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MZ-Wirtschaftsnewsletter vom 19. September 2024 Rückkehr der Geopolitik: „America first“ wirft Intel-Ansiedlung zurück

Weitere Themen: Erste Lithium-Raffinerien in Europa / VNG zieht um /Rettungsdienst ist pleite / Flughafenausbau genehmigt

Aktualisiert: 19.09.2024, 10:20
Newsletter Intel
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als ich Anfang der 2000er Jahre studiert habe, gab es in der Volkswirtschaftslehre und der realen Wirtschaftspolitik nur ein großes Credo: Der Markt soll frei agieren, der Staat hat lediglich die Rahmenbedingungen zu setzen. Zudem sollte der Staat Reparaturbetrieb sein, um denjenigen zu helfen, die im System nicht erfolgreich sind. Diese Politik verfolgten mehr oder weniger die „Sozialdemokraten“ Tony Blair in Großbritannien und Gerhard Schröder in Deutschland. Ihr Vorbild war Bill Clinton in den USA, der 1992 den Wahlslogan hatte: „It's the economy, stupid.“ Die USA sind Westeuropa immer zehn Jahre voraus. Geopolitik spielte angeblich keine Rolle.

Diese Sicht auf die Welt konnte sich vor allem deswegen durchsetzen, da es westliche Firmen waren, die überall auf der Welt neue Märkte eroberten. Dafür durften Länder in Afrika, Asien und Südamerika Erz, Bananen und billige Turnschuhe liefern. Wer nicht ganz blind durch die Welt geht, musste aber spätestens bei der Finanz- und Wirtschaftskrise 2007/08 Zweifel bekommen, dass der Markt alles regelt. Über Nacht stand das westliche Finanzsystem vor dem Kollaps. Nur durch Staatseingriffe konnte eine Pleite von Deutscher Bank, Commerzbank & Co, verhindert werden. Eine kritische Auseinandersetzung damit, was passiert war, gab es allerdings nicht.

Ohne Zweifel ist Handel zwischen Unternehmen und Nationen wohlstandsfördernd. Doch die Gewinne sind oft ungleich verteilt. Durch politische Eingriffe kann das ausgeglichen, aber auch verstärkt werden. Aktuell drängt die Geopolitik mit aller Macht auf das wirtschaftliche Parkett. Lufthansa-Chef Carsten Spohr berichtete zuletzt in Dresden, dass es 2023 wöchentlich lediglich 24 Passagierflüge zwischen den USA und China gab. Das sind nicht einmal vier pro Tag – zwischen den beiden größten Wirtschaftsnationen. Ist das noch Globalisierung?

Die Vorbereitungen für die Intel-Ansiedlung in Magdeburg laufen bereits. Bagger legen Zufahrtsstraßen für das Gelände an.
Die Vorbereitungen für die Intel-Ansiedlung in Magdeburg laufen bereits. Bagger legen Zufahrtsstraßen für das Gelände an.
Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

Was „America first“ bedeutet, hat das Land Sachsen-Anhalt diese Woche erfahren. Der US-Chip-Gigant Intel teilte mit, dass der Konzern wegen finanzieller Probleme den Bau der 30 Milliarden Euro teuren Chipfabriken in Magdeburg um zwei Jahre verschiebt. Gleichzeitig wird der Bau der US-Fabriken in Arizona, Oregon, New Mexico und Ohio vorangetrieben. Das US-Militär machte noch einmal einen Auftrag von drei Milliarden Euro für Intel locker. Während des aktuellen US-Wahlkampfs ist es undenkbar, dass Intel-Chef Pat Gelsinger eine andere Entscheidung trifft. Intel ist auf die Milliardenhilfen der US-Regierung angewiesen, egal ob Harris oder Trump die Wahl gewinnt.

BSW und AfD überbieten sich nun mit Vorschlägen, wie die Bundesregierung die reservierten zehn Milliarden Euro Intel-Förderung an den deutschen Mittelstand verteilen soll. Der hallesche Wirtschaftsforscher Reint Gropp macht es nicht ganz so platt. Nach seiner Ansicht sollte das Geld in deutsche Schüler und Studenten sowie Start-ups investiert werden. Das klingt vernünftig.

Doch wie der Halbleiterexperte Frank Bösenberg im MZ-Interview darlegt, braucht Europa die Intel-Ansiedlung. Denn in Magdeburg sollen Chips mit den kleinsten Struktureinheiten hergestellt werden, die für KI-Anwendungen und Smartphones benötigt werden. Weltweit gibt es nur drei Konzerne, die diese produzieren. Liebe Leserinnen und Leser des Newsletters, bitte überlegen Sie kurz, wie viel sollte die Bundesregierung ausgeben, damit Sie weiter sicher ihr iPhone oder Samsung-Gerät kaufen können?

