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Nach Ende der DDR-Chemie Nach Ende der DDR-Chemie: Die Saale - vergessenes Paradies mit Image-Problem

Von Steffen Könau 07.07.2019, 10:00
Hinter Alsleben wird die  Saale  zum Tummelplatz für Enten, Schwäne und dicke Welse. Wassertouristen sind auch auf dieser Etappe der Strecke bis zur Mündung der Saale in die Elbe kaum unterwegs.
Hinter Alsleben wird die  Saale  zum Tummelplatz für Enten, Schwäne und dicke Welse. Wassertouristen sind auch auf dieser Etappe der Strecke bis zur Mündung der Saale in die Elbe kaum unterwegs. Steffen Könau

Halle (Saale) - Kurz hinter Beesenlaublingen muss es sein. Das Ufer ist auch hier steil, der Damm vor dem Deich ist an der Wasserlinie mit Steinen gepflastert, die ein Unterspülen verhindern sollen. Aber gleich hinter der Hochwasserschutzanlage lockt das azurblaue Wasser einer Kiesgrube, die aussieht wie ein Stückchen Südsee mitten im Saaletal.

Kein offizielles Badegewässer, nein. Aber bei den Nachbarn aus Plötzkau ist die Kiesgrube Beesedau ebenso beliebt wie bei Leuten aus Alsleben und Bernburg. Also die Kanus das Steilufer hochwuchten. Seil an einen der knorrigen Uferbäume. Und ab zur Pause im Paradies.

Wer auf der Saale von Halle Richtung Elbe paddelt, lernt zuerst, zu improvisieren. Der Fluss, vor 30 Jahren eines der am schlimmsten belasteten Fließgewässer Europas, hat nach dem Ende der chemischen Industrie eine Verwandlung zurück zur reinen Natur gemacht. Die Luft ist klar, die Bäume am Ufer rauschen im Wind.

Es springen Fische, und Schwarzmilane kreisen über gemächlich fließenden Wassern, in denen Seerosen blühen. Hinter Brachwitz, wo die Fährmänner Torsten Lieske und Norman Möller einen idyllischen Biwakplatz mit Campingwiese und Feuerstelle betreuen, beginnt eine endlos grüne Landschaft, die sich kaum vom polnischen Paddelmekka in den Masuren unterscheidet.

Allerdings ist der Saalepaddler in seinem Kanu nicht nur fast durchweg einsamer als jemand, der über die Krutynia im Ermland rudert. Er ist auch alleingelassener. Die Saale ist leer, ein Fluss ohne Gegenverkehr, der bei Zell im Fichtelgebirge entspringt und über Thüringen kommend Richtung Elbe fließt, hinter Halle aber stellenweise wirkt, als schlängele er sich durch eine noch völlig unentdeckte Region.

„Als ich vor 15 Jahren angefangen habe“, erinnert sich Bootsvermieter Thoralf Schwade, „wirkte es oft so, als wüssten die Hallenser gar nicht, dass sie an einem Fluss leben.“ Er übernahm das Verleihgeschäft eines Vorgängers dennoch, „weil ich Wasser schon immer geliebt habe und einfach die Gelegenheit dazu da war“. Dass die Saale nicht den besten Ruf hatte, störte ihn nicht. „Ich wusste, dass sie Potenzial hat.“

Seit das Land vor 25 Jahren die Initiative „Blaues Band“ ausrief, um den Wassertourismus entlang der Flüsse in Sachsen-Anhalt zu fördern, hat sich die schaumgekrönte Tensid-Kloake, die im Sommer Kilometer gegen den Wind zu riechen war, in ein Gewässer verwandelt, dem die Fachstudie Blaues Band Deutschland einen „hohen Anteil aktiver Auenabschnitte“ und ein „gutes Potenzial bei der Fischfauna“ attestiert.

Längs der 90 Kilometer zwischen Halle und Elbe gibt es Schwäne, Enten, Nutrias und Biber, Reiher, riesige Welse, Uferschwalben und Bienenfresser, Rebhühner und Hasen. Ab und zu taucht am Ufer ein Haus auf, ab und zu sitzt ein Angler im Gebüsch und winkt. Beim Saaledurchbruch in der Nähe von Rothenburg strahlen die roten Porphyrberge in der Sonne wie die Red Rock-Felsen in Arizona.

