1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Die Zeit läuft davon: Spinale Muskelatrophie bei Levente: Behandlung kostet 2 Millionen: Bekommt der Junge das Medikament

Die Zeit läuft davon Spinale Muskelatrophie bei Levente: Behandlung kostet 2 Millionen: Bekommt der Junge das Medikament

Von Julius Lukas 29.10.2019, 10:00
Aufgrund seiner Muskelerkrankung braucht der einjährige Levente einen Rollstuhl. Durch ein neues Medikament könnte er Gehen lernen.
Aufgrund seiner Muskelerkrankung braucht der einjährige Levente einen Rollstuhl. Durch ein neues Medikament könnte er Gehen lernen. Bernadette Sarközy

Halle (Saale) - Der Anruf, der Jana Brandt und ihrer junge Familie wieder Hoffnung gibt, erreicht sie während eines Fernsehinterviews. Die Bilder des TV-Beitrags zeigen, wie ein breites Lachen der 30-jährigen Dresdnerin nicht mehr aus dem Gesicht weicht. Das Telefon an das Ohr gedrückt, kann sie es kaum begreifen. Sie lässt sich in ihr Sofa fallen: „Ein ganzes Gebirge fällt mir gerade vom Herzen“, sagt Brandt.

Denn John, ihr sieben Monate alter Sohn, bekommt sehr wahrscheinlich das Medikament verabreicht, das ihm das Leben retten könnte. „Wir hatten schon damit gerechnet, dass wir vor Gericht gehen müssen“, sagt Brandt. Doch nun hat die Krankenkasse den Härtefallantrag der Familie genehmigt - obwohl das Präparat in Deutschland gar nicht zugelassen ist. Und obwohl es viel Geld kostet - sehr viel Geld.

Zolgensma, so heißt das Medikament, gilt als teuerste Medizin der Welt. Zwei Millionen Euro kostete eine Behandlung - so viel wie 26 Millionen Ibuprofen-Tabletten. Seit Mai darf es in den USA verabreicht werden, um eine sehr heimtückische Krankheit zu behandeln: Spinale Muskelatrophie, kurz SMA.

Seit Mai dieses Jahres ist  Zolgensma unter dem Namen Onasemnogene Abeparvovec-xioi in den USA auf dem Markt. In dieser Zeit hat Hersteller Novartis mit dem  Medikament gegen Spinale Muskelatrophie bereits 160 Millionen US-Dollar Umsatz gemacht. Das gab das  Pharmaunternehmen aus der Schweiz in der vergangenen Woche bekannt. „Das Interesse an Zolgensma ist groß“, sagte Novartis-Chef Vas Narasimhan.

Das Präparat gilt als teuerstes Medikament der Welt. Eine Dosis kostet zwei Millionen Euro. Allerdings muss das Präparat auch nur einmal verabreicht werden. Den hohen Verkaufspreis begründete die Entwicklerfirma Avexis, die zu  Novartis gehört, mit den hohen Forschungs- und Entwicklungskosten. In den USA, wo Zolgensma schon zugelassen ist,  bietet der Hersteller Krankenkassen ein Ratenmodell zur Finanzierung an. Wie hoch die Raten sind, soll sich auch am Behandlungserfolg orientieren.

In Europa ist Zolgensma noch nicht zugelassen. Novartis rechnet jedoch im ersten Quartal 2020 damit. Allerdings gab es für Zolgensma zuletzt negative Schlagzeilen. So wurde bekannt, dass es während der Tierversuche mit Mäusen Unstimmigkeiten bei der Datenerhebung gab. Ob das Auswirkungen auf eine Zulassung in Europa haben könnte, ist derzeit noch unklar.

In Deutschland werden jedes Jahr nur wenige Babys mit dieser Erkrankung geboren. „SMA ist sehr selten“, sagt Ludwig Patzer, Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara in Halle.

„Ein Gendefekt führt dazu, dass die Muskeln der Kinder sich nicht mehr entwickeln und verkümmern“, erklärt Patzer. Verantwortlich dafür sei, dass ein bestimmtes Protein nicht gebildet werde. „Das sorgt eigentlich dafür, dass die Zellen im Rückenmark Impulse an die Muskeln schicken.“ Da das Protein nicht vorhanden ist, bleiben diese Impulse aus. Die Muskeln werden deswegen nicht mehr stimuliert.

