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«Schaarschmidts» in Leipzig «Schaarschmidts» in Leipzig: Tafeln im Wohnzimmer

Von Alexander Schierholz 02.03.2012, 21:39

Halle (Saale)/MZ. - Das "Schaarschmidts", so heißt es auf seiner Internet-Seite, versteht sich als "Leipzigs Gute Stube". Übertrieben ist das nicht. Wer das Lokal betritt, wird empfangen, nein, nicht nur von freundlichem Personal, auch von dicken Teppichen, schweren roten Vorhängen, gut gefüllten Bücherregalen und viel Kunst an den Wänden. Der Lärm der Welt, er muss draußen bleiben.

Man scheut sich, das Leipziger Restaurant als Geheimtipp zu bezeichnen. Zu abgedroschen, aber dennoch: Hier trifft es zu. Denn wir bewegen uns nicht in der von Besuchern durchströmten Innenstadt, sondern im nordwestlichen Stadtteil Gohlis. Aber nicht dort, wo sich Touristen auf der Suche nach dem Schlösschen und dem Schillerhaus die Füße platttreten und Reisebusse sich durch enge Straßen wälzen. Sondern nördlich davon in der ganz unspektakulären Coppistraße. Touristen? Hier eher nicht.

Freundlicher Empfang

So behaglich die Räume schon auf den ersten Blick wirken, so freundlich werden wir empfangen. Dass die Kellnerin am Ende bei der Rechnung ein wenig den Überblick verliert - geschenkt. Und dass sie, gefragt nach einer Weinempfehlung, lieber den Chef des Hauses holt, ist allemal besser als herumzudrucksen. Aber der Wein folgt später, jetzt ist erst einmal die Karte an der Reihe. Umfangreich ist sie, ihr Studium braucht Zeit. Das liegt nicht nur am reichhaltigen Angebot, sondern auch an der Gestaltung: Zu jedem Gericht gibt es eine kleine Beschreibung, dazu zieren Karikaturen des Leipziger Zeichners Ulrich Forchner die Seiten.

Um es kurz zu machen: An den Kochkünsten im Schaarschmidts gibt es nicht wirklich etwas zu mäkeln. In Langversion: Die Vorspeise "Knusperchen", ein in Schinken gehüllter gebackener Ziegenkäse auf Salatbett mit Himbeersoße (8,90 Euro), macht seinem Namen alle Ehre. Der Speck ist kross wie er sein soll. Der Käse nicht zu muffig - das schmeckt sogar denen, die sonst nicht für Ziege zu begeistern sind. Dass die Soße eine Spur zu süß erscheint, ist eine fast schon geschmäcklerische Anmerkung. Auf der anderen Seite des Tisches fällt die Wahl auf Lammfiletchen (8,90 Euro). Die werden nicht nur in Kräuterknoblauchbutter gereicht, sondern sind auch butterzart - so muss es sein!

Willkommen bei den Klassikern

Als Hauptgang folgen eine klassische Piccata alla milanese (14,50 Euro) und eine "Lausitzer Hasenkeule" (18,90 Euro). Nach den ersten Bissen von den kleinen Schnitzeln in Parmesan-Panade entfährt der Begleiterin ein spontanes Lob: "So gut habe ich die lange nicht mehr gegegessen!" Dem ist nichts hinzuzufügen. Der Hase kommt mit Rosenkohl, roten Beten, sauren Gurken und saurer Sahne daher. Eine Herausforderung für die Geschmacksnerven. Jedoch: Test bestanden - herb und säuerlich ergeben einen feinen Kontrast, nichts geht unter.

Wer es nicht so mit Experimenten hat, wird auf der Karte auch fündig - 20 Jahre nach dem Start des Schaarschmidts ist die sächsische Küche immer noch gut vertreten. Kartoffelsuppe, Rinderroulade oder Quarkkeulchen - willkommen bei den Klassikern! Wer zaubert das alles? Der Chef des Hauses, Werner Schaarschmidt, beschäftigt drei Köche. Doch der 60-Jährige legt Wert auf die Feststellung: "Der Dirigent bin ich!" Mit seinen Leuten setzt er sich regelmäßig zusammen, sie probieren vieles aus. Was überzeugt, findet seinen Platz auf der Karte. Und das mit Zutaten, die, soweit möglich, aus der Region stammen, ob Wild oder Gemüse.

