Streit um Sozialplan Streit um Sozialplan: Pfiffe gegen die Heuschrecken
Nordhausen/MZ. - Im grünen Overall, auf dem das Emblem einer Heuschrecke klebt, steht Werner Ropfe auf dem Werkshof von Bike Systems. Über ihm hängt ein Transparent: "Wir lassen uns von der Heuschrecke Lone Star nicht auffressen." Seit 19 Jahren arbeitet der 56-Jährige beim Nordhäuser Fahrradhersteller. "Ich kann einfach nicht fassen, dass unser Werk über Nacht geschlossen wird - ohne jede Chance zum Neuanfang." Aus seiner Stimme klingen Wut und Hilflosigkeit.
Kein faires Angebot
Ropfe wirkt müde, seine Falten graben sich tief ins Gesicht. Fast die gesamte Belegschaft hält seit Montagabend das Betriebsgelände besetzt. Mit Trillerpfeifen stehen die Bandarbeiter auch vor dem Werk an der Straße. In der öffentlichen Aktion sehen sie den letzten Ausweg, der drohenden Abwicklung durch ihren Gesellschafter, den amerikanischen Finanzinvestor Lone Star Funds, zu entgehen. Von Lone Star fühlen sich die 135 Beschäftigen verraten und verkauft und setzen dem Finanzinvestor die Fratze der Heuschrecke auf.
Am 20. Juni teilte die Geschäftsführung von Bike Systems den Mitarbeitern mit, dass das Fahrradwerk zum 30. Juni dichtgemacht wird. Die Verhandlungen über einen Sozialplan sollten am Montag beginnen. Doch schon nach dem ersten Treffen mit dem Betriebsrat gingen die Mitarbeiter auf die Barrikaden. "Das Angebot von Lone Star bestand eigentlich aus Nichts", empört sich Betriebsratschefin Heidrun Kirchner. Nicht einmal das Geld für zustehende Löhne für die Dauer der Kündigungsfrist sei vorhanden. Die Mitarbeiter fordern zweierlei: Einen soliden Sozialplan mit Auffanggesellschaft und die Suche nach einem neuen Investor. Lone Star werfen sie vor, das Werk in den Ruin getrieben zu haben, um den Wettbewerber, die Mitteldeutschen Fahrradwerke (Mifa) aus Sangerhausen, zu stärken. Auch bei Mifa, mit 500 Beschäftigten der größte Arbeitgeber der Region, ist Lone Star engagiert.
Bike-Systems-Geschäftsführer Frederik Müller schüttelt den Kopf. Im Nachbarhaus auf dem Betriebsgelände tritt der Mittdreißiger im weißem Hemd vor die Tür: "Wir wollen einen Interessensausgleich und Sozialplan für die Beschäftigten, auch unter Einbindung einer Beschäftigungsgesellschaft. Dafür stehen Bike Systems auch finanzielle Mittel zur Verfügung." Eine Betriebsbesetzung werde nicht toleriert. "Wir wollten Nordhausen sanieren, haben dies aber nicht geschafft", so Müller. An den guten Absichten von Lone Star zweifeln die Mitarbeiter und die Gewerkschaft. Ende 2005 übernahm der Finanzinvestor den damals mit einer Jahresproduktion von einer halben Million Rädern zweitgrößten deutschen Fahrradhersteller Biria mit Werken in Neukirch (Sachsen) und Nordhausen (Thüringen). Das Sanierungskonzept wurde laut Lone Star jedoch aufgrund des schwierigen Marktes aufgegeben.
Kaum noch Hoffnung
Ende 2006 wurde das Werk in Neukirch in Sachsen mit 250 Mitarbeitern geschlossen. Da Betriebsrat und Firmenleitung keine Einigung über die Schließung erzielen konnten, musste eine unabhängige Einigungsstelle den Sozialplan festlegen. Vorräte, Lagerbestände und Kundenverträge im Wert von acht Millionen Euro wurden von Biria an die Mifa in Sangerhausen verkauft. Die börsennotierte Mifa bezahlte dies nach eigenen Angaben, indem Lone Star über eine Kapitalerhöhung 25 Prozent Gesellschafteranteile erhielt. Der letzte Biria-Chef Marcus Brüning ist heute Finanzvorstand der Mifa. "In die Insolvenz sollte Neukirch nie gehen, denn dann hätte die Gefahr bestanden, dass ein Insolvenzverwalter einen neuen Investor findet", meint Andre Koglin, erster Bevollmächtigter der IG-Metall Bautzen. Für ihn eine Art Marktbereinigung. Es gibt nicht wenige in der Branche, die dies auch für nötig halten.
Mit der Stilllegung von Neukirch gingen auch Nordhausen die Aufträge verloren. Im letztem halben Jahr produzierte Bike Systems nur als Lohnfertiger für die Mifa. "Trotz unserer Bemühungen konnte der Vertrag nicht verlängert werden. Anschlussaufträge wurden nicht gefunden", so Müller. Bei IG-Metall-Chef Koglin löst das nur Spott aus: "Frederik Müller hat mit Brüning das Werk in Sachsen abgewickelt." Danach wurde er mit dem gleichen Ziel nach Nordhausen geschickt. Müller bestreitet dies.
Gibt es noch Hoffnung für das Thüringer Werk? Die großen Werkhallen sind gespenstisch leer. Das 15 Meter hohe Hochregallager fast komplett geräumt. "Unsere Bandanlagen stehen aber noch", sagt Henry Voigt. Bis zuletzt wurde hier im Akkord gearbeitet. "Wenn uns jemand Material liefert, könnte es sofort losgehen" sagt er. "Die Hoffnung stirbt zuletzt." Doch er ahnt, dass dies nur eine Phrase ist.