1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Strafvollzug: Strafvollzug: Basteln gegen Frust im Knast

Strafvollzug Strafvollzug: Basteln gegen Frust im Knast

Von ANTONIE STÄDTER 09.09.2009, 18:32

EISLEBEN/MZ. - Wegen Raubes wurde sie zu zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Zuvor hat sie bereits vier Jahre in Haft verbracht, weil sie eine Bank überfallen hatte. Und nun sitzt sie mit zehn anderen Frauen an einem langen Tisch im Mehrzweckraum des Frauengefängnisses in Eisleben und ist ganz vertieft darin, eine hübsche Grußkarte für ihre Mutter zu gestalten. Den Kreativkurs alle zwei Wochen verpasst sie nie.

Lange Stunden im Haftraum

"Ich bastele hier viel für meine Eltern, die mich unterstützen", sagt sie. Zeit habe sie ja nun. Zu viel Zeit, naturgemäß. Denn die Stunden in der Zelle können lang werden - trotz der täglichen Arbeit und der Beschäftigungen, die sie sich gesucht hat. Wenn sie allein ist, schreibt sie Briefe nach draußen oder zeichnet Comics zu einer Geschichte, die sie sich ausgedacht hat. Sie malt ihre Amerikanische Bulldogge, die bei einer Freundin untergebracht ist, liest ein Buch oder beschäftigt sich mit dem Boxen. Und denkt über ihre Vergangenheit nach: "Ich bin ruhiger geworden - früher war ich eher aggressiv." Der Kreativkurs sei eine Abwechslung zum Gefängnisalltag. "Das tut gut", sagt die Insassin, die Tischlerin gelernt hat, aber im Box-Sport ihre Zukunft sieht.

Gleich neben ihr sitzt Melanie P., ebenfalls 26, und überlegt noch, ob sie heute eine Karte mit Wachstechnik, im 3-D-Effekt oder mit Stickern verzieren wird. Die beiden Frauen haben sich hier angefreundet. Bei solch einem Freizeitangebot lerne man sich besser kennen als sonst, sagt P., die wegen Körperverletzung in Haft ist. "Es ist schön, dass man etwas zusammen machen kann", sagt auch Martina W., 48. Das verbindet. Und: "Es gibt nicht so viel Streit." Schließlich träfen im Gefängnis ganz verschiedene Menschen aufeinander, fügt sie erklärend hinzu. Anfangs, als sie noch nicht gearbeitet hat und die meiste Zeit in der Zelle war, sei sie sehr mutlos gewesen. Im Kreativkurs könne sie auch einmal wieder lachen. "Ich freue mich auf draußen und fange an, Pläne zu schmieden", so die ausgebildete Musikpädagogin, die wegen Betrugs hier ist. Ein Jahr hat sie noch vor sich.

"Möchte jemand zur Freistunde?", wird in die Runde gefragt. Die darauf folgende Stille sagt viel aus: Denn der Hofgang Punkt 15.30 Uhr gilt unter den Gefangenen für gewöhnlich als Höhepunkt des Tages. Heute ist das anders. "Das kreative Gestalten ist eine wunderbare Stressbewältigung", sagt Sozialarbeiterin Kerstin Geisenhahn, die solche Kurse seit mehreren Jahren im Strafvollzug - auch für Männer - anbietet. Mit großer Resonanz. Zudem sei es Gelegenheit für die Insassen, andere Seiten an sich zu entdecken, vielleicht sogar ein bisher verborgenes Talent. "Einige haben noch nie gebastelt." Daneben werde der Umgangston geschult.

"Ich würde den Inhaftierten gern so viele Freizeitangebote machen, wie nur möglich", sagt Udo Winterberg, stellvertretender Leiter der Justizvollzugsanstalt Volkstedt, zu der auch die Frauenabteilung in Eisleben gehört. Denn damit könne man sie aus ihrer Isolation holen - und das mit einer gewissen Kontrolle. Der immer wieder aufkommenden Kritik, den Gefangenen gehe es zu gut, entgegnet er: "Wenn man einen Menschen nur büßen lässt, wird er sich nicht ändern und genauso gefährlich für die Gesellschaft sein wie zuvor." Man müsse die Insassen für das Leben nach der Haft befähigen und "die guten Seiten aus ihnen herauskitzeln". Zudem seien sie ihrer Freiheit ja letztlich doch beraubt: "Sie können nur wenige Stunden pro Monat Besuch empfangen und Intimbesuche sind nicht erlaubt."

Von Aquaristik bis Chor

Laut Justizministerium gibt es in den Gefängnissen im Land etliche Freizeitangebote - von Aquaristik bis Fußball oder Chor. Der Gefangene habe das Recht, sich in seiner Freizeit nach den eigenen Interessen zu beschäftigen. Gefährliche Insassen könnten von Angeboten aber ausgeschlossen werden. Melanie Kaulisch vom Landesverband für Straffälligen- und Bewährungshilfe hält die Angebote für unerlässlich: "Damit kann man den Gefangenen wichtige Erfolgserlebnisse ermöglichen." Der Verband organisiert jedes Jahr einen Malwettbewerb für Inhaftierte.

Martina W. hat dabei kürzlich mit einer Händel-Collage den dritten Platz belegt. Das Malen sei für sie auch eine Art Therapie: "Ich lege die Bilder erst weg - und wenn ich sie mir später anschaue, erkenne ich darin immer wieder neue Sachen." Eine Zeit lang habe sie nur in Dunkelblau und Schwarz gemalt. Heute sind die Bilder heller.