Igel-Auffangstation bei Güsten Igel-Auffangstation bei Güsten: Warum Igel niemals Milch bekommen sollten

Osmarsleben - „Igel haben ein fotografisches Gedächtnis. Sie finden sich schnell wieder in ihrer alten Umgebung zurecht“, sagt Christiane Primas. Deshalb schreibt sich die Seniorin auch Namen und Adressdaten der Finder auf, die ihr untergewichtige oder kranke Igel in den Güstener Ortsteil Osmarsleben bringen. Die 66-Jährige betreibt eine von drei offiziell gelisteten Auffangstationen für Igel in Sachsen-Anhalt. Dafür muss man einige Voraussetzungen erfüllen.
Zeitintensive Leidenschaft
„Man braucht eine gewisse Sachkunde, muss eine Dokumentation und eine tierärztliche Versorgung gewährleisten können“, sagt Christiane Primas. Experten empfehlen, pro Igel eine Fläche von einem Quadratmeter zur Verfügung zu stellen. Das könnten die meisten Igel-Stationen nach Meinung der Güstenerin gar nicht leisten.
Christiane Primas’ Wohnort sei eine igelreiche Gegend: Viele Gärten, nahrhafte Böden, wenig Autoverkehr. Vor fast 20 Jahren hat die Seniorin im Spätherbst sechs Igel auf ihrem Grundstück in Osmarsleben gefunden und aufgepäppelt. Daraus ist eine Leidenschaft entstanden.
Eine Leidenschaft, die aber auch ständige Anwesenheit bedeutet. „Man kann ja keinem Nachbarn die Betreuung der Igel auferlegen“, sagt Christiane Primas. Ab einer Temperatur von 10 Grad erwachen die stacheligen Säugetiere nach und nach aus dem Winterschlaf. Erst bei vier der derzeit 34 Igel im Hause Primas ist das der Fall.
Einen davon hält die Igel-Expertin stolz vor die Kamera. Für die anderen 30 ist weiterhin Vorsorge angesagt: Täglich Boxen putzen, mit frischem Zeitungspapier ausstatten und warten, ob die Maßnahmen für die teilweise untergewichtigen Säuger Erfolg gezeigt haben. Zu den Aufgaben der Igel-Stationen gehört auch die Dokumentation über jedes aufgenommene Tier: Welches Fundgewicht hatte es? Was ist äußerlich auffällig? Konnte eine Gewichtszunahme festgestellt werden? Welche Medikamente brauchen die Tiere?
Über den Winter verlieren Igel rund ein Drittel ihres Gewichts. Deshalb sorgt Christiane Primas mit energiehaltigem Futter vor. Vor allem Katzenfutter, Nassfutter, Haferflocken und gutes Öl kommen dann für die Kleinen auf den Tisch.
„Igel sind laktoseintolerant“
Keinesfalls sollte man den Tieren Milch vorsetzen. „Igel sind laktoseintolerant, das kann zu schweren Darmschädigungen und schlimmstenfalls zum Tod des Tieres führen“, sagt die Güstenerin. Auch Obst sei nicht geeignet. „Menschen tragen leider einen großen Teil dazu bei, dass Igel zu Tode kommen“, sagt Christiane Primas. Viel zu oft würden sie auf der Straße überfahren.
„Beim Gedanken an Rasentrimmer bekomme ich Gänsehaut“, sagt die 66-Jährige. Zumal der Rasen den Tieren zuliebe nie komplett gekürzt werden sollte, da sich sonst keine Nahrung wie Würmer mehr dort finden lässt. In freier Wildbahn hätten Igel daher nur eine Lebenserwartung von etwa drei Jahren. Möglich sind sonst auch schon mal bis zu acht Jahre. Nester erkennt man an der Polsterung mit Laub und Gras, oft sind sie unter Häusern oder im Gebüsch zu finden. Flache Schalen mit Wasser helfen, den Igel im heimischen Garten zu versorgen.
Phänomen Igel-Karussell
Ende April beginnt die Fortpflanzung der Tiere. Dann kann man Phänomene wie das „Igelkarussell“ beobachten. Die Männchen kreisen mitunter stundenlang um die Weibchen, um sie von ihrer Paarungsbereitschaft zu überzeugen. Das sollte schnell Erfolg zeigen, denn späte Würfe können zum Problem werden: Die Igel schaffen es mitunter nicht, sich das nötige Gewicht anzufressen, um über den Winter zu kommen. Junge Tiere muss die Igel-Expertin alle zwei Stunden füttern. Ganz wichtig nach dem Winterschlaf ist der Freilauf. Wie jedes Tier müssen sich auch Igel bewegen. Die Tiere sollen sich wieder an die Gerüche der Natur gewöhnen. „Sie kommen auch immer wieder zurück“, sagt die Güstenerin. Eine Woche nach dem Erwachen kann es losgehen. Dafür hat Christiane Primas schon ihre große Laufbahn im Garten vorbereitet.
Beim bundesweit tätigen Verein „Pro Igel“ ist Christiane Primas als Ansprechpartnerin gelistet. Auf der Vereins-Webseite kann man sich informieren, welche Igel überhaupt Hilfe benötigen und was zu tun ist. „Meistens sind äußere Verletzungen durch Wunden sichtbar“, sagt Christiane Primas. „Und kranke Igel rollen sich öfter ein.“ Unverletzte Tiere könne man hingegen selbst aufpäppeln. Rund 400 Gramm sind laut der Igel-Expertin ein guter Maßstab für ein junges Tier kurz vorm Winterschlaf. Verletzte Fundtiere sollte man laut der Seniorin zunächst einem Tierarzt übergeben, viele Auffangstationen seien leider überlastet. Die Versorgung der stacheligen Säuger bezahlt die Güstenerin übrigens völlig aus eigener Tasche. (mz)