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Mehr Wölfe als Schäfer Mehr Wölfe als Schäfer: Existenz der ganzen Branche steht auf dem Spiel

Von Ralf Böhme 19.11.2018, 11:00
Es ist eine Katastrophe mit Ansage:  Weil das Geld für  zusätzliches Winterfutter fehlt, droht den rund 1.000 Tieren von Andreas Karwath der Hungertod.  
Es ist eine Katastrophe mit Ansage:  Weil das Geld für  zusätzliches Winterfutter fehlt, droht den rund 1.000 Tieren von Andreas Karwath der Hungertod.   Andreas Stedtler

Jerichow/Magdeburg - Eisig weht der Novemberwind durch die Elbaue bei Magdeburg. Die wenigen Sträucher krümmen sich in den heftigen Böen. Wetter und Landschaft - beides schrecklich ungemütlich, einfach zum Davonlaufen.

Andreas Karwath aber bleibt im Jerichower Land, obwohl ihm das Schicksal gerade übel mitspielt. Er ist einer der letzten Schäfer in Sachsen-Anhalt. Seine Sorgen sind die Sorgen einer ganzen Branche im Niedergang. So gibt es von Arendsee bis Zeitz inzwischen mehr Wölfe als Schäfer, beklagt der Landesschafzuchtverband. Meister Isegrims Anhang ist nachweislich auf 93 Tiere angewachsen. Die Zahl der Hirten und ihrer Herden sinkt seit langem, absehbar auf unter 60.

Trotz alledem: Der 59-jährige Karwath steht mitten in seiner Herde, fest wie ein alter knorriger Baum. Unbewegt, gestützt auf den großen Knotenstock, den Hut tief im Gesicht: „Ich grüble“, sagt er leise und sieht dabei gar nicht glücklich aus. Viel mehr ist die nächsten Minuten freilich nicht von ihm zu erfahren. Das ändert sich erst, als auf seinen Pfiff hin einer der Hütehunde heranstürmt.

Schäfer in Sachsen-Anhalt: Wölfe verursachen große Verluste

„Sepp“, so heißt der kräftige Aufpasser, übernimmt nun das Kommando über die 980 Mutterschafe und 180 Lämmer. Drei weitere Hunde unterstützen ihn dabei, umkreisen die Herde und sorgen für Ordnung auf der Weide. Damit stellen sich die Schäferhunde auch möglichen Wolfsangriffen entgegen. Solche Attacken bescheren Karwath alljährlich Verluste, seit 2015 rund 70 Schafe.

Der Hirte sucht derweil nach Worten, um seine momentane Situation klar zu beschreiben. „Die spannende Frage ist“, sagt der gebürtige Thüringer nach einigem Überlegen, „wie lange ich noch durchhalten kann.“ Das klingt noch vergleichsweise harmlos. Doch im Grunde steht, wie sich bald deutlich herausstellt, längst die berufliche Existenz des Mannes auf dem Spiel. Und auch sein wettergegerbtes Gesicht spricht Bände. Tiefe Sorgenfalten furchen es. Der Grund: Es fehlt am Geld.

Schäfer in Not: Berufliche Existenz steht auf dem Spiel

Geschieht nicht noch ein Wunder, kann Karwath nämlich kein Winterfutter kaufen. „Die Preise sind stark gestiegen“, erklärt er. Aber ohne 250 Tonnen Zuckerrübenschnitzel und diesen oder jenen Eimer voll Getreide gehe es beim besten Willen nicht. „Sonst verhungern mir die Tiere in den kommenden Monaten, eins nach dem anderen.“

Die Antragsfrist ist abgelaufen. In Sachsen-Anhalt erhalten dürregeschädigte Bauern 2018 Nothilfen von 30 Millionen Euro. Finanziert wird die Summe von Bund und Land.

Mit dem Geld sollen die Landwirte unterstützt werden, die mehr als 30 Prozent Einbußen nachweisen können. Der Deutsche Bauernbund in Sachsen-Anhalt hält die Hilfen für nicht ausreichend. Der Landesschafzuchtverband sieht den Berufszweig in Gefahr.

Eine schreckliche Vorstellung für Karwath. Der Schäfer verliert darüber völlig die Fassung. Ihm bricht die Stimme. Tränen fließen, als er sagt: „Niemand in Deutschland kauft jetzt Schafe, ich kann die Tiere nicht einmal abgeben - höchstens für einen Spottpreis.“ Zahlen würden ihn vermutlich libanesische Händler. Die Herde würde dann auf ein Schiff getrieben und in Nahost womöglich zu Hundenahrung verarbeitet. „Mein Gott, das kann doch alles nicht wahr sein.“

Wanderschäfer war mal der Traumjob

Karwath ist kein gläubiger Mensch, aber er fühlt sich jetzt schwach und braucht Beistand. Wovon ein Schäfer träume, das sei eine gesicherte Perspektive. Ein Antrag auf einmalige Beihilfe, wie ihn das Land zuletzt in Aussicht stellt, bringe nicht den Durchbruch. „Eigentlich sind wir Schäfer harte Burschen“, sagt er fast entschuldigend.

