Zweiradhandel und Service in Cörmigk Zweiradhandel und Service in Cörmigk: Von der Uhr zum Moped

Cörmigk - Schon seine Vorfahren hatten eine Vorliebe für die technischen Dinge im Leben und machten ihr Hobby zum Beruf. Günter Clemens ist praktisch in einer Moped- und Fahrradwerkstatt aufgewachsen. Zu seinen Lieblingsspielzeugen gehörten Maulschlüssel und Schraubenzieher.
„Ich habe schon als Kind sehr gern gebastelt. Werken und UTP zählten in der Schule zu meinen Lieblingsfächern.
Dank meines Großvaters und meines Vaters habe ich eine Beziehung zu Werkzeugen und Reparaturarbeiten aufgebaut. Ich konnte mir von ihnen viele Dinge abschauen und habe dadurch schon in jungen Jahren sehr viel gelernt“, erzählte der Inhaber des Mopedladens in der Cörmigker Friedensstraße 2, der sich praktisch seit fast 100 Jahren an dieser Stelle befindet.
Gründung im Jahr 1919
Das Geschäft wurde 1919 von Paul Clemens Senior kurz nach seiner Rückkehr aus dem Ersten Weltkrieg gegründet. Der Cörmigker, den es 1915 aus beruflichen Gründen für kurze Zeit nach Berlin verschlug und der in Spandau als Uhrmachergehilfe tätig gewesen war, konnte vor knapp 100 Jahren jedoch noch nicht mit Mopeds Handel betreiben.
Er verkaufte Uhren, Nähmaschinen und Fahrräder und führte an diesen Waren wie auch an landwirtschaftlichen Großgeräten Reparaturen aus.
Den Bedürfnissen auf dem Land angepasst
„Mein Großvater hat sich an die Bedürfnisse der Bevölkerung auf dem Land angepasst, ist aber auch immer mit der Zeit mitgegangen. Er errichtete schon 1922 ein großes Werkstattgebäude auf seinem Grundstück. Als zunehmend Autos auf den Straßen rollten, eröffnete mein Opa Mitte der 30er Jahre in Cörmigk vor seinem Geschäft sogar noch eine Tankstelle“, berichtete Günter Clemens.
Während des Zweiten Weltkrieges ruhte der Geschäftsbetrieb. Paul Clemens Senior musste zum zweiten Mal in seinem Leben den Schlosseranzug mit dem Soldatenrock tauschen, geriet wie sein Sohn Paul Clemens Junior in Gefangenschaft.
Beide kehrten als zwei der wenigen Männer gesund nach Hause zurück. Ab 1946 lief die Werkstatt wieder, die der Senior von diesem Zeitpunkt an gemeinsam mit Paul Clemens Junior betrieb, der von 1963 bis zum 1. Januar 1988 an der Spitze dieser kleinen Firma stand.
Vater war Flugzeugmotorenschlosser
„Mein Vater erlernte bei den Junkerswerken in Köthen den Beruf eines Flugzeugmotorenschlossers, arbeitete in den 50er Jahren an der Entwicklung eines Turboprop-Flugzeuges in Pirna mit und legte zu dieser Zeit auch seine Meisterprüfung ab.
Als er das Geschäft übernahm, baute er die Vertragsbeziehungen zu den damaligen Simson-Werken in Suhl auf, die bis zum heutigen Tag noch bestehen“, so der 63-jährige jetzige Firmenchef Günter Clemens, der nach seinem Abitur in Bernburg vier Jahre lang Maschinenbau in Dresden studierte und anschließend als Stahlbauprojektant beim Förder- und Krananlagenbau in Köthen arbeitete. Dort kündigte er seinen Vertrag und wechselte 1988 in die Werkstatt seines Vaters.
Wichtigen Kontakt aufgebaut
Mit dem Aufbau der Verbindung zu den Simson-Werken legte Paul Clemens Junior einen wichtigen Grundstein für das Fortbestehen der Familienfirma. Zu DDR-Zeiten gehörte sie zu den Vertragswerkstätten des Moped-Herstellers, der in Suhl seinen Sitz hatte.
In Cörmigk wurde deswegen seit den 60er Jahren der komplette Service für die gesamte Produktionspalette (SR I, SR II, KR 50 – Vorgänger von der Schwalbe, Spatz, Star, Sperber, Habicht, Schwalbe, S50, S51 und S53) des Thüringer Großbetriebes angeboten.
