Schweine-Hochhaus in Maasdorf Schweine-Hochhaus in Maasdorf: Lasst die Sau raus!
Maasdorf - Es grunzt und quiekt auf sechs Etagen - im Schweine-Hochhaus. Der mächtige Klotz am Dorfrand von Maasdorf (Anhalt-Bitterfeld) ist einmalig, zumindest in Deutschland. Ausgerichtet auf maximale Produktivität ist der Experimentalbau aus dem Jahr 1970 mittlerweile aber heftig umstritten. Nach Protesten von Tierschützern kontrolliert jetzt Sachsen-Anhalts Landwirtschaftsministerium die Zustände vor Ort.
500 Zuchtsauen leben im höchsten Gebäude zwischen Halle und Köthen. Ihre einzige Aufgabe: Ferkel zur Welt bringen, möglichst viele. Dafür bekommen die Tiere ihr Futter. Dafür verabreichen ihnen Besamungstechniker ausgewähltes Eber-Sperma. Dafür schrubben die Mitarbeiter, was das Zeug hält. Die Hygienebestimmungen sind streng. Betriebsfremde erhalten unter Hinweis auf mögliche Seuchengefahren keinen Zutritt.
Zwei große Fahrstühle, so berichtet das DLZ-Agrar-Magazin 2013, transportieren die Sauen - zum Beispiel, wenn sie zum Abferkeln auf eine andere Etage müssen. Der Sechsgeschosser bietet nach Angaben der Firma ausreichend Platz für bis zu 1 500 Ferkel. Wenige Mitarbeiter reichen für den Betrieb aus. Ehemalige Beschäftigte erzählen, dass Futtertröge halbautomatisch gefüllt werden. Der Kot soll durch Gitter auf ein Entsorgungsband fallen. Auch die Belüftungsanlage arbeite rund um die Uhr. Fenster lassen Tageslicht herein. Seuchen soll es bislang nicht gegeben haben. Und auch der Ertrag scheint zu stimmen.
Nun aber ist das Unternehmen, die JSR Hybrid Deutschland GmbH aus Ahaus (Nordrhein-Westfalen), ins Visier von Tierschützern geraten. Eine Demonstration vor den Toren der Anlage liegt erst wenige Tage zurück - ihr Motto: Lasst die Sau raus! Die Forderung der 380 Teilnehmer, darunter viele aus Berlin und Niedersachsen: Weg mit der Massentierhaltung, weg mit dem Schweine-Hochhaus! Auslöser ihrer Aktion sind umstrittene, heimlich aufgenommene Fernsehbilder, die Tierquälerei im Schweine-Hochhaus belegen sollen. Sie zeigen unter anderem Sauen in sogenannten Kastenständen. Diese Gatter sind zwar zugelassen, werden aber von Tierschützern wie Demo-Initiator Jan Peifer aus Berlin als nicht artgerecht abgelehnt. Ihm zufolge können sich die Tiere dort noch nicht einmal drehen oder bequem hinlegen. „Wir werden alle Möglichkeiten ausschöpfen, um eine Schließung der Anlage zu erwirken.“ Der von Peifer geleitete Verein Deutsches Tierschutzbüro geht rechtlich gegen die JSR-Gesellschaft vor. Man habe, so heißt es, bei der Staatsanwaltschaft Dessau Strafanzeige wegen mutmaßlicher Tierquälerei erstattet.
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Kritik an der Tierhaltung kommt auch von der Landtagsabgeordneten Dorothea Frederking (Grüne). Die Schweine, sagt sie, sollten „als fühlende Mitgeschöpfe“ angesehen werden. Die gleichfalls bündnisgrüne Bundestagsabgeordnete Steffi Lemke fordert in diesem Zusammenhang eine ökologische Agrar-Wende. Das Schweine-Hochhaus stehe für eine Fehlentwicklung der Landwirtschaft, die immer mehr Menschen satt hätten.
In Maasdorf kommen die Tierschützer bei vielen Einwohnern, etliche von ihnen arbeiteten oder arbeiten in der Anlage, nicht gut an. Von Tierquälerei könne keine Rede sein. JSR-Geschäftsführer Michiel Taken spricht von einer Hetzkampagne. „Die Stimmung ist gerade schlecht für uns.“ Der Betrieb sei eines von wenigen anerkannten Zuchtunternehmen in Deutschland. Auch die jüngste Kontrolle durch das Landwirtschaftsministerium habe nur geringe Mängel festgestellt. Was nicht in Ordnung sei, sagt der Tierwirt, bringe man aus eigenem Interesse umgehend in Ordnung. Takens Anspruch: „Null Risiko, denn der Gesundheitsstatus der Tiere muss immer top sein.“ Anders könne man in der Branche kein Geld verdienen.
Dem Schweine-Hochhaus am nächsten wohnt Desiree Kaube mit Mann und vier Kindern. Vor eineinhalb Jahren ist die ehemalige Köthenerin aufs Land gezogen und bereut es nicht. „Die Luft hier, nur 300 Meter vom Betrieb entfernt, ist sehr gut.“ Nachbar Matthias Leupelt, gebürtiger Maasdorfer, verweist auf die saubere Dorfstraße vor seinem Hof: „Nicht ein Gülle-Spritzer ist zu sehen.“ Auch Susanne Kießling, die täglich am Dorfrand ihren Hund ausführt, kennt den 300-Seelen-Ort nur mit der Stall-Fabrik, die sie nicht störe. Die 43-Jährige: „Ställe übereinander zu bauen, keine schlechte Idee.“
Seit drei Generationen mit dem Schweine-Hochhaus verbunden ist Familie Schäfer. Mutter Ingrid, 20 Jahre Besamungstechnikerin, sagt: „Der Veterinärarzt ist täglich zur Kontrolle gekommen.“ Die 94-jährige Oma Anna, 1970 eine der ersten Arbeiterinnen im Hochhaus, schwärmt von der früheren Sauberkeit auf den Etagen. Ihre Enkelin Silke behauptet: „Aus Maasdorf hat niemand gegen das Schweine-Hochhaus protestiert.“ Zu den Befürwortern der industriellen Schweineproduktion gehört Siegfried Klimmer, einer der Väter des Experimentalbaus. Dass die Anlage noch arbeite, zeige ihren wirtschaftlichen Ansatz. Die Idee sei aber geklaut. In Westberlin habe es vorher ein inzwischen abgerissenes Geflügel-Hochhaus gegeben. Ein Abriss steht in Maasdorf nicht auf der Tagesordnung. Land, Bund und EU unterstützen das Schweine-Hochhaus mit Fördermitteln - 373 000 Euro im Jahr 2011.
Das Landwirtschaftsministerium bestätigt derweil die Aussagen des Betreibers. Laut Sprecher Detlef Thiel ist dem Unternehmen eine Frist bis Ende März gesetzt. Bis dahin müssen die Mängel, die vor allem Platzverhältnisse und Verschmutzungen betreffen, beseitigt sein. Allerdings seien diese Punkte nicht gravierend. Vorläufig bleibt es also dabei, in Maasdorf lässt niemand die Sau raus - außer die Staatsanwaltschaft wird fündig. (mz)