Seit 29 Jahren zieht er mit Herden über Land. „Das war immer mein Wunschberuf, gelernt habe ich an der Schäferschule in Wettin im Saalekreis.“ Klauen schneiden, Wolle scheren, kranke Tiere gesund machen, Lämmer behüten - alle Probleme, die beim Auftrieb, auf der Weide oder im Stall irgendwann passieren, können ihn nicht schrecken.

„Meine Arbeit als Wanderschäfer ist ein Traumjob, wunderschön und immer an der frischen Luft“, schwärmt Karwath, der ganzjährig mit seiner Herde im Freien kampiert. Ein kleiner Wohnwagen ist sein Zuhause. Das sei aber nur die strahlende Seite der Medaille. Die andere Seite dagegen sehe leider verdammt düster aus. „Gegen Wetterkatastrophen und gegen die Bürokratie bist du als Schäfer machtlos.“

Klimawandel: Extreme Dürre in diesem Jahr überrascht

Den Beweis will er nicht schuldig bleiben. So stapft Karwath unvermittelt los. In seinen schweren Gummistiefeln marschiert er einen großen Kreis. Unterwegs ruft er laut die Namen der Kräuter, die ihm unter die Füße kommen. Es sind nicht viele Arten und ihr Wuchs ist bei näherem Hinsehen ausgesprochen spärlich. „Das war mal eine üppige Weide“, erinnert sich der Schäfer, der seit fast zehn Jahren das Land in der Elbaue pachtet. Dafür, dass seine Tiere hier das Gras kurz halten, erhält Karwath pro Hektar einige hundert Euro - die gesetzlich verbriefte Naturschutzprämie.

Karwath will auch die Hilfe der Wissenschaft, sein dringender Rat: Wer etwas über Klimawandel wissen will, der soll auch die Schäfer fragen. „Ich habe es geahnt, dass da etwas auf uns zukommt.“ Aber dass die Dürre in diesem Jahr so extrem ausgefallen sei, habe auch ihn völlig überrascht. „Nur ein Drittel der üblichen Futtermenge - eine Katastrophe.“

Kein Einzelfall: Schlimmes Jahr für Schäfer

Wie ein Schlag ins Kontor wirkt da sein anhaltender Streit mit den Behörden um 200 Schafe. Dabei handelt es sich um Tiere, mit denen er einen notleidenden Kollegen in Anhalt unterstützt habe. Nach dessen Pleite hätte er jedoch keinen Zugriff mehr auf den Bestand bekommen, der ihm zufolge inzwischen von Amts wegen verkauft worden ist. „Dagegen habe ich protestiert, habe sogar eine Demonstration in Dessau mit meinen 1.000 Schafen angemeldet - alles ohne Erfolg.“

Die Behörden, die die Insolvenz des Kollegen abwickelten, würden seine Ansprüche einfach nicht anerkennen, hätten sie wohl schon zu den Akten gelegt - mit der Folge: „Nun geht auch meine Rechnung nicht mehr auf, stimmen Soll und Haben bei mir nicht mehr überein.“ Vielleicht habe sein Sohn das Dilemma eher geahnt und deshalb die Nachfolge abgelehnt. „Der Junge hat einen krisenfesten Job gewählt, ist Berufssoldat.“

Karwath ist kein Einzelfall. „Für Schäfer geht ein sehr schlimmes Jahr zu Ende“, sagt Hans-Jörg  Rösler,    Geschäftsführer des Landesschaftzuchtverbandes. Einschneidend sei die große Dürre gewesen. Der zweite und dritte Grasschnitt sei praktisch ausgefallen. Dieser Mangel habe die Futterpreise stark anziehen lassen. Trotzdem sei der Markt wie leer gefegt.

Auf der anderen Seite gebe es kaum Nachfrage an Schaf-Produkten. Rösler beklagt Preisverfall auf der ganzen Linie - bis hin zur Unverkäuflichkeit. Hinzu kommen aus seiner Sicht belastende Ausgaben, die erforderlich sind, um Wolfsangriffe besser abwehren zu können. „Diese Entwicklung führt auf Dauer in den wirtschaftlichen Ruin.“ (mz)

Die Balance zwischen Einnahmen und Ausgaben ist dahin. Schäfer Andreas Karwath sucht einen Ausweg, bisher vergeblich.
Die Balance zwischen Einnahmen und Ausgaben ist dahin. Schäfer Andreas Karwath sucht einen Ausweg, bisher vergeblich.
Andreas Stedtler