Spinale Muskelatrophie: Krankheit lässt Muskeln verkümmern

In ihrer schwersten Form, die Typ I genannt wird und die der kleine John aus Dresden hat, schreitet die Krankheit sehr schnell voran. „Da auch die Atmung betroffen ist und die Kinder nicht mehr richtig Abhusten könne, sterben sie in der Regel innerhalb der ersten beiden Lebensjahre an einer Infektion“, sagt Ludwig Patzer. Zolgensma, das neue Medikament, könnte die Lebenserwartung nun deutlich erhöhen.

Darauf hofft auch die Familie von Levente Hosszu. Der einjährige Junge lebt in der ungarischen Kleinstadt Enying, direkt am Balaton. Auch er hat SMA - allerdings nicht Typ I, sondern Typ II. Seine Erkrankung schreitet nicht so schnell voran, doch auch sein Leben könnte durch Zolgensma verlängert werden.

SMA ist eine Erbkrankheit. Eine Genveränderung verursacht die Degeneration der Nervenzellen und der Muskeln.

Von SMA Typ 1 spricht man, wenn sich die Symptome bereits im ersten halben Lebensjahr zeigen. Die Muskelschwäche betrifft dabei den ganzen Körper des Babys. Etwa 66 % der betroffenen Kinder erleben nicht das dritte Lebensjahr.

SMA Typ 2 tritt zwischen dem achten und dem 18. Lebensmonat auf. Die Kinder können zumeist zwar alleine sitzen, jedoch weder stehen noch laufen.

Die dritte Form von SMA Typ 3 tritt zwischen dem dritten und dem 30. Lebensjahr auf. Die Schwächung der Muskulatur ist hierbei gering ausgeprägt. Im Laufe der Zeit kommt es bei dieser Form der Muskelatrophie zu einer Einschränkung der Leistungsfähigkeit.

Spinale Muskelatrophie: Spenden für Levente Hosszu

Deswegen hat seine Familie eine Spendenkampagne gestartet die bis nach Sachsen-Anhalt geschwappt ist. Denn hier leben Freunde und Verwandte. „Mein Partner ist der Cousin von Leventes Mutter und ich kenne die Familie auch sehr gut“, erzählt Bernadette Sarközy. Seit zehn Jahren wohnt die Ungarin in Magdeburg. Als sie von Leventes Schicksal hörte, wollte sie sofort helfen.

„Die Krankenkasse in Ungarn bezahlt das neue Medikament nicht“, sagt Sarközy. Die Kosten selbst zu tragen, könne sich die Familie nicht leisten. „Und da dachte ich: Vielleicht finden sich ja in Deutschland Menschen, die etwas Geld spenden wollen.“ Sarközy richtete auf GoFundMe.com, der weltweit größten Online-Spendenplattform, eine Seite für Levente ein. „Ich hoffe, dass viele Leute darüber mithelfen, ihm ein längeres Leben zu ermöglichen.“

Spinale Muskelatrophie: Levente rennt die Zeit davon

Allerdings: Es muss schnell gehen. Denn dem einjährigen Ungarn rennt die Zeit davon. „Das neue Medikament darf nur bis zum zweiten Lebensjahr gegeben werden“, sagt Sarközy. Und Levente habe bereits Ende Dezember Geburtstag. „Es bleiben also nur noch wenige Wochen.“

Die Begrenzung des Lebensalters ist vom Hersteller, dem Schweizer Pharmariesen Novartis, so vorgegeben. Der enge Rahmen hängt auch damit zusammen, dass es für das Mittel bisher nur Studien mit Kleinkindern gibt. „Wir betreten da gerade absolutes Neuland“, sagt Arzt Ludwig Patzer. Die Entwicklungssprünge seien enorm. Lange war es bei SMA nur möglich, den Kindern mit pflegerischen Maßnahmen das Leben ein wenig zu verlängern - etwa durch eine künstliche Beatmung. „Die Ursache der Erkrankung konnten wir jedoch nicht angehen“, sagt Patzer.

