Bundesgerichtshof bestätigt lange Haftstrafe Linksextremistin Lina E. muss wieder ins Gefängnis
Der Bundesgerichtshof bestätigt die Haftstrafe gegen die Linksextremistin Lina E. nach Überfällen auf Neonazis. Damit muss die Studentin aus Leipzig nun wieder ins Gefängnis. Über ein spektakuläres Verfahren und seine Hauptperson

Karlsruhe/Halle/MZ - Nun darf man Lina E. also offiziell eine Linksextremistin nennen. Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe hat das Urteil gegen die Studentin aus Leipzig, die zeitweise in Halle studierte, am Mittwoch im wesentlichen bestätigt. „Verurteilung von Linksextremistin Lina E. rechtskräftig“, meldet die Nachrichtenagentur dpa um 10.26 Uhr.
Damit steht nun fest: Die aus dem nordhessischen Kassel stammende Frau muss den Rest der Haftstrafe von fünf Jahren und drei Monaten absitzen, zu der das Oberlandesgericht (OLG) Dresden sie im Mai 2023 verurteilt hatte, wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und mehrfacher gefährlicher Körperverletzung. Die Untersuchungshaft von rund zweieinhalb Jahren wird dabei angerechnet. Der BGH hatte sich mit dem Fall befassen müssen, weil sowohl die Bundesanwaltschaft als auch die Verteidiger von E. Revision gegen das Urteil eingelegt hatten.
Überfälle auf Neonazis: Sie setzten Teleskop-Schlagstöcke und Schlosserhämmer ein
Es ist das Ende eines jahrelangen Ermittlungs- und Gerichtsverfahrens gegen Angehörige der linksextremen Szene, das bundesweit Aufsehen erregt hatte. Allein der Prozess gegen Lina E. (30) und drei Mitangeklagte vor dem Oberlandesgericht in Dresden umfasste 97 Verhandlungstage, er zog sich hin von September 2021 bis Mai 2023.
Soweit die Fakten. Aber wer ist diese Lina E.?
Sie ist, zunächst einmal, die Frau, die gemeinsam mit ihrem damaligen Lebensgefährten Johann G. und mindestens vier weiteren Personen eine Vereinigung gebildet haben soll, deren Ziel es war, mit massiver Gewalt Rechtsextremisten anzugreifen. Ab 2018 sollen sie in Ostdeutschland regelmäßig Personen zusammengeschlagen haben, die sie als Neonazis einstuften. Dabei setzte die Gruppe unter anderem Teleskop-Schlagstöcke und Schlosserhämmer ein.
Das Zusammenschlagen von Menschen ist durch politische Motive gleich welcher Art nicht zu rechtfertigen.
Jürgen Schäfer, Richter am Bundesgerichtshof
Manche der Angegriffenen wurden zuvor individuell ausgekundschaftet. Andere wurden eher wahllos auf dem Heimweg von rechtsradikalen Demonstrationen attackiert. Und einmal traf es relativ spontan einen Kanalarbeiter, der ausgerechnet im linksalternativen Leipziger Stadtteil Connewitz eine Mütze von einem Hersteller trug, der in der rechtsextremen Szene beliebt ist.
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Lina E. soll bei den orchestrierten und eintrainierten Angriffen oft als „Überblicksperson“ agiert haben. Sie hatte das Umfeld zu checken, Passanten mit Pfefferspray vom Eingreifen abzuhalten und wenn es brenzlig wurde, das Signal zum Rückzug zu geben. In anderen Fällen war sie als Scout tätig und kundschaftete Opfer aus. Konkret wurde Lina E. die Teilnahme an vier Überfällen angelastet. Bei zwei Überfällen genügten dem Oberlandesgericht die Beweise nicht.
Der Bundesgerichtshof hält die Gruppe um Lina E. eindeutig für eine kriminelle Vereinigung
Bei der Gruppe um Lina E. und dem erst nach dem OLG-Urteil festgenommenen Johann G. habe es sich eindeutig um eine kriminelle Vereinigung gehandelt, sagt der Vorsitzende Richter am Bundesgerichtshof, Jürgen Schäfer, am Mittwoch. Deren „vorrangiges oder vielleicht sogar einziges Ziel“ sei die gefährliche Körperverletzung von Rechtsextremisten gewesen. Die Revision von Lina E. hat der Bundesgerichtshof zurückgewiesen. Ihre Tatbeteiligung sei „rechtsfehlerfrei“ belegt.
Aber was war das für eine Vereinigung? Das Oberlandesgericht hatte E. darin eine „herausgehobene Stellung“ attestiert, der BGH hat das jetzt so bestätigt. Die Bundesanwaltschaft sah E. gar als „Rädelsführerin“, also als Chefin, die die Kommandos gibt. Schon der Dresdner Staatsschutzsenat hatte dieser Einschätzung nicht folgen wollen, unter anderem in diesem Punkt wollte die Bundesanwaltschaft das Urteil geändert sehen. Doch bereits bei der mündlichen Revisionsverhandlung im Februar in Karlsruhe waren die Ankläger davon wieder abgerückt.

