Volksaufstand vor 70 Jahren in der DDR Was war wo? Der 17. Juni 1953 in Sachsen-Anhalt
Vor 70 Jahren, am 17. Juni 1953, protestierten in der DDR Arbeiter und Bauern gegen den Staat. Die sowjetische Armee schlug den Volksaufstand nieder. Was ereignete sich damals in welcher Region in Sachsen-Anhalt? Die MZ gibt einen Überblick mit Bildern, Videos und Audios.
Halle/MZ - Was passierte während des Volksaufstandes in der DDR am 17. Juni 1953 im heutigen Sachsen-Anhalt? Anhand einer großen Karte gibt die MZ einen Überblick über die Ereignisse. Umfangreiche Informationen zum Volksaufstand bietet zudem eine Karte der Beauftragte des Landes Sachsen-Anhalt zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.
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1 - Salzwedel
248 Arbeiter der Pumpenfabrik streiken. In einer Resolution fordern sie unter anderem freie und geheime gesamtdeutsche Wahlen. Sogar der Werkleiter und der Betriebsparteisekretär unterschreiben – und erklären: Niemand werde wegen des Streiks oder weil er mit Maßnahmen der Regierung nicht einverstanden ist, Schwierigkeiten bekommen.
2 - Stendal
Die Frühschicht im Reichsbahnausbesserungswerk legt die Arbeit nieder. Vor dem Werkstor fahren Panzer der Sowjetarmee auf und unterbinden eine geplante Demonstration. Bewaffnete Soldaten patrouillieren in den Straßen. Dennoch werden am 18. Juni zwei weitere Betriebe bestreikt, eine Maschinenbaufirma und eine Autowerkstatt.
3 - Magdeburg
50.000 Demonstranten protestieren im Stadtgebiet, die Arbeit in mehreren Großbetrieben steht still. Die Demonstranten besetzen das Rathaus, Partei- und Gewerkschaftszentralen und weitere staatliche Einrichtungen.
Sie stürmen ein Gefängnis und das Polizeipräsidium. Bei einem Schusswechsel mit Polizisten gibt es Tote.
4 - Gommern
500 bis 800 Arbeiter, die mit dem Zug aus Magdeburg gekommen sind, stürmen die Untersuchungshaftanstalt. Sie befreien alle Häftlinge und fordern sie auf, nach Hause zu gehen.
Die örtlichen Behörden bitten die Rote Armee um Hilfe. Doch die Soldaten verfahren sich, sie treffen später ein als geplant. 18 Häftlingen gelingt die Flucht.
5 - Oschersleben
Am 17. und 18. Juni Streiks in verschiedenen Betrieben. Hunderte Pumpenwerker fordern auf einem Marsch durch die Innenstadt die deutsche Einheit und die Rücknahme der Normerhöhungen – bis sie von Sowjet-Panzern gestoppt werden.
Die Belegschaft einer Fleischfabrik verlangt per Resolution die Rückkehr der früheren Besitzer.
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6 - Roßlau
Gestreikt wird in der Schiffswerft, im Elbe-Motorenwerk und im Hydrierwerk. 2.000 Demonstranten fordern in Sprechchören unter anderem „Butter statt Volkspolizei“.
Sie stürmen das Gericht und befreien Häftlinge. Ein Toter ist zu beklagen: Der Uhrmacher Wilhelm Ertmer, der sich unter die Aufständischen gemischt hat, stirbt an einer Herzattacke.
7 - Wernigerode
Am 18. Juni fordern Arbeiterinnen und Arbeiter des Elektromotorenwerks Elmo in einer Belegschaftsversammlung unter anderem freie Wahlen und den Rücktritt der Regierung.
Das Treffen wird mitgeschnitten, wie es dazu kam, ist unklar. Das seltene Tondokument wird heute im Stasi-Unterlagen-Archiv des Bundesarchivs verwahrt und kann in der Stasi-Mediathek nachgehört werden.
8 - Bernburg
In den Sodawerken, größter Betrieb der Stadt, streiken vom 18. bis 20. Juni mehrere hundert Bauarbeiter. Sie sind mit dem Ersatz von Anlagen beschäftigt, die als Reparation für die Sowjetunion demontiert worden waren.
Die Produktion läuft derweil im wesentlichen weiter. Polizisten und Sowjettruppen verhindern eine Demonstration zur Innenstadt.
Welche Spuren der Volksaufstand in seiner Familie hinterlassen hat, hat Joachim Grossert aus Bernburg der MZ erzählt. Hier können Sie das Gespräch nachhören.
9 - Tornau
Sogar in den Oberförstereien in Tornau (Dübener Heide) und Pratau wird gestreikt. Als die Behörden einen Waldarbeiter zum Rädelsführer abstempeln, setzt sich der Oberförster Heinz Hildebrandt für ihn ein.
So gerät Hildebrandt, 1990 Alterspräsident des ersten frei gewählten Landtags, selbst ins Visier der Stasi und wird in Haft genommen. Hier können Sie seine Geschichte nachlesen.
10 - Bitterfeld
Bis zu 30.000 Arbeiter aus den großen Chemiebetrieben versammeln sich im Stadtzentrum. Für wenige Stunden übernehmen die Aufständischen die Macht.
Die Regierung fordern sie per Telegramm zum Rücktritt auf – einmalig in der DDR. Der Zimmermann Hermann Stieler, als angeblicher Rädelsführer verhaftet, erhängt sich in einer Polizeizelle.
11 - Eisleben
Im Mansfelder Land gehen vor allem Bergleute auf die Straße. In Eisleben stürmen Demonstranten die Haftanstalt und befreien Gefangene.
Das Mansfeld-Kombinat, die SED-Kreisleitung und weitere Behörden werden zum Ziel von Plünderern. Der Bergmann Kurt Arndt wird bei einem Fluchtversuch angeschossen. Später stirbt er im Krankenhaus.
12 - Halle
Bis zu 60.000 Menschen versammeln sich abends auf und um den Hallmarkt – eine der größten Kundgebungen des Aufstandes, der am Morgen von streikenden Waggonbauern aus Ammendorf angestoßen worden war.
Der Staat schlägt zurück: Am „Roten Ochsen“, an Stasi-Dienststellen und am Markt werden Demonstranten und Unbeteiligte erschossen.
13 - Leuna
Mehr als 10.000 Streikende aus den Leuna-Werken machen sich auf den Weg nach Merseburg, wo sie auf Demonstranten anderer bestreikter Betriebe treffen.
In Leuna hatten die Protestler zuvor den Werkfunk besetzt und ihre Forderungen verkündet, die denen in anderen Orten glichen – unter anderem Rücktritt der Regierung und Neuwahlen.
14 - Wengelsdorf
Adolf Grattenauer gehört zu denjenigen, in deren Leben der 17. Juni brutal eingreift. Auf einer Belegschaftsversammlung übt der Betriebsleiter des Volkseigenen Gutes Wengelsdorf bei Weißenfels Kritik am Staat, Wochen später wird er festgenommen.
Schwer erkrankt, stirbt er 1955 in Haft, weil er nicht rechtzeitig behandelt wird. Hören Sie hier seine Geschichte nach.
Adolf Grattenauer wird am 24. Februar 1992 vom Bezirksgericht Halle rehabilitiert.