, die Angehörigen von NS-Tätern bei der Verarbeitung der Familiengeschichte helfen. „Mit dem Vater brechen - das kann eine sehr gesunde Entscheidung sein. Oft gibt es noch die Illusion, da würde noch was kommen, Reue oder irgendeine Form von Erklärung. Diese Hoffnung ist sehr schwer ganz aufzugeben.“

Dass es nicht zu einer Aussprache kam, bereut Chmielewski nicht. Er träumt auch nicht vom Vater. Er träumt davon, dass er als 15-jähriger Kriegsgefangener im KZ Gusen Leichen begraben musste.

Ähnlichkeiten mit dem Vater?

Gibt es Ähnlichkeiten mit dem Vater? Er überlegt. Äußerlich vielleicht, sonst sei er ganz anders, sensibel, natur- und tierliebend, ein linker Sozialdemokrat. Kinder hat er nicht. Hat es bei ihm mit dem Vater zu tun? „Im Unterbewusstsein. Und heute Kinder in die Welt setzen?“ Die sei grausam, findet er.

„Es ist nicht selten, dass die Kinder von NS-Tätern selbst kinderlos sind, bewusst oder unbewusst“ erklärt Psychologin Hetzer. „Sie denken: Das geht weiter durch mich. Man wendet sich also gegen die eigenen Möglichkeiten, das ist autoaggressiv.“

Einen Schlussstrich gebe es nicht, glaubt der 86-Jährige. Eigentlich beginnt eine neue Lebensphase: Im Mai ist er im Fernsehen, im September in Mauthausen, andere Täterfamilien werden kommen. Kontakt zu Täterkindern wie Niklas Frank, der als Sohn des Generalgouverneurs der besetzten polnischen Gebiete, Hans Frank, in Büchern mit den Eltern abrechnete, hat er nicht, aber er ist da offen. Auch für Gespräche mit Opferfamilien. „Auch ein alter Mensch sollte sich noch ruhig mit Gegebenheiten der Welt befassen und in irgendeiner Form für Gerechtigkeit und Politik interessieren.“ Walter Chmielewskis Unruhestand geht weiter. Er will ein zweites Buch schreiben: „Der Dritte Weltkrieg. Arm gegen Reich“. Und dieses Mal allein. (dpa)