Das habe sich in den vergangenen Jahren geändert. „2016 wurde mit Nusinersen bereits ein Wirkstoff in Deutschland zugelassen, der bei den Patienten deutliche Verbesserungen hervorruft“, erzählt Patzer. „Er wirkt, indem die Produktion des fehlenden Eiweißes wieder angefeuert wird.“ Die Behandlung ist allerdings aufwendig und auch teuer. „Das Medikament muss in regelmäßigen Abständen in das Nervenwasser des Rückenmarkkanals gespritzt werden“, sagt Patzer. Jährlich könnten Kosten von bis zu 500.000 Euro entstehen.

Spinale Muskelatrophie: Neues Medikament ist extrem teuer

Bei Zolgensma, dem Millionen-Medikament, geht man hingegen davon aus, dass es nur ein einziges Mal verabreicht werden muss. „Die Behandlung ist eine echte Gentherapie“, erklärt Ludwig Patzer. Vereinfacht gesagt, werden dabei dem Patienten neue Gene eingepflanzt, die künftig das fehlende Protein produzieren. „Wenn das so funktioniert, kann man sogar von einer Heilung sprechen.“ Im Moment hänge der Behandlungserfolg jedoch unter anderem vom Stadium der Erkrankung ab.

Patzer ist vorsichtig bei seiner Einschätzung von Zolgensma. „Bisher ist es nur in Amerika zugelassen und es gibt noch keine Langzeitergebnisse“, sagt der Chefarzt. „Bevor man ein Medikament einsetzt, muss es aber umfassend getestet werden.“ Gerade bei solch einer grundlegend neue und auch teuren Therapie müsse deswegen das europäische Zulassungs- und Bewertungsverfahren abgewartet werden.

Spinale Muskelatrophie: Eltern hoffen auf neues Medikament

Allerdings, meint Patzer, könne er gut verstehen, dass Eltern die neue Behandlung haben wollen. „In so einer Situation würde jeder versuchen, das Beste für sein Kind zu bekommen.“ Und auch die Kindermedizin sei verpflichtet, diesen schwer kranken Kindern den Zugang zu modernsten Therapieformen zu ermöglichen.

Für Jana Brandt gibt es keine Alternative zu Zolgensma. Und was sie über die Studien in den USA gelesen hat, macht ihr Hoffnung. „Die Kinder konnten nach der Einnahme schnell ihren Kopf alleine halten, der Großteil schaffte es sogar, aufrecht zu sitzen“, erzählt sie. Das habe sie motiviert: „Nach der Diagnose, war mir klar: Ich muss kämpfen“, sagt Jana Brandt. „Denn ich kann mein Kind ja nicht einfach aufgeben. Und jetzt hat sich der Kampf vielleicht gelohnt.“

Mit dem Bescheid der Krankenkasse ist eine große Hürde genommen. Ob John allerdings wirklich mit dem teuren Präparat behandelt werden kann, wird sich erst in etwa zwei Wochen zeigen. „Wir müssen noch den Antigen-Test abwarten“, sagt Jana Brandt. Damit das neue Gen nämlich wirksam werden kann, muss es über einen Träger in die Zellen gelangen. Und dieser Träger ist ein Virus. War John mit diesem schon einmal infiziert, dann hat er Antikörper gebildet. „Und die würden das Virus nach der Injektion abwehren und verhindern, dass das Medikament wirksam wird.

Spinale Muskelatrophie: Eltern von Levente haben viel Geld gesammelt

Jana Brandt und ihre Familie müssen also noch Bangen. Das gilt auch für Levente und seine Angehörigen. Bei GoFundMe waren bis Montagnachmittag 22.000 Euro zusammengekommen. In Ungarn hatten die Eltern des Einjährigen mit vielen Aktionen bereits etwa 800.000 Euro gesammelt. „Aber das reicht eben leider noch nicht“, sagt Bernadette Sarközy. Die Zeit sei zwar knapp. „Aber ich hoffe“, meint die Ungarin, „dass sich schnell noch mehr Spender für Levente finden.“ (mz)

Für Levente und John gibt es Spendenkampagnen. Zu finden unter:

www.gofundme.com/f/levente-sma-2

www.gofundme.com/f/love-life-and-hope-john

John aus Dresden hat eine besonders aggressive SMA-Form. Ein Medikament könnte ihm das Leben retten.
John aus Dresden hat eine besonders aggressive SMA-Form. Ein Medikament könnte ihm das Leben retten.
Jana Brandt