Paul Clemens Junior hatte dadurch Zugang zum Werksvertrieb und bezog die Ersatzteile aus einem zentralen Großlager in Leipzig. Bei Garantiefällen kamen die begehrten Einzelstücke sogar direkt vom Werk aus Suhl.
Um Existenz gekämpft
„In der Stadt hatte jeder ein und auf dem Dorf jeder Erwachsene zwei Mopeds. Mein Vater hatte manchmal 30 Fahrzeuge auf dem Hof zur Reparatur stehen.
Deswegen brauchten die Leute auf dem Land einen zweiten fahrbaren Untersatz, um zur Arbeit zu kommen. Auf Autos musste man damals schließlich auch ewig warten“, erklärte Günter Clemens, dessen Vater sich jedoch nicht nur auf die Reparatur von Mopeds beschränkte.
Paul Clemens hat aus gelieferten Ersatzteilen komplett neue Fahrräder zusammen gebaut. Das war noch echte Handarbeit. Die in Einzelmontage gefertigten Räder hatten eine höhere Qualität, als die Ware, die vom Fließband kam.
Manche von Paul Clemens gebaute Fahrräder rollen heute noch durchs Dorf
„Manche damals von meinem Vater gebauten Fahrräder rollen heute noch durch unser Dorf“, so Günter Clemens, der das Familienunternehmen gemeinsam mit seiner Frau Doris führt und Mitte der 90er Jahre durch die enormen wirtschaftlichen Schwierigkeiten bei den ehemaligen Simson-Werken, die nach der Insolvenz im Jahr 2003 von der MZA (Meyer-Zweiradtechnik-Ahntal) GmbH erworben worden sind, um seine Existenz kämpfen musste.
„Der gute Ruf der Firma hat uns auch in diesen sehr schwierigen Zeiten über Wasser gehalten.“
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Doch wie sein Vater und Großvater konnte auch Günter Clemens auf die Veränderungen des Marktes reagieren und mit der Zeit mitgehen. Der Cörmigker blieb zwar im Kleinkrafträder-Bereich, vertreibt derzeit die Marken Rieju und Tauris, musste sich aber auch umstellen. „Damals gab es nur Zweitakter, nun auch Viertakter. Statt Schalt- ist bei den Mopeds nun auch Automatikantrieb vorhanden. Das war für mich schon ein Lernprozess“, sagte der Geschäftsmann, der seit 2001 ehrenamtlich als Ortsbürgermeister tätig ist und, wenn es die wenige Zeit erlaubt, privat mit seiner Honda (650 ccm) ebenfalls auf zwei Rädern unterwegs ist.
Suche nach einem Nachfolger
Doch zumeist steht der geschickte Handwerker in seiner Werkstatt und erfüllt die Wünsche seiner Kundschaft, die nicht nur aus dem Altkreis Bernburg, sondern auch aus Dessau, Schönebeck, Osternienburg oder Aken kommt.
Während des Sommers kann es da schon einmal zu Wartezeiten kommen, die jedoch zumeist höchstens zwei Wochen betragen. Im Winter widmet sich Günter Clemens speziell Restaurationsarbeiten an älteren Zweirad-Modellen.
Allerdings hat der Geschäftsmann noch keinen Nachfolger für seine kleine Firma gefunden. Seine beiden Töchter Anja und Sofie leben in Dresden und sind nicht in die beruflichen Fußstapfen ihres Vaters getreten.
„So lange es die Gesundheit zulässt, werde ich auch in den kommenden Jahren noch fleißig tüfteln, schrauben und reparieren“, meinte Günter Clemens.
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Läden eröffnen, wechseln den Besitzer oder ihren Standort, sie schließen wieder. Und doch gibt es sie noch - die Traditionsgeschäfte in der Region, die teilweise sogar verschiedenste Gesellschaftsformen mit- und überlebt haben. In Bernburg mehr als in den umliegenden Kleinstädten und Dörfern, die aufgrund der niedrigen Kaufkraft noch viel mehr mit der wachsenden Konkurrenz aus dem Internet zu kämpfen haben. Aber eben nicht jede Dienstleistung und jedes Produkt lässt sich heutzutage mit einem Mausklick online nach Hause bestellen. Was wäre das für ein Leben ohne Bäcker, Fleischer, Friseure, Modeboutique, Optiker oder Tabakhändler vor Ort?
Die MZ stellt in der Serie „Unsere Schaufenster“ einmal wöchentlich Geschäfte im Altkreis Bernburg vor, die mindestens ein Jubiläum gefeiert haben, die es also schon 25 Jahre und länger gibt. (mz)
