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Bundestagswahl 2025

Bundestagswahl 18 Thüringer im Bundestag – fast jeder zweite von der AfD

Jubel und Ernüchterung liegen bei den Thüringer Parteien nach der Bundestagswahl nahe beieinander. Die AfD hat die anderen Parteien überholt – manche sehen in ihr eine Volkspartei Ost.

Von dpa Aktualisiert: 24.02.2025, 16:14
Die AfD als neue Volkspartei - wie ein Politikwissenschaftler meint?
Die AfD als neue Volkspartei - wie ein Politikwissenschaftler meint? Sören Stache/dpa-Pool/dpa

Erfurt - Die AfD setzt ihre Sieges-Serie in Thüringen fort und erobert Platz eins bei der Bundestagswahl im Freistaat mit 38,6 Prozent der Stimmen. Für die Menschen in Thüringen war es die vierte Wahl in zwölf Monaten, die Wahlbeteiligung war mit 80,7 Prozent dennoch so hoch wie nie. Nach einem Turbo-Wahlkampf rangieren die Parteien zwischen Jubel, Demut und Ernüchterung. Erkenntnisse aus der Wahl:

Die AfD baut ihre Dominanz aus

Die Partei von Rechtsaußen Björn Höcke läuft doppelt so stark ins Ziel ein wie die CDU von Ministerpräsident Mario Voigt, die auf 18,6 Prozent kommt. Der Chef-Christdemokrat im Freistaat spricht von einem „Weckruf“, sieht die Verantwortung für das Ergebnis aber auch bei der gescheiterten Ampel-Regierung in Berlin. 

Auf Bundesebene machte die Union das Rennen, doch die AfD wird deutlich stärker im neuen Bundestag vertreten sein. „Diese Bundestagswahl war eine "Gegen-Wahl", sagt der Erfurter Politikwissenschaftler André Brodocz. 

Vielen Wählerinnen und Wählern sei es mehr darum gegangen, eine alte Regierung abzuwählen, statt eine neue ins Amt zu wählen. Zudem hätten sich viele auch gegen konkrete Politikerinnen und Politiker entschieden. „Insgesamt war die Zufriedenheit mit dem Spitzenpersonal diesmal sehr niedrig.“

AfD als neue Volkspartei Ost? 

Der Bochumer Politikwissenschaftler Oliver Lembcke sieht Entwicklungen aus Ostdeutschland auf Westdeutschland übergreifen. Die ostdeutschen Bundesländer seien eine Art Vorbote, in welche Richtung sich das politische System entwickelt. „Jedenfalls wird der Westen in dieser Weise östlicher als der Osten westlicher“, sagte Lembcke der Deutschen Presse-Agentur.

Er hat viele Jahre in Jena gelebt und gearbeitet. Lembcke sagte, die AfD sei eine Art Volkspartei in Ostdeutschland. Das bedeute nicht, dass die Bevölkerung in den neuen Bundesländern rechtsextrem sei. Aber ein Teil der Wählerschaft, der immer schon rechtsextrem war, habe in der AfD eine politische Heimat gefunden. Hinzu kämen Wählerinnen und Wähler mit einer gesteigerten Form der Unzufriedenheit – bis hin zu einer Systemablehnung. 

Unversöhnlichkeit im Wahlkampf

Seiner Einschätzung nach ist die hohe Wahlbeteiligung Ausdruck einer Polarisierung und einer großen Mobilisierung innerhalb der jeweiligen Lager. „Das geht Hand in Hand mit einer gewissen Unversöhnlichkeit über die Parteigrenzen hinweg“, sagte Lembcke. 

Die Linke kann es noch

Sieben von acht Wahlkreisen im Freistaat gingen an die AfD. Nur im Wahlkreis Erfurt-Weimar-Weimarer Land II konnte Ex-Ministerpräsident und Linke-Silberlocke Bodo Ramelow mit den meisten Erststimmen einen deutlichen Sieg erringen. Sein AfD-Kontrahent landete auf Platz zwei. 

Auf Bundesebene ist Ramelows Partei ein Comeback gelungen. „Das ist die neue Linke – jünger, weiblicher, an sozialem Ausgleich orientiert“, sagte Ramelow der dpa in Erfurt. Einen Grund für das gute Abschneiden seiner Partei sieht er in einem offensichtlich bestehenden Bedürfnis vieler Menschen, „sich links zu positionieren“. 

Mit der Ex-Linken Sahra Wagenknecht hätten einige Hundert Menschen die Linke verlassen, aber Tausende seien eingetreten. „Das ist jetzt eine andere Partei.“ In Thüringen kam die Linke auf 15,2 Prozent.

Schwächelndes BSW

Der Newcomer bei den vielen Thüringer Wahlen 2024 war das BSW. Bei der Bundestagswahl 2025, die Parteigründerin Sahra Wagenknecht besonders wichtig war, scheiterte die junge Partei knapp an der Fünf-Prozent-Hürde. 

In Thüringen holte das BSW mit 9,4 Prozent zwar deutlich mehr. Doch an den Erfolg bei der Thüringer Landtagswahl mit 15,8 Prozent konnte es nicht anknüpfen. Nach verpasstem Einzug in den Bundestag sieht Thüringens BSW-Chefin Katja Wolf die Landesverbände mit Fraktionen in Landtagen stärker in der Verantwortung. „Das ist kein Machtanspruch, aber eine Verantwortung, die wir haben“, sagte Wolf.

Kein Rückenwind für Brombeer-Koalition

Höcke sprach am Wahlabend davon, die Menschen hätten nicht nur die Ampel in Berlin, sondern auch die Brombeer-Regierung in Thüringen abgewählt. Ob diese Deutung zutrifft, ist offen. Rückenwind lässt sich für die ungewöhnliche Thüringer Koalition aus CDU, BSW und SPD jedoch auch nicht ablesen. 

Die CDU verbesserte sich trotz positiveren Bundestrends im Vergleich zu 2021 kaum. Damals erhielt sie 16,9 Prozent. Die SPD stürzte regelrecht ab – von 23,4 Prozent in 2021 auf 8,8 bei dieser Wahl. Für das BSW war es die erste Bundestagswahl. 

Ein Thüringer Bundestagsabgeordneter weniger 

Thüringen ist nach Angaben des Landeswahlleiters mit 18 Abgeordneten im neuen Bundestag vertreten – fast die Hälfte kommt von der AfD. Acht Politiker schafften den Einzug ins Parlament über ein Direktmandat in ihren Wahlkreisen, zehn Politiker zogen über die Landeslisten ihrer Parteien in den Bundestag ein. 

Bisher war Thüringen mit 19 Abgeordneten im Bundestag vertreten, acht von ihnen per Direktmandat. Wegen der Wahlrechtsreform ziehen bei der jetzigen Wahl nicht mehr automatisch alle siegreichen Wahlkreiskandidaten in den Bundestag ein – im Freistaat bekamen aber die Sieger aller acht Wahlkreise einen Sitz.