1. MZ.de
  2. >
  3. Mitteldeutschland
  4. >
  5. Schwertransport: Schwertransport: Der 700-Tonnen-Coup

Schwertransport Schwertransport: Der 700-Tonnen-Coup

Von ALEXANDER SCHIERHOLZ 04.09.2011, 17:40

Halle (Saale)/AKEN/MZ. - "Schon wieder einer", grummelt Georg Wandel, "die können alle keine Verkehrsschilder lesen". Der Geschäftsführer der Schwertransporte-Firma Baumann zählt an diesem Sonntagmorgen gegen 8 Uhr bereits den dritten Pkw, der vor dem Sperrschild in der Gartenstraße von Aken (Anhalt-Bitterfeld) wendet. Vielleicht ist es die Sturheit der Autofahrer, auch dort noch unbedingt einen Weg finden zu wollen, wo es keinen Weg mehr gibt. Vielleicht ist es aber auch die Neugier auf den Koloss, der in der Nacht aus Halle in das Elbe-Städtchen gerollt ist.

90 Meter lang, 4,10 Meter breit, 4,80 Meter hoch, 721 Tonnen Gesamtgewicht - ein Schwertransporter der Extra-Klasse. Vorn und hinten je eine Zugmaschine, dazwischen zwei Tieflader mit je 16 Achsen, zwischen denen die Ladung quasi über der Straße schwebt - ein Transformater aus dem halleschen Werk des Elektrokonzerns ABB. Allein er wiegt 420 Tonnen. In Aken wird der Trafo auf einen Ponton umgeladen. Sein Ziel: das Kernkraftwerk Brokdorf an der Unterelbe nahe Hamburg. 18 Monate lang war das Gerät im halleschen ABB-Werk komplett aufgearbeitet worden. "Der größte Trafo, den wir je hatten", sagt Gernod Braatz von ABB.

In Aken löst das Gefährt - Fachbezeichnung: Kesselbrücke - Staunen aus: "Papa, darf ich noch näher ran?" Ein kleiner Junge fotografiert mit einem Handy, Fotoapparate klicken - der Riese lockt Neugierige dutzendweise in die Gartenstraße, wo der Transport bis zum Sonntagmorgen eine Pause einlegen muss. "Am Samstagabend haben sie hier schon Absperrungen aufgebaut", sagt Anwohner Jens-Uwe Thimm, "ich dachte erst, das ist für irgendeine Baustelle".

Jürgen Heinicke beobachtet die Schaulustigen amüsiert. "Ich gehe nachher mit dem Klingelbeutel rum", witzelt der 62-Jährige. Er wirkt entspannt. In der Nacht hat er am Steuer einer der beiden Zugmaschinen den Transport von Halle nach Aken gefahren. "Sehr gut gelaufen", sagt sein Kollege Ingolf Fischer. Er klettert aus dem Lastwagen, der extra für solche Transporte konstruiert ist: 600 PS unter der Haube, ein verstärktes Fahrwerk, um besonders schwere Lasten bewegen zu können. Nur in Halle, erzählt Fischer, habe es beim Start am Samstag gegen 19 Uhr ein paar Probleme gegeben: "Wir mussten an zwei Baustellen Absperrungen wegräumen, die nicht wie vereinbart entfernt waren."

Am Samstag allerdings muss der Trafo in Halle zunächst noch umgeladen werden. Auf einem kleineren Tieflader rollt das Gerät am Morgen aus dem ABB-Werk auf eine eigens gesperrte Straße in einem Industriegebiet. Dort wird es auf eine Art Stelzen gestellt, der Tieflader weggefahren und durch die Kesselbrücke ersetzt. Nur die ist dafür ausgelegt, solche Lasten über längere Strecken zu tragen.

Was so einfach klingt, ist die Arbeit von Stunden: Die Stelzen sind hydraulisch betriebene Stützen, mit denen der Transformator angehoben wird. Dafür müssen aber zunächst schwere Eisenplatten auf die Fahrbahn - quasi als Fundament. Ein Gabelstapler bringt sie herbei. Damit der Trafo sicher und waagerecht auf den Stützen steht, müssen die immer wieder nachjustiert werden. Schwere Eisenbolzen verankern den Trafo schließlich mit der Kesselbrücke. Wie viel wiegt ein solcher Bolzen? "Vielleicht 100, 150 Kilo", sagt einer der Arbeiter.

Doch in Aken sind die letzten Straßen bis zur Elbe zu eng für das 90 Meter lange Gefährt - deshalb wird der Trafo am Sonntagvormittag wieder auf einen kleineren Tieflader umgeladen - der aufwendige Arbeitsgang in umgekehrter Richtung. Eine Zugmaschine ist nicht nötig - der Tieflader ist ein so genannter Selbstfahrer, ein Arbeiter dirigiert ihn per Steuerpult.

Es ist die letzte Etappe einer aufwendigen Aktion. Hinter den Experten der Firma Baumann, die ihren Sitz bei Bonn hat, liegen drei Wochen Vorbereitung. Zunächst wird anhand elektronischer Karten die passende Strecke ausgesucht: Wo müssen Stromleitungen oder Ampeln abgebaut werden? Sind Durchfahrten hoch genug, Brücken stabil? Geht es um die Tragfähigkeit, zieht Baumann oft externe Gutachter hinzu: "Die rechnen uns dann exakt für unsere Fahrzeuge aus, ob es passt", sagt Geschäftsführer Wandel. Haben die Behörden die Route genehmigt, wird sie vor Ort vermessen. "Allein dafür haben wir vier Tage gebraucht", so Wandel. Das Unterfangen ist aufwendig: Allein an einer Kreuzung können 100 bis 150 Messpunkte zusammenkommen, an Bäumen, Häusern oder Schildern.

Anhand der Daten wird der Transport am Rechner simuliert. "Erst dann kennen wir das geometrische Verhalten der Fahrzeuge", sagt Wandel. Soll heißen: Erst dann steht fest, ob die Kesselbrücke wirklich jede Kurve schafft. "Nur was in der Simulation klappt, das klappt auch im richtigen Leben", sagt Wandel voller Überzeugung. Er und seine Leute sitzen manchmal auch mehrere Monate an den Vorbereitungen. "Meist liegt das dann an den Behörden", sagt er. Hier aber sei alles reibungslos gelaufen. Und am Steuer? Die Fahrer brauchen nicht nur Messdaten, sondern vor allem gute Nerven, Fingerspitzengefühl und Gelassenheit. Nach 34 Jahren am Steuer eines Schwertransporters "weiß ich, wo ich langfahren muss", sagt Jürgen Heinicke. Er klopft sich auf den Hintern und grinst: "Ich habe mein Popometer."

Am Akener Fähranleger wird es dann aber doch noch kompliziert. Erst kurz nach 17 Uhr rollt der Tieflader mit dem Trafo auf den Ponton zu, abermals begleitet von zahlreichen Schaulustigen. Erst im zweiten Versuch gelingt es, den Ponton am Ufer festzumachen - beim ersten Mal driftet er ab, offenbar ist er nicht richtig vertäut. Zwei Schiffe müssen ihn erst wieder in die richtige Position schieben. Was folgt, ist einmal mehr langwierige Routine: Mit einem Autokran werden Einzelteile einer Rampe an den Ponton gelegt. Erst dann heißt es: Fahrt frei auf die Elbe.