Sachsen-Anhalter bei der Fußball-WM Sachsen-Anhalter bei der Fußball-WM: Unsere Männer in Brasilien

Kelbra/Salvador/MZ - Jairo do Carmo Gambôa hatte das eigentlich sogar richtig gut geplant. Ein Halle-T-Shirt wollte der Mann aus Rio de Janeiro ursprünglich noch kaufen, ehe er aufbrach zu seiner großen WM-Reise in die alte Heimat, die er vor mehr als 44 Jahren Richtung Deutschland verlassen hatte. „Aber leider waren keine zu finden.“
Noch ist es nicht zu spät, selbst zur WM nach Brasilien aufzubrechen, um mögliche Spiele der deutschen Mannschaft zu erleben. Air France, KLM und Lufthansa bieten zum Preis von rund 1 200 Euro Flüge von Leipzig nach Rio de Janeiro an. Unterkunft finden späte Fans trotz ausgebuchter Hotels preisgünstig bei privaten Gastgebern, die vorher über Internetportale wie airbnb.com oder bbrasil.com gebucht werden können. Selbst Tickets für die Spiele sind noch zu haben, nach Auskunft von Fans vor Ort können sie zum Teil auf der Straße erworben werden, gefragtere Karten gibt es im Netz. Wer allerdings zu begehrten Spielen wie dem letzten Gruppenspiel der DFB-Elf heute Abend oder zum möglichen Achtelfinalspiel der Männer von Jogi Löw möchte, muss tief in die Tasche greifen: Die Karte heute kostet 370 Euro, die für das Achtelfinale sogar über 1.000. (stk)
Kein Problem für Gambôa, der im VEB Kombinat Starkstromanlagenbau Leipzig-Halle eine Lehre machte, später studierte, sich verliebte, heiratete und schließlich in Halle eine neue Heimat fand. Als eine Reporterin seine Cousine in Rio zufällig auf der Straße ansprach und wissen wollte, warum sie für Deutschland fiebere, wurde er, der Cousin aus Deutschland, als Grund genannt. Klar, er trägt schließlich ein deutsches Trikot. Und um zu zeigen, woher genau er komme, sagt Jairo Gambôa, „musste ein gemaltes Schild herhalten“.
Dass er zur Weltmeisterschaft nach Brasilien fahren würde, war für den 65-Jährigen sofort nach der Abstimmung klar, bei der das größte südamerikanische Land zum Ausrichter bestimmt wurde. Der hallesche Brasilianer, der früher im Arbeiterviertel Bento Ribeiro noch richtig barfuß Straßenfußball gespielt hat und heute an der Saale als Dolmetscher unter anderem für den Halleschen Fußballclub (HFC) arbeitet, wollte unbedingt dabei sein, „um für Brasilien die Daumen zu drücken, damit wir zum sechsten Mal Weltmeister werden“.
Unbeschreiblicher Jubel
Dagegen hätte Familie Fritschler aus Kelbra allerdings wohl dies und das einzuwenden. Schon vergangenes Jahr im November bekamen Bernd und Simone die Zusage der Fifa für zwei Eintrittskarten zu einem WM-Spiel, das damals noch schlicht G1 gegen G2 hieß. Fritschlers war es egal, denn „wir wollten nur die Fußball-WM im fußballverrückten Brasilien erleben“, wie Simone Fritschler sagt. Aber das Losglück blieb den beiden treu, denn in der Auslosung der einzelnen Gruppen verwandelten sich G1 und G2 auf einmal in Deutschland und Portugal.
Besser geht es nicht in Brasilien. 51 000 Zuschauer in der ausverkauften Arena Fonte Nova in Salvador, vier deutsche Tore, unbeschreiblicher Jubel. „Es war ein Erlebnis, was man nicht vergessen wird“, beschreibt Simone Fritschler die Begegnung im brasilianischen Salvador. Zwei Wochen Urlaub in Brasilien voller Begegnungen mit Menschen aller Welt, voll großem Sport und spannenden Beobachtungen fanden mit dem 4:0-Auftaktsieg der DFB-Elf ihren Höhepunkt. „Es war unbeschreiblich“, schwärmt Simone Fritschler.
