Familiengeschichte Familiengeschichte aus Könnern: Eine Liebe in 30 Briefen

Geld, Schmuck oder einfach nur Bettlaken: In so manchem Wäscheschrank stecken manchmal unerwartete Dinge. Aber eine Liebesgeschichte? Im Fall der in Könnern aufgewachsenen Gabriele Bigott war es genau die. Fast 70 Jahre schlummerte das Geheimnis um die große Liebe ihrer Eltern zwischen Bettbezügen und Decken - in einem Bündel voll Feldpost aus dem Zweiten Weltkrieg.
Nie brachte es die Mutter übers Herz, mehr als zwei Sätze daraus vorzulesen. „Dann brach sie immer in Tränen aus“, erzählt ihre Tochter von den schmerzhaften Erinnerungen, weil ihr Vater nicht mehr heimgekehrt war. Erst nach dem Tod der Mutter vor sechs Jahren entdeckte die heute 72-Jährige den gesamten persönlichen Familienschatz. Aber was damit tun? Reinhören.
Ein Schicksal von Millionen
Die Hörspielautorin verstaute dieses Andenken nicht für weitere Jahre auf dem Dachboden. Nein, sie schrieb aus Auszügen der Briefe und eigenen Gedanken ein Hörspiel aus Tochtersicht - für die Nachwelt und vor allem zum Wachrütteln. Denn dieses Schicksal ist nur eines von Millionen, das der Krieg mit sich brachte.
„So viele Kinder wuchsen ohne Vater auf, und heute sterben immer noch unzählige Menschen in Kriegen“, sagt Bigott.
Für sie war es die erste und einzige Unterhaltung, die sie jemals mit ihrem Vater führen konnte. Und so gab die heute in Berlin lebende Autorin dem Stück auch den Titel: „Die alte Tochter spricht mit ihrem jungen Vater“. Erstmals ist es vor wenigen Wochen beim Radiosender MDR Kultur zu hören gewesen. Dabei lesen sich die ersten Briefe noch voller Zuversicht.
Wie haben sich die Könneranerin Elisabeth Stephan, die einst ihre Lehre als Hauswirtschafterin im Gasthaus Goldenen Ring absolvierte, und ihr Albin am Bahnhof im polnischen Bromberg überhaupt kennen gelernt? Wie kreuzte der Zweite Weltkrieg die Pläne des jungen Paares? Über all das hat sich das junge Paar ausgetauscht. 30 Briefe und ein paar wenige Fotos - das ist alles, was Gabriele Bigott von ihrem Vater geblieben ist.
Beten für das schnelle Kriegsende
Und doch entstand daraus eine fast einstündige imaginäre Unterhaltung. Und auch heute sitzen einige Sätze ihres Vaters tief. „Wir haben noch das ganze Leben vor uns“, schrieb der gläubige Albin seinem Lieschen. Immer wieder betete er zu Gott. Hoffte, dass der Krieg endlich zu Ende ginge.
Stattdessen landete Albin an der Front. In einem seiner letzten Briefe heißt es: „Es regnet schon wieder und es ist zum Weinen.“ Als hätte er die Katastrophe kommen sehen. Nur wenige Tage später dann sein letztes Lebenszeichen. Seit Ende Juni 1944 gilt er als verschollen.
Diese Geschichte öffentlich zu machen, ist Gabriele Bigott nicht leicht gefallen. Für die Entscheidung hat es Jahre gedauert. Dann kam die Idee sich zu fragen: „Ist es nicht gerade wichtig, davon zu erzählen, was der Verlust des Vaters als einzelnes Schicksal bedeutet, angesichts Millionen ähnlicher Schicksale in unserer heutigen Welt?“
Die erste persönliche Geschichte von Gabriele Bigott
Es ist im Übrigen nicht die erste persönliche Geschichte der Autorin, die nach ihrer Schulzeit in Könnern und später in Bernburg Theaterwissenschaft studierte und am Theater in Halle, Senftenberg und Berlin arbeitete.
Unter dem Titel: „Nun heule ich doch“ erzählte die zweifache Mutter über ihr Leben mit einem behinderten Kind und wurde dafür bereits 1987 mit dem DDR-Hörspielpreis ausgezeichnet.
Nur einer von mehreren für die Hörspielautorin, die zuletzt die Hörspielabteilung des RBB leitete. Und obwohl Bigott mit ihrem jüngsten Werk ihre ganz persönliche Kindheitsgeschichte aufgearbeitet hat, bleibt eine Frage offen: Wie wäre das Leben verlaufen, wenn Vater Albin nach Hause zurückgekehrt wäre? Eine Frage, die sich wohl Millionen Kriegskinder immer wieder stellen. Und täglich kommen weitere Schicksale hinzu.
Das Hörspiel gibt es ein ganzes Jahr zum Anhören unter: www.www.mdr.de/
kultur/podcast/hoerspiele/audio-211088.html.