Zwar ist die Bezeichnung „Blaues Band“ zweifelsfrei ein reines Fantasieprodukt. Doch Paddler, die bei Konrad Rothmeier anlegen, der in Kloschwitz den Campingplatz Saaletal betreibt, können bedenkenlos vom Steg ins Wasser springen, um die Saale als natürliches Gegenstrombecken auszuprobieren.

Rothmeier ist oft ausgebucht. Doch es sind meist nicht Ruderer oder Paddler, die bei ihm anlegen. Bis heute hat die Saale ein großes Problem: Weil keiner weiß, wie schön sie eigentlich ist, paddelt hier kaum jemand Touren über mehrere Tage oder gar die eine Woche, die reichen würde, um von Naumburg bis Calbe kurz vor die Elb-Einmündung zu kommen. „Es werden mehr“, freut sich Thoralf Schwade, „aber richtig viele sind es noch nicht.“

Denn wer es dennoch versucht, sieht sich schnell vor Schwierigkeiten gestellt: Entlang der vermeintlichen Wasserwanderroute gibt es auch nach einem Vierteljahrhundert voller Bemühungen um die Entwicklung zur Touristikroute keine Rastplätze, keine Biwakstellen, ja, kilometerweit nicht einmal die Möglichkeit, Boote an Land zu ziehen. Selbst das Ufercafé „Georgsburg“ bei Könnern hat keine Landestelle. Pech. Langsam bleiben die verlockenden Biersonnenschirme hinter dem Boot zurück.

Es liegen einige solcher Durststrecken zwischen Halle und Calbe, obwohl es, wie Schwade sagt, schon seit 20 Jahren Pläne gegeben habe, Stege, Einstiege und Gastlieger zu bauen. Zwischen Konrad Rothmeiers Campingplatz in Kloschwitz und dem Biwakplatz des MBSV Wasserwandern in Bernburg etwa liegen knappe 30 Kilometer - für Amateurpaddler mehr als eine normale Tagesetappe.

Die einzige Alternative zur Übernachtung aber ist ein halb illegales Biwak auf der Festwiese in Alsleben. Zum Glück liegt der kleine Yachthafen von Helmut Kirschke nebenan, so dass wenigstens der, der sich bei den Nachbarn durchfragt, Toilette und Dusche findet.

Verschenkte Chancen, die Gäste ebenso abschrecken wie die Internetseite des Blauen Bandes, auf der die Saale nicht einmal vorkommt, obwohl der tragende Verein mit dem früheren Verkehrsminister Karl-Heinz Daehre und Ex-Landtagspräsident Dieter Steinecke prominente Vorstände hat.

„Schaut man nach Leipzig, hat man den Eindruck, als seien Entscheidungen in Sachsen-Anhalt viel schwieriger“, glaubt Thoralf Schwade. Dort werde einfach auch mal gemacht und geguckt, was es bringt. „Bei uns sind die Bedenkenträger unterwegs.“ Da brauche dann selbst eine kleine Änderung wie die Öffnung des halleschen Mühlgrabens lange Kämpfe.

„Es entwickelt sich ohne große Sprünge, aber stabil“, freut sich Schwade trotzdem. In den letzten Jahren habe er beobachtet, dass zumindest die Stadtverwaltung in Halle die Chancen erkennt, die ein Fluss für Stadtleben und Tourismus eröffnet. „Leider sind andere Orte noch nicht so weit, dass sie die Effekte sehen, die Investitionen auf die eigene Wirtschaft haben.“

Auch das Land ist diesbezüglich nicht eben hyperaktiv. Matthias Georg Beyersdorfer von der Investitionsbank Sachsen-Anhalt etwa, die als „Infrastruktur-Koordinierungsstelle für die touristische Markensäule Blaues Band“ (Selbstbeschreibung) tätig ist, kann über mehrere Wochen nicht mit Auskünften zur touristischen Entwicklung dienen.

Gibt es sie? Oder nicht? Wo steuert das Boot hin? Auf der Saale, diesem Idyll, das auf Entdeckung wartet und nur ganz langsam erwacht. „Step by step“, wie Thoralf Schwade sagt, „das ist mir sowieso lieber.“ (mz)

Routen, Strecken und Informationen:

Die Saale Ende der 80er Jahre: Schaumberge auf dem Wasser und Lebensgefahr im Saaletal.
Die Saale Ende der 80er Jahre: Schaumberge auf dem Wasser und Lebensgefahr im Saaletal.
Steffen Könau