"Würde es wieder tun" "Würde es wieder tun": Warum ein Pastor dem obdachlosen Erich Honecker Asyl gab
Serrahn/Lobetal - An die bewegten Zeiten vor 30 Jahren denkt der 90-jährige Uwe Holmer eher selten. Obwohl er und Lobetal, das christliche Dorf bei Berlin, damals im Licht der Weltöffentlichkeit standen.
Als der gestürzte DDR-Staatschef Erich Honecker (1912-1994) und seine Frau Margot nach Auflösung der Wohnsiedlung Wandlitz für die SED-Führung nicht mehr wussten, wo sie bleiben sollten, gaben Holmer und seine Mitstreiter ihnen Asyl. Vom 30. Januar 1990 an lebten die Honeckers zehn Wochen in Lobetal. Dort leitete Holmer die Hoffnungstaler Anstalten, in denen rund 650 Beschäftigte mehr als 1000 Behinderte, Senioren und Suchtkranke betreuten.
„Damals ließ der DDR-Rechtsanwalt Wolfgang Vogel bei der Kirche anfragen, ob sie „Erich und Margot“ aufnehmen würde“, sagte der 90-Jährige der Deutschen Presse-Agentur. „Wir haben dann gesagt, der neue Weg kann nur gelingen, wenn der Wandel in Frieden geschieht.“ Rückblickend habe sich das bewahrheitet, so Holmer, der seit Jahren im mecklenburgischen Serrahn (Landkreis Rostock) lebt. In Lobetal war er damals als Leiter der kirchlichen Einrichtung zugleich der Bürgermeister.
Kritiker an Aufnahme Honeckers innerhalb der Kirche
„Ich würde es wieder tun und habe das auch nie bereut“, resümiert der rüstige Holmer in seinem Wohnzimmer die Ereignisse von damals und die Entwicklung bis heute. Und das, obwohl es auch innerhalb der Kirche viele kritische Stimmen gegeben habe.
Etliche bewegende Briefe und seine Erlebnisse damals hat er in dem Buch „Der Mann, bei dem Honecker wohnte“ beschrieben. Das 200-seitige Buch ist seit seinem Erscheinen 2009 bereits in der neunten Auflage erschienen. „Das sind fast 30.000 Exemplare, das ist für einen christlichen Verlag richtig gut“, erläuterte der Sprecher der SCM Verlagsgruppe (Holzgerlingen), Jürgen Asshoff.
„Es hat mich damals sehr geärgert, dass der Generalstaatsanwalt der DDR Honecker plötzlich des Hochverrats beschuldigte“, erklärt der Pastor. Ausgerechnet Leute, die ohne die SED nichts geworden wären, hätten den Mann plötzlich behandelt, „als wäre er das Schlimmste“. Wenn man Vergebung predige, dann müsse man sie auch praktizieren, war Holmers Leitgedanke. Lobetal war einst auch für Obdachlose aus Berlin gegründet worden, lautete ein anderes Argument.
Manfred Stolpe erleichtert über Holmers Angebot
Die letzten Absprachen habe er kurz vorher in Berlin mit dem damaligen Konsistorialpräsidenten Manfred Stolpe - dem späteren Ministerpräsidenten von Brandenburg - getroffen, der sehr erleichtert über Holmers Angebot gewesen sei.
Das ganze Dorf Lobetal habe sich damals um ihn geschart, nur deshalb sei das Wagnis auch gut gegangen. Da es viele Voranmeldungen auf Wohnplätze in Lobetal gab, wollten die Holmers Honecker aber nicht bevorzugen. Deshalb wurde das bekannteste Ehepaar der DDR in Holmers Haus untergebracht. Wo früher zehn Kinder wohnten, waren 1990 nur noch zwei Kinder im Haus.
Bis auf gelegentliche Proteste blieb es auch ruhig. Viele Leute der Diakonie hätten mit den Protestlern diskutiert, erinnert sich Holmer. Er habe mit dem kranken SED-Chef Spaziergänge unternommen. Dieser habe sich nie filmen lassen wollen. Seine Frau Margot (1927-2016) sei immer korrekt gewesen und nie hochnäsig. Später, als Erich Honecker im Gefängnis in Berlin-Moabit einsaß, habe er ihn noch einmal besucht.
Briefkontakt mit Margot Honecker
„Da habe ich ihm gesagt, der Sozialismus hat einen großen Fehler gemacht.“ Der Mensch sei ein Sünder, ein Egoist - deshalb müsse man bei den Herzen anfangen und nicht bei Verhältnissen. Da habe Honecker nur gesagt: „Wenn Sie meinen.“
Der Kontakt zu Honeckers kam später zum Erliegen. Lange seien noch Briefe von Margot Honecker aus Chile zu Weihnachten gekommen, die immer dankbar für die Hilfe damals gewesen sei. Nach ihrem Tod 2016, habe sich weder ein Enkel noch die Tochter dieser Familie noch einmal gemeldet.
Lange hatte Holmer nicht die Zeit, an den aufregenden Lebensabschnitt zu denken. Im Zuge der Wende gab es eine neue Struktur in Lobetal und er wechselte nach Serrahn, wo die Diakonie eine Suchtklinik betreibt. Dann starb sehr früh seine erste Frau.
Holmer: „Gutes kann nur im Frieden geschehen“
Heute hat er eine so große Familie, dass er mit Helfern „Enkelfreizeiten“ einmal im Jahr veranstaltet, um möglichst viele zu sehen. Er hat zehn Kinder, 49 Enkel und 40 Urenkel, dazu kommen die Kinder und Enkel seiner zweiten Frau. Die nächste „Enkelfreizeit“ am Krakower See hat Holmer für Ende Juli geplant: „Wir müssen immer zusehen, dass möglichst alle Bundesländer zugleich Ferien haben.“
Auch die aktuelle Politik verfolgt Holmer aufmerksam: „Was ist das nur für ein Durcheinander im Nahen Osten?“, fragt er mit Blick auf Irak, Syrien und den Iran. Die „Großen“ mischten auf beiden Seiten mit. „Gutes kann nur im Frieden geschehen“, sagt er. (dpa)