Chef von Meyer Burger: Gunter Erfurt war einer der wenigen Ostdeutschen, die ein internationales Unternehmen führen.Chef von Meyer Burger: Gunter Erfurt war einer der wenigen Ostdeutschen, die ein internationales Unternehmen führen.
Chef von Meyer Burger: Gunter Erfurt war einer der wenigen Ostdeutschen, die ein internationales Unternehmen führen.Chef von Meyer Burger: Gunter Erfurt war einer der wenigen Ostdeutschen, die ein internationales Unternehmen führen.
Foto: Sebastian Willnow/dpa

Ein anderes Beispiel ist die Solarindustrie: Als Chef des Solarherstellers Meyer Burger wollte Gunter Erfurt die Solarindustrie nach Deutschland zurückbringen. Damit ist der sächsische Physiker gescheitert. Am Mittwoch gab Erfurt seinen Rückzug als Unternehmenschef bekannt. In Deutschland wurden im vergangenen Jahr Solaranlagen mit einer Spitzenleistung von 14 Gigawatt gebaut. Nun scheint die Sonne häufig nicht. Dennoch: Es ist die Spitzenleistung von etwa sieben Atomkraftwerken. Die Solarmodule kommen zu 95 Prozent aus Asien – vor allem aus China. Ist es wirtschaftlich gesund, ein neues Energiesystem aufzubauen, ohne dadurch industrielle Wertschöpfung hierzulande zu erzeugen?

Diese Zeilen sind kein Ruf nach Protektionismus. Es ist immer richtig, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ­– sei es bei der Infrastruktur, der Bildung oder den Energiepreisen – zu verbessern. Das ist eine notwendige Bedingung, damit die Wirtschaft gut läuft. Das ist die Mindestanforderung. Es muss aber auch über hinreichende Bedingungen gesprochen werden, wie sich hierzulande Hightech-Firmen ansiedeln. Und dann ist man leider ganz schnell beim Thema Subventionen.

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Bis kommende Woche, herzlich Steffen Höhne

Wichtige Wirtschaftsthemen der Woche aus Mitteldeutschland

Rohstoff für E-Autos

Die Firma AMG hat in Bitterfeld-Wolfen die erste europäische Lithium-Raffinerie errichtet. Wie Unternehmerlegende Heinz Schimmelbusch die Abhängigkeit von China verringern will. (MZ)

In den vergangenen zwei Jahren wurde die Lithium-Raffinerie gebaut. Dafür wurden 140 Millionen Euro investiert.
In den vergangenen zwei Jahren wurde die Lithium-Raffinerie gebaut. Dafür wurden 140 Millionen Euro investiert.
Foto: AMG

„Sozialismus mit Westgeld“

Seit 22 Jahren arbeitet Eike Rau im VW-Werk in Wolfsburg – wie tausende andere Sachsen-Anhalter. Den angekündigten Jobabbau im Konzern sieht er kritisch. Der 60-Jährige spricht von vielen Managementfehlern. (MZ)

VW-Mitarbeiter Eike Rau steht vor dem Heizkraftwerk am Standort Wolfsburg. Es gilt mit seinen vier hohen Schornsteinen als Wahrzeichen der Stadt.
VW-Mitarbeiter Eike Rau steht vor dem Heizkraftwerk am Standort Wolfsburg. Es gilt mit seinen vier hohen Schornsteinen als Wahrzeichen der Stadt.
Foto: Höhne

Autozulieferer in der Krise

Wegen Auftragsrückgängen geraten viele Zulieferer in die Krise. Der nun angekündigte Sparkurs bei VW könnte die Lage auch in Mitteldeutschland noch einmal verschärfen. (MZ)

Flughafenausbau genehmigt

Nach gut vier Jahren umfangreicher Prüfung ist der umstrittene Ausbau des Flughafens Leipzig/Halle genehmigt. Allerdings gibt es einige Auflagen. (MZ)

Firmen fordern Tempo bei der Energiewende

In Sachsen fordern mehr als 60 Unternehmen mehr Tempo bei der Energiewende. Das geht aus einem Appell von Firmen diverser Branchen hervor. Das Papier wurde am Dienstag zum Auftakt des Ostdeutschen Energieforums in Leipzig vorgestellt. (MDR)

VNG zieht um

Der Leipziger Gaskonzern VNG wird mit seiner Zentrale in ein ehemaliges Gebäude der Telekom am Hauptbahnhof einziehen. Ein geplanter Neubau war offenbar zu teuer. (MZ)

Das ehemalige Telekom-Verwaltungsgebäude wird ab 2027 neuer Firmensitz der VNG in Leipzig.
Das ehemalige Telekom-Verwaltungsgebäude wird ab 2027 neuer Firmensitz der VNG in Leipzig.
Foto: VNG

Forschungszentrum für Autos

Die Uni Magdeburg hat ein neues Forschungszentrum - das Center for Method Development in Barleben. 39 Millionen Euro wurden investiert. Dort können Wissenschaft und Unternehmen am Auto der Zukunft tüfteln. (VS)

Rettungsdienst ist pleite

Es war der letzte familiengeführte Rettungsdienst in Sachsen: Doch weil die Firma beim Umbau der Leipziger Rettungsdienste nicht mehr zum Zuge kommt, geriet sie in finanzielle Schieflage. Wie es jetzt für die 90 Mitarbeiter weitergeht, ist noch unklar. (LVZ)

Höchstes Windrad der Welt

Bei Klettwitz, nahe der Landesgrenze von Sachsen und Brandenburg, wird jetzt ein 365 Meter hohes Windrad gebaut. Eine neue Dimension - aus gutem Grund. (SZ)