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Tröglitz Tröglitz: Markus Nierth sah Rücktritt als letzten Ausweg

Von Alexander Schierholz 09.03.2015, 21:00
Nach dem Rücktritt: Markus Nierth ist am Montag in Tröglitz ein gefragter Interviewpartner.
Nach dem Rücktritt: Markus Nierth ist am Montag in Tröglitz ein gefragter Interviewpartner. Hartmut Krimmer Lizenz

Tröglitz - Er hat eigentlich gar keine Zeit. Er muss zum nächsten TV-Interview, der Reporter wartet schon. Aber Mandy Neugebauer lässt Markus Nierth nicht gehen. Sie hält ihn auf, drückt ihn kurz, als wollte sie sagen: Wir stehen hinter dir! Es ist nur eine kleine Geste, aber sie sagt viel aus über Tröglitz in diesen Tagen.

Bis Donnerstag voriger Woche war Nierth, 46, noch Ortsbürgermeister des 2?700-Einwohner-Ortes bei Zeitz im Burgenlandkreis. Dann trat er zurück. Weil Neonazis wegen einer im Dorf geplanten Asylbewerber-Unterkunft vor seinem Haus demonstrieren wollten. Weil er seine Familie schützen wollte. Weil er sich von den Behörden im Stich gelassen fühlte.

Viel Verständnis für den Rücktritt

Ein Bürgermeister kapituliert vor Rechtsextremisten. So kann man es sehen. Viele in Tröglitz aber sehen es anders, sie haben Verständnis für den Rücktritt: „Ich hätte an seiner Stelle genauso gehandelt“, sagt Mandy Neugebauer. „Wenn das die einzige Möglichkeit ist, seine Familie zu schützen, dann ist das zu respektieren“, meint Susanne Wendler. Nathanael Kolbe steht vor der Sparkassenfiliale in der Ortsmitte. „Es ist sicher schwer, so einem Druck standzuhalten“, sagt er. Und sie alle wissen: Es muss eine Menge schiefgelaufen sein, wenn ein ehrenamtlicher Kommunalpolitiker diesem Druck nicht standhält.

Einwohner wurden frühzeitig informiert

Dabei hat Markus Nierth eigentlich alles richtig gemacht. Schon als kurz vor Weihnachten die Absicht des Landkreises bekannt wurde, rund 40 Flüchtlinge in Tröglitz unterzubringen, hat er im Mitteilungsblatt der Gemeinde darüber informiert. Nicht so wie in unzähligen anderen Orten, wo die Einwohner erst von den Zuwanderern erfuhren, als diese bereits eingezogen waren. Und Neonazis Stimmung machten.

In Tröglitz aber machen die Neonazis seit dem Beitrag im Gemeindeblatt erst recht Stimmung. Seit Jahresbeginn gibt es regelmäßig Demonstrationen gegen die Aufnahme der Flüchtlinge, angemeldet von einem Kreistagsabgeordneten der rechtsextremen NPD. Rund?100 Menschen marschieren dann durch die Straßen, sie nennen das verharmlosend „Lichterspaziergang“. Rechte aus Thüringen sind dabei, aber eben auch Menschen aus Tröglitz.

Nur Aufklärung hilft

Die Rechtsextremen hätten es geschafft, mit Stammtischparolen manche hinter dem Ofen hervorzulocken, sagt Karl Mück. Dagegen helfe nur aufklären, aufklären, aufklären, meint der ehemalige Bürgermeister und Verwaltungschef. Gerade in Ostdeutschland, „wo wir Weltpolitik nur aus dem Fernsehen kennen und viele Menschen an Migranten nicht gewöhnt sind“. Weil es so gut wie keine gibt.

Auch Mück findet, Nierth habe richtig gehandelt. Und meint damit sowohl die frühzeitige Information des Ortsbürgermeisters als auch dessen Rücktritt. „Als Amtsträger muss man allerhand wegstecken können“, weiß Mück, 76, aus eigener Erfahrung. „Aber jeder hat das Recht zu sagen, bis hierher und nicht weiter.“

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Bei Markus Nierth war diese Grenze erreicht, als er von der Polizei erfuhr, die Neonazis wollten diesmal vor seinem Haus aufmarschieren. Aber angefangen hat es schon lange vorher. Nierth erzählt von fremdenfeindlicher Hetze in sozialen Netzwerken, nachdem sein Beitrag im Gemeindeblatt erschienen war. Er hielt dagegen, und dann, sagt er, „hat sich das auf meine Person fokussiert“. Er wurde beschimpft, jemand postete das Foto eines geköpften syrischen Mädchens, mit der Bemerkung, so etwas könne bald auch in Tröglitz passieren. Kübelweise Dreck. Sogar am schwarzen Brett der Gemeinde, wo Unbekannte Nierths Informationen zu den Flüchtlingen einfach überklebt haben mit ihrer Sicht der Dinge. Dort wird sogar sein Name verunglimpft.

In Interviews wiederholt Nierth an diesem Tag beinahe gebetsmühlenartig, was er schon seit Tagen beteuert: „Ich bin doch nicht aus Angst vor denen zurückgetreten.“ Nein, sagt er, es gehe ihm darum, „dass hier mal etwas rechtlich klargestellt wird“. Dass es nämlich nicht sein könne, dass Neonazis einfach so vor dem Haus ehrenamtlicher Kommunalpolitiker aufmarschieren könnten. „Es geht mir um den Schutz meiner Kollegen.“

Stahlknecht kündigt Erlass an

So gesehen, hat der Rücktritt von Markus Nierth Erfolg gehabt. In Magdeburg kündigt Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) am Mittag einen Erlass an, der es den Landkreisen ermöglichen soll, Demonstrationen vor den Häusern ehrenamtlicher Politiker künftig zu verbieten.

In Tröglitz wurde die Demo-Route erst entsprechend geändert, als Nierth schon nicht mehr im Amt war. So weit hätte es nicht kommen müssen, findet Karl Mück. „Das Ordnungsamt der Gemeinde hätte reagieren müssen“, sagt der ehemalige Bürgermeister. Schließlich sei bekannt gewesen, dass in der Kirche in der Nähe von Nierths Haus zeitgleich ein Friedensgebet geplant war. Mit dem Wissen um diese Konstellation hätte man den Neonazi-Aufmarsch an dieser Stelle aus Sicht Mücks unterbinden können.

Tröglitz gehört zur Gemeinde Elsteraue, der Bürgermeister heißt Manfred Meißner. Der parteilose Kommunalpolitiker mag sich zu der ganzen Geschichte nicht äußern, schon seit Wochen nicht. „Ich habe ihn vor geraumer Zeit mal auf das Thema Flüchtlinge angesprochen“, erinnert sich Mück. „Seine Antwort war: Bevor der Kreistag nichts entschieden hat, gibt es keine Gespräche.“

Dann kamen die Neonazis. Und Markus Nierth ging. (mz)