Amok, Terror, Geheimdienst-Schlamperei SPD Innenexperte Burkhard Lischka im Interview

Magdeburg - Den Arbeitsplatz in Berlin hat Burkhard Lischka für ein Paar Tage geräumt, in einem Magdeburger Café bestellt er eine große Spezi. Sachsen-Anhalts SPD-Chef ist ein gefragter Mann in diesen Tagen, als Innenexperte der Bundestagsfraktion strotzt sein Kalender vor Interviewanfragen - Grund ist die jüngste Anschlagsserie in Süddeutschland. Über die Terrorgefahr und den pannenanfälligen Verfassungsschutz sprach er mit den MZ-Redakteuren Jan Schumann und Kai Gauselmann.
Herr Lischka, nach der Serie aus Terror und Amokläufen: Ist „Merkels Multikulti-Kurs“ gescheitert, wie die AfD sagt?
Lischka: Wenn eine Million Flüchtlinge zu uns kommen, wäre es lebensfremd zu glauben, dass darunter nicht einige sind, die zu Gewalttaten und Verbrechen neigen. Dies darf aber nicht dazu führen, dass Hass und Ressentiments gegen einzelne Gruppen geschürt werden. Ich weiß, dass Teile der Bevölkerung dies anders sehen, allen voran die AfD-Posaunenträger. Diese wollen Fundamentalismus mit Fundamentalismus bekämpfen. Doch wenn dies verfängt, haben die Terroristen eines ihrer wichtigsten Ziel erreicht: Sie destabilisieren unsere Gesellschaft.
Heißt das, die AfD erledigt das Geschäft der Terroristen?
Lischka: Die AfD geht zumindest der perfiden Logik der Terroristen auf den Leim. Auch die AfD will bewusst spalten. Ein Gedanke zum Generalverdacht: Der norwegische Amokläufer Anders Breivik hat sich als Kreuzritter bezeichnet, doch niemand wäre auf die Idee gekommen, danach alle Christen unter Verdacht zu stellen. Wir hatten auch Anschläge in Jobcentern, doch niemand wollte Harz-IV-Empfänger in Sippenhaft nehmen. Ich habe eine harte Haltung gegen die Einzeltäter. Aber ich werde mich nicht zum Hass gegen eine Gruppe anstacheln lassen.
Ist Deutschland gut vorbereitet auf islamistischen Terrorismus?
Lischka: Ich bin überzeugt, dass wir dies vom Grundsatz her sind. Der Münchner Polizeieinsatz zeigt, dass die Polizei auf Ausnahmesituationen vorbereitet ist. Wir haben ein gemeinsames Terror-Abwehrzentrum, in dem die Expertise von vierzig Sicherheitsämter des Bundes und der Länder gebündelt wird und in dem diese Behörden eng zusammenarbeiten. Dort hat man Gefährder im Auge, die Behörden tauschen sich aus, es werden Gefährdungsanalysen vorgenommen. Allerdings: Nach dem Abbau von bundesweit rund 15.000 Stellen in den Sicherheitsbehörden in zehn Jahren stößt man in der derzeitig ernsten Lage an Grenzen. Der Personalabbau war ein Fehler, der korrigiert werden muss. Um Einzeltäter wie in Würzburg und Ansbach stärker in den Fokus zu bekommen, müssen unsere Sicherheitsbehörden personell und technisch bestmöglich ausgestattet werden.
Auf der nächsten Seite erzählt Burkhard Lischka über den Verfassungsschutz und das Darknet.
Für das Darknet, wo der Münchner Amokläufer seine Waffe kaufte, haben Sie eine bessere Überwachung gefordert. Was muss außerdem zum Schutz vor Terror passieren?
Lischka: Im IT-Bereich müssen wir nachlegen, veraltete Technik ist ein Sicherheitsrisiko. Darüber hinaus fordere ich mehr Engagement bei den drei großen P: Personal, Prävention, Protektion. Zu mehr Personal habe ich schon etwas gesagt. Wir müssen auch dringend die Schutzausrüstungen und die Bewaffnung der Polizei verbessern. Beim Thema Prävention sage ich: Wenn mehr junge Menschen bei fanatischen Heilsbringern etwas suchen und denen auf den Leim gehen, müssen wir besser werden. Es darf keine weißen Flecken geben, wo wir keinen Einblick haben, etwa im Internet oder in den islamischen Gemeinden. Es braucht in Deutschland ein Präventionsgesetz, in dem wir klare Regeln festlegen.
Terror gibt es auch von rechts. In der Aufarbeitung des NSU-Komplexes geht die Pannenserie weiter. Im Bundesamt für Verfassungsschutz sollen noch mehr als 20 Handys des toten V-Manns Corelli aus Halle lagern - unausgewertet. Warum?
Lischka: Corelli hat bei allen NSU-Untersuchungsausschüssen eine zentrale Rolle gespielt. In dreierlei Hinsicht: Weil er Kontakte zum NSU-Trio hatte, weil er Datenträger mit NSU-Bezug besessen hat und weil er V-Mann war. Dass vor wenigen Wochen weit mehr als ein Dutzend nicht ausgewertete Handys und Sim-Karten im Panzerschrank seines V-Mann-Führers gefunden wurden, die ganz offensichtlich von Corelli benutzt wurden, ist eine Riesenschlamperei.
Sie gehen nicht von bewusster Verheimlichung aus?
Lischka: Im Moment kann ich gar nichts ausschließen. Aber ich gehe von schlampiger Arbeit aus. Auch deswegen, weil mir der NSU-Sonderermittler Jerzy Montag geschildert hat, wie chaotisch es in dem Schrank aussah. Jeder Messi-Haushalt ist da aufgeräumter. Die Schlamperei geht einher mit Versäumnissen der Hausspitze: Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz hatte eine Anweisung erlassen, dass alle Asservate in den Panzerschränken zu sichten seien. Doch im Bundesamt hat es offenbar niemanden gegeben, der dafür gesorgt hat, dass diese Anweisung auch umgesetzt wird. Wären der Anordnung Taten gefolgt, hätten wir diese Pannen nicht erlebt.
Das erzeugt erneut großes Misstrauen. Was ist für Sie die Konsequenz?
Lischka: Ich habe mir zuletzt mehrfach die Frage gestellt, ob Herr Maaßen, den ich als Sicherheitsexperten sehr schätze, sein Amt tatsächlich im Griff hat.
Kann man sich diese Zweifel erlauben und ihn im Amt lassen?
Lischka: Das ist eine Frage für den Bundesinnenminister. Ich habe das Gefühl, dass das Eis für Herrn Maaßen infolge dieser Vorfälle sehr, sehr dünn geworden ist.
Sind die Abgeordneten über die Handyfunde informiert?
Lischka: Ja, aber was wir wissen, reicht uns nicht. Wir erwarten in den kommenden Wochen den neuen Bericht in Sachen Corelli. Und ich erwarte zudem, dass die organisatorischen Mängel im Amt offen angesprochen werden. Wir haben ein ernstes Problem, wenn solche Schlampereien in einer der wichtigsten deutschen Sicherheitsbehörden möglich sind. (mz)