China China: Profi-Klageweiber machen Beerdigungen zur Show
Chongqing/afp. - Hu Xinglian kniet vor dem toten Liang Zhicai, mit einer Hand stützt sie sich auf den Metallsarg, aus ihrem Mund dringt schrilles Wehklagen. Es scheint, als betrauere die 53-Jährige den Tod des alten Mannes aus tiefstem Herzen - in Wahrheit ist sie ihm zu Lebzeiten nie begegnet. Hu ist eine «kusangren», ein professionelles Klageweib, wie sie in der chinesischen Provinz noch heute zum Einsatz kommen. Ihre Aufgabe ist es, die Trauerfeier in ein unvergessliches Spektakel zu verwandeln.
Deshalb hat Hu eine Lautsprecheranlage, mehrfarbige Scheinwerfer und eine sechsköpfige Band mit zu ihrem Einsatzort in Chongqing im Südwesten Chinas gebracht. Im Großraum der Stadt leben 30 Millionen Menschen, dennoch haben sich alte Traditionen wie die der Klagefrauen bewahrt. «Die Menschen auf dem Land zeigen immer noch großen Respekt vor ihren Vorfahren», sagt Hu, die sich als Ding Ding Mao - «Libelle» im örtlichen Dialekt - einen Namen in der Region gemacht hat.
Ihr Auftritt für den im Alter von 70 Jahren verstorbenen Liang findet in einem Zelt zwischen heruntergekommenen Häusern statt. Rund um den Sarg brennen Räucherstäbchen, als Opfergabe für den Toten liegen Früchte in einem Korb. Schnell fragt Hu einige der Trauergäste nach Einzelheiten aus Liangs Leben, sodass sie den Eindruck erwecken kann, den Verstorbenen schon lange gekannt zu haben. Nach dem gemeinsamen Abendessen mit der Familie - begleitet von reichlich Sichuan-Bier - zieht sich Hu ein weißes Kleid über. Weiß ist die Farbe der Trauer in China.
Freunde und Nachbarn des Toten sitzen am Rand des Zeltes, plaudernd, rauchend und telefonierend. Rund um den Sarg knien die Angehörigen. Ihre Augen sind auf Hu gerichtet, deren Klagegeschrei langsam seinen Höhepunkt erreicht. «Warum hast du uns so früh verlassen? Für dich hüllt sich die Erde in Trauer. Die Flüsse und Ströme weinen, um deine Geschichte zu erzählen - die eines ehrenwerten Mannes», singt sie. «Ich vergieße Tränen für deine Kinder und Enkel. Wir sind so traurig, dass du nicht bei uns bleiben konntest», säuselt Hu zwischen ihren Seufzern. «Das ist ein Abschied ohne Wiederkehr - pass gut auf dich auf!», ruft sie dem Toten zu. Hu tanzt, fällt zu Boden, richtet sich wieder auf, um sich dann wieder auf die Erde zu werfen. Als sie den Angehörigen schließlich die Hände schüttelt, sind diese sichtlich beeindruckt.
Danach wird der Abend fröhlich. Statt Trauermusik spielt die Band jetzt Pop, zwischendrin unterhalten die Musiker ihr Publikum mit lustigen Geschichten. Eine Bauchtänzerin tritt auf, ihr folgt die Tanzeinlage einer Frau in schwarzen Leder-Hot-Pants und Netzstrümpfen zu Technomusik.
Die Show sei keinesfalls ein Zeichen von mangelndem Respekt, beteuert Lin Shiqing, Liangs Nichte. «Der Abschied von den Toten ist ein sehr wichtiger Moment, und deshalb muss die Zeremonie anregend und lebhaft sein. Sonst würden die Leute im Dorf sagen, dass die Kinder keinen Respekt vor den Alten haben», sagt Lin. Das bestätigt auch die Gesellschaft für chinesische Beerdigungskultur. Die Tradition verlange, die Trauer vor der Beerdigung lautstark und mit vielen Tränen zum Ausdruck zu bringen, heißt es auf der Website der Gesellschaft.
Um dieser Tradition genüge zu tun, werden Klageweiber wie Hu engagiert. «Dieser Job ist sehr schwierig und anstrengend», sagt Hu. «Du must den Schmerz für die Familie zum Ausdruck bringen. Da muss man seine Gefühle wirklich gut unter Kontrolle haben.»