Eine reine Beteiligung von E. an „Szenariotrainings“ und Angriffen reiche für die Einstufung nicht aus, hatte Bundesanwalt Matthias Krauß damals erklärt. „Sie muss an der Führung mitwirken, sie muss sagen, wo es lang geht, und das scheinen hier die Urteilsfeststellungen nicht herzugeben.“ Ob und wie sehr Lina E. die Gruppe und ihre Strukturen geprägt hat – auch die Bundesanwaltschaft hat das offenbar nicht ausreichend ausleuchten können.
Daher macht auch der Bundesgerichtshof am Mittwoch deutlich: Lina E. war keine Rädelsführerin, ihr sei in der Vereinigung ohne Hierarchien und feste Rollen „keine steuernde Wirkung“ nachzuweisen. Damit bleibt auch die Revision der Bundesanwaltschaft ohne Erfolg – auch in einem weiteren Punkt. E. habe vom Oberlandesgericht Dresden zurecht einen Strafrabatt für die vorverurteilende Berichterstattung in rechtsgerichteten Medien erhalten, betont der BGH. Dass über sie mit vollem Namen und unverpixelten Fotos berichtet wurde, gehe über das hinaus, was jeder Straftäter hinzunehmen hat, und gefährde ihre Resozialisierung.
„Free Lina“, auf Plakaten, Fassaden, T-Shirts. Daraus wird nichts
Lina E., das ist auch die Frau, die eine Freundin von ihr der MZ mal als offen, klug, witzig und politisch interessiert beschrieben hat. Eine Frau, die engen Kontakt hält zu ihrer Familie. Vor gut vier Jahren war das, im April 2021, E. saß da schon fast ein halbes Jahr in Untersuchungshaft. Es hatte Medienberichte gegeben, in denen es hieß, sie sei untergetaucht oder nur zur Tarnung eingeschrieben an der Uni in Halle, Studiengang Erziehungswissenschaften. Dabei hatte sie zuletzt einen Durchschnitt von 1,4, sagt die Freundin damals. Erarbeitet im Untergrund?
Aber dann ist da eben noch die andere Lina E. Die von der Polizei im Dezember 2019 in Thüringen in einem Auto gestoppt worden war. Kurz zuvor war in Eisenach eine Neonazi-Kneipe überfallen worden – einer der Vorfälle, für die E. angeklagt worden war. In der linken Szene wird Lina E. seit ihrer Verhaftung im November 2020 bis heute als Heldin gefeiert, ob sie will oder nicht. „Free Lina“, auf Plakaten, Fassaden, T-Shirts. Erst vor wenigen Wochen kritisierte die „Rote Hilfe“ das Strafverfahren gegen die Gruppe um E. als „Kriminalisierung des antifaschistischen Widerstands“. Bei der mündlichen Revisionsverhandlung im Februar demonstrierten rund 100 Personen vor dem Bundesgerichtshof und forderten ihre Freilassung.
Nach dem Urteil am Bundesgerichtshof wird Lina E. bald wieder ins Gefängnis müssen
Daraus wird nichts. Bald wird die Studentin wieder ins Gefängnis müssen. Nachdem das Dresdner Urteil mit der Entscheidung in Karlsruhe vom Mittwoch rechtskräftig ist, wird Lina E. demnächst zum Haftantritt geladen werden. Auf die Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten wird dabei die Untersuchungshaft angerechnet, die von der Verhaftung im November 2020 bis zum Dresdner OLG-Urteil im Mai 2023 angeordnet worden war. Eine Rheuma-Erkrankung von Lina E. steht der Strafverbüßung wohl nicht entgegen. Wegen guter Führung in der bisherigen Haft kann sie allerdings mit einer Entlassung nach zwei Dritteln der Strafe rechnen. Es steht ihr also noch etwas mehr als ein Jahr im Gefängnis bevor.
Gleich zu Beginn der Urteilsverkündung am Mittwoch in Karlsruhe gibt der Vorsitzende BGH-Richter Jürgen Schäfer den Beteiligten eine Botschaft mit: „Das Zusammenschlagen und Zusammentreten von Menschen ist durch politische Motive gleich welcher Art nicht zu rechtfertigen und zu entschuldigen“, sagt er. Das Mittel der politischen Auseinandersetzung sei das Wort, nicht die Gewalt. Wer das nicht akzeptiere, müsse mit Strafverfolgung rechnen. Lina E. ist bei der Verkündung nicht anwesend. (mit dpa)