Manchmal steht der Chef auch selbst am Herd, doch eigentlich ist die Gaststube Werner Schaarschmidts Revier. Zu DDR-Zeiten verschlägt es den gebürtigen Plauener zunächst nach Binz auf Rügen, wo er im Hotel Kurhaus arbeitet. Zur Wende ist er schon in Leipzig, Restaurantleiter im Hotel Astoria direkt am Hauptbahnhof. Der imposante viergeschossige Bau, heute längst geschlossen, zählt seinerzeit zu den ersten Häusern am Platze. Als 1990 Geschäftsleute aus dem Westen in die Messestadt und ins Astoria strömen, wundern sich Schaarschmidt und seine Kollegen: Zur besten Abendessenzeit verlassen viele seiner Gäste geradezu fluchtartig das Haus, auf der Suche nach anderen Einkehrmöglichkeiten. Befragungen ergeben, dass viele einfach die Nase voll haben vom ewig gleichen Hotel-Ambiente.

Das ist der Moment, an dem Werner Schaarschmidt überlegt, dass man den Gästen doch etwas anderes bieten müsste. Er beschließt, sich selbstständig zu machen. Räume findet er schließlich in der Gohliser Coppistraße, wo er heute noch residiert. Nach umfangreicher Renovierung kann das "Schaarschmidts" im Juni 1992 öffnen. Ins Zentrum zu gehen, kommt für den Gastronomen seinerzeit nicht in Frage: Die ungeklärten Eigentumsverhältnisse vieler Gebäude schrecken ihn ebenso ab wie die Mondpreise, die manche Vermieter Anfang der 1990er Jahre verlangen.

Für den Literaturfreund und Kunstliebhaber steht von Anfang an fest, wie er sein Lokal ausstatten wird - wie ein Wohnzimmer. Die "gute Stube" eben. Schaarschmidt sammelt Bücher quer durch den Garten, viele davon haben ihren Platz jetzt in den Gasträumen gefunden. Manches Stück haben auch die Stammgäste beigesteuert - das Lokal lebt von ihnen.

"Man muss verrückt sein"

Ein Rundgang offenbart viele Details: Da sind etwa die "Leipziger Köpfe", kleine Zeichnungen großer Persönlichkeiten. Bach ist dabei, Wagner, Klinger, Goethe. Und natürlich Lene Voigt, die sächsische Mundartdichterin. Schaarschmidt hat alle Porträts selbst gefertigt. Aus eigener Werkstatt stammen auch die Feuerwehrlampen. 1990, erzählt der Wirt, hat sich die Feuerwehrkapelle von Binz aufgelöst. Aus Trompeten, Posaunen oder Klarinetten wurden Leuchten. Behaglichkeit, gutes Essen, was fehlt da noch? Genau: guter Wein. Mit fast 40 Seiten fast doppelt so dick wie die Speise- ist die Weinkarte - eine Reise durch die Anbaugebiete Deutschlands und der alten wie der neuen Welt. Wirtschaftlich sei ein solch umfangreiches Angebot nicht, räumt Schaarschmidt ein: "Da muss man schon ein bisschen verrückt sein."

Wir entscheiden uns für einen erstaunlich leichten 2007er Spätburgunder von der Loire. Der Wein ist schon fast ausgetrunken, als das Dessert naht: Die Crêpes Suzette (9,90 Euro) bereitet die Kellnerin mit leichter Hand am Tisch zu und flambiert sie gekonnt. Die Decke der Crème brûlée zu 6,80 Euro könnte ein klein wenig fester sein, doch was sich darunter versteckt, ist unvergleichlich sahnig. Und, wir geben es zu: Quarkkeulchen (7,50 Euro) müssen es dann auch noch sein. Schließlich sind wir in Sachsen.