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Und ist es immer noch, zumindest für die Fans aus Deutschland, die noch in Brasilien sind wie Jairo Gambôa und sein hallescher Freund, der frühere HFC- und heute Merseburg-99-Spieler Wellington da Luz Teobaldo, der ebenfalls aus Brasilien stammt. Gambôa, der seine Aufnahmeprüfung für den Armeedienst einst im weltberühmten Stadion Maracanã absolvieren musste, erkennt vieles in der alten Heimat kaum mehr wieder, obwohl er erst vor einem Jahr Verwandte besucht hatte. „Damals war die Stadt eine einzige Baustelle, vieles wurde modernisiert und Straßen, Brücken und Tunnel wurden neu gebaut.“ Dass gerade im fernen Deutschland viel Kritik an der WM-Vorbereitung geübt wurde, versteht Gambôa nicht. „All dies ist für die Cariocas, die Einwohner Rios, eine große Verbesserung“, glaubt er. Zudem seien Straßen, Stadien und Tunnel ja nicht nur für die WM gebaut, sondern auch für die Olympiade 2016. „Da gibt es auch noch weiter viel zu tun, besonders in der Infrastruktur.“
Jairo Gambôa ist spürbar stolz auf das Land seiner Herkunft. Allen Unkenrufen zum Trotz seien die Stadien für die WM mit dem ersten Anpfiff fertig gewesen, sagt er. Und das Maracanã, schon immer ein imposanter Fußballtempel, sei nach seiner Modernisierung wunderschön geworden. Brasilien zeige sich friedlich, stimmungsvoll und gastfreundlich. „Es gibt einige Schwierigkeiten bei der Versorgung mit Essen und Getränken, weil man nichts mit in die Stadien nehmen kann“ sagt er. Aber ein großes Problem sei das nun wirklich nicht. Auch politische Proteste fänden immer wieder statt. Brasilianer fordern dabei etwa mehr Ausgaben für Bildung statt für sportliche Prestigeprojekte. „Doch bisher haben sie noch keine Spiele verhindern können - und das war wohl auch nicht die Absicht.“
Sein Sommermärchen
In den Augen des Hallensers erlebt Brasilien tatsächlich gerade so etwas wie Deutschland 2006 mit seinem Sommermärchen. Nur dass es hier ein Wintermärchen ist, weil jenseits des Äquators die kalte Jahreszeit angebrochen ist. Das Land tue aus seiner Sicht gerade viel für seinen Ruf in der Welt, auch ausländische Gäste fühlten sich sicher. „Ich selbst bin fast jeden Tag am Strand von Copacabana und sehe dort die Übertragung der Spiele zusammen mit tausenden Fans aus der ganzen Welt“, erzählt Gambôa, „und bis jetzt gab es keine Krawalle, es wird nur viel gefeiert von früh bis in die Nacht.“
Tage wie diese, eine Weltmeisterschaft als Mischung aus Jugendtreffen und Rockfestival. „Viele schlafen gleich am Strand, die Stimmung ist einfach fantastisch mit dem Auftritt von Musikgruppen oder DJs.“ Im Prinzip sei die Bevölkerung nicht gegen die WM, sondern gegen die Korruption, besonders durch die Fifa. „Brasilianer lieben den Fußball mit Leib und Seele, Vandalen, die sinnlose Zerstörungen anrichten, finden in der Bevölkerung keine Unterstützung.“
Die von Jairo do Carmo Gambôa gilt an erster Stelle Brasilien und Deutschland, dazu hält der Mann mit dem Halle-Schild aber auch auf die Teams aus Uruguay und Chile. „Die Spiele werden jeden Tag spannender und schöner“, erzählt er. Er selbst sähe natürlich am liebsten Brasilien als Sieger, schließlich sei er ja nach Rio gekommen, „um unsere Seleção anzufeuern“.
Ob es nützt? Nach den bisher gezeigten Leistungen des Rekordweltmeisters ist Jairo Gambôa ein bisschen skeptisch geworden. „Ehrlich gesagt, ich bin nicht sehr überzeugt, dass wir Weltmeister werden“, beichtet er, „viele hier sagen, dass es Deutschland macht.“ Ganz so schlimm wäre das nicht, denn Gambôas Wunsch-Endspiel heißt sowieso Brasilien gegen Deutschland. Und dessen perfektes Ende wäre dann, sagt er, „dass die bessere Mannschaft gewinnt“.
