MZ-Wirtschaftsnewsletter vom 14. November 2024 Autozulieferer im Abstiegskampf: Warum auch sehr erfolgreiche Firmen Probleme bekommen
Weitere Themen: Zu wenig Lkw für Geschenke / Wasserstoff-Firma ist pleite / Kritik an Wohnungsverkauf / Veruntreuung bei Volkssolidarität / Opel-Werk gefährdet?
es vergeht derzeit keine Woche, in der nicht ein Autozulieferer in Mitteldeutschland Stellenstreichungen bekannt gibt: Das Unternehmen Bohai Trimet will am Standort Harzgerode (Landkreis Harz) und im Werk im thüringischen Sömmerda insgesamt 150 Stellen abbauen.
Begründet wird das mit Umsatzrückgängen. Das Magna-Werk in Roitzsch (Anhalt-Bitterfeld) mit zuletzt noch 220 Mitarbeitern wurde im Oktober geschlossen. Der Automobilzulieferer AE-Group aus Gerstungen (Thüringen) mit 600 Mitarbeitern hat wegen Auftragsrückgängen Insolvenz angemeldet. Die Liste ließe sich fortsetzen.
Als Grund werden meist Absatzrückgänge bei den großen Automobilherstellern angegeben oder die Absätze in der E-Mobilität steigen nicht wie geplant. Warum auch sehr erfolgreiche Unternehmen leiden, habe ich bei einem Besuch des großen Walz- und Recyclingwerkes von Novelis in Nachterstedt im Harzvorland recherchiert.
An dem Standort arbeiten insgesamt 1.200 Mitarbeiter, die unter anderem Aluminiumbleche für 350 Fahrzeugmodelle herstellen. Zu den Kunden zählen alle großen deutschen Hersteller: VW, Audi, Mercedes oder BMW.
Die Walzanlage ist ein 176 Meter langer und 22 Meter hoher Koloss. In einem kontinuierlichen Prozess laufen Aluminiumbleche über die Bänder. In einem 650 Grad heißen Ofen werden diese kurzzeitig erwärmt und wieder abgekühlt. Der Prozess läuft am besten 24 Stunden am Tag. Die Öfen können zwar an- und abgestellt werden. Doch das kostet viel Geld.
Folker Ohle, Vice President Produktion von Novelis Europa, spricht von Absatzrückgängen von zehn bis 20 Prozent im Automobilgeschäft. „Wir haben bei Novelis zwar ein breites Produktspektrum, doch dies können wir nicht so einfach ausgleichen“, so Ohle. Das heißt, werden die Kapazitäten nicht ausgelastet, geht die Rentabilität deutlich zurück.
Der Standort ist in der Aluminiumverarbeitung weltweit ein Vorbild, weil an ihm das Leichtmetall gleichzeitig recycelt wird. Novelis-Europachef Emilio Braghi betont, dass der Recyclinganteil in den Produkten stetig erhöht wird.
„Wir können inzwischen Aluminium für Fahrzeugkarossen mit einem Recyclinganteil von 86 Prozent gießen“, sagt Braghi. Durch die Wiederverwendung ließen sich die Energiekosten im Vergleich zur primären Aluminiumproduktion um 95 Prozent senken.
In mehreren Öfen wird der Aluminium-Schrott eingeschmolzen. Die Öfen werden mit Erdgas betrieben. Obwohl Novelis auf Kreislaufwirtschaft setzt, benötigt der Standort so viel Energie wie 400.000 private Haushalte im Jahr.
Laut Braghi sind die Hauptkosten im Werk Personal und Energie. Auch nach der Energiepreiskrise sei der Gaspreis noch doppelt so hoch wie vorher. „Das ist ein massives Problem für unsere europäischen Standorte“, sagt er. Auch bei den industriellen Stromkosten liegt Deutschland im weltweiten Vergleich mit an der Spitze (siehe Grafik).
Dabei ist der ökologische Fußabdruck des Werks durch das Recycling sehr gering. Die Aluminium-Bleche aus denen Motorhauben, Türen und Kotflügel sind wegen ihres geringen Gewichts bestens geeignet für E-Autos. Doch sinkende Absätze bei gleichzeitig hohen Energiekosten sind ein Mix, der den Novelis-Managern Kopfzerbrechen bereitet.
Es wäre dringend erforderlich, dass die Bundespolitik über Sofortmaßnahmen berät, wie die Industrie bei den Energiekosten schnell entlastet werden kann. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte im Wahlkampf 2021: „Strom muss in Deutschland günstiger werden. Denn unsere Unternehmen müssen im internationalen Wettbewerb bestehen können. Mein Ziel ist ein Industriestrompreis von vier Cent.“
Der durchschnittliche Strompreis für mittlere Industriebetriebe (inkl. Stromsteuer) befindet sich 2024 bei 16,65 Cent. Doch bis zur Bundestagswahl im Februar wird die Politik nur mit sich selbst beschäftigt sein. Die Pleiten in der Zulieferindustrie werden daher weitergehen.
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Bis kommende Woche, herzlich Steffen Höhne
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