Kein Raum für Ostalgie Kein Raum für Ostalgie: DDR-Museum in der Börde trotz Erfolgs vor dem Aus

Langenweddingen - Neben dem tischplattengroßen DDR-Wappen aus Duroplast, das einst bei Marienborn den Grenzgängern signalisierte, dass sie in die DDR einreisen, wird Dirk Grüner kurz wehmütig - allerdings nicht, weil er die DDR und ihre Grenze zurück will, sondern: „Das ist ein echtes Unikat“, meint der 48-Jährige zum Wappen gewandt. „Und das will man einfach wegwerfen - als wäre es nichts Wert.“
Das DDR-Schild aus Duroplast, dem Stoff, aus dem auch die Hülle des Trabants bestand, ist eines von Grüners liebsten Ausstellungsstücken. Der Sammler hat in Langenweddingen (Kreis Börde) auf drei Stockwerken in den vergangenen 14 Jahren allerhand Erinnerungen an den sozialistischen Staat angehäuft: von Sandmann-Puppen über Extravagant-Bettwäsche bis hin zu Delikat-Spirituosen, auf die der Preis noch per Hand geschrieben werden musste. „Wie viele Einzelstücke hier stehen, haben wir nie gezählt“, sagt Grüner. „Aber mindestens 30.000 sind es bestimmt.“
Das DDR-Museum soll einer Kita weichen
Ginge es allerdings nach der Gemeinde Sülzetal, in der Langenweddingen liegt, dann würden die Ost-Devotionalien bald auf dem Sperrmüll landen. „Mitte Januar wurde uns per Brief mitgeteilt, dass unser Haus abgerissen wird“, erzählt Grüner. Das Gebäude, in dem das Ostalgie-Kabinett genannte Museum untergebracht ist, gehört der Kommune. Wo es steht, soll eine neue Kita gebaut werden. „Vor dem Brief hatte niemand mit uns gesprochen“, sagt Grüner. „Man hat uns einfach rausgeschmissen.“ Und das, obwohl die Ausstellung seit 2004 mehrere zehntausend Besucher in den Ort gelockt habe. „Von der Gemeinde war anscheinend niemand hier, sonst wüssten die ja, welchen Schatz sie zerstören“, empört sich der Sammler.
Das Handeln der Kommune ist durchaus ein symbolischer Akt: Das Alte muss dem Neuen weichen. Plastik-Teller und Tassen auf dem Tisch anstatt Mitropa-Geschirr in der Vitrine. Die Einweckgläser, von denen Grüner viele in einem Regal aufgereiht hat, werden durch junges Gemüse ersetzt. Man könnte es geschichtsvergessen nennen - oder auch vorausschauend.
Es gibt nicht mehr viele Möglichkeiten, das Ostalgie-Kabinett in Langenweddingen (Kreis Börde) zu besuchen. Rund um die kommenden Feiertage öffnet das DDR-Museum jeweils von 14 bis 18 Uhr seine Türen. Zu Ostern ist die Ausstellung vom 30. März (Karfreitag) bis 2. April (Ostermontag) zu sehen. Anschließend öffnet es noch einmal vom 28. April bis zum 1. Mai. Und letztmalig werden die 30.000 Exponate zu Pfingsten ausgestellt. Das Museum ist gut mit dem Auto zu erreichen. Es befindet sich im Börde-Ort Langenweddingen (Lange Straße 35a) südwestlich von Magdeburg. (mz)
„Für mich war der Brief ein Stich ins Herz“, sagt Dirk Grüner. Wenn man so lange etwas aufbaut und dann wird es mit einem Moment zerstört - das tue weh. Seine Sammelleidenschaft entwickelte der Verkäufer von Hifi-Anlagen eher zufällig. 2003 besuchte er eine DDR-Wanderausstellung in Schönebeck (Salzlandkreis). Der Besitzer war auch an weiteren Alltagsgegenständen interessiert. Deswegen durchstöberte Grüner sein Haus - und das seiner Eltern gleich mit. Die reiche Beute schaffte es allerdings nicht komplett in die Wanderausstellung. „Zwei Beutel blieben stehen“, erzählt der 48-Jährige. Bei näherer Betrachtung der Erinnerungsstücke entstand die Idee, selbst eine kleine Ausstellung zu gestalten. „Immerhin gab es damals noch kein DDR-Museum in Sachsen-Anhalt.“
Am 3. Oktober 2004 öffnete das Ostalgie-Kabinett seine Türen. Die Gemeinde stellte Räume zur Verfügung - mietfrei bis heute. Dafür ist der Besuch kostenfrei. „Wir finanzieren uns aus Spenden und haben natürlich auch viel eigenes Geld reingesteckt“, sagt Grüner.
Seit der Eröffnung ist die Sammlung stetig gewachsen. In jeder freien Minute jagte ihr Besitzer auf Trödelmärkten Raritäten und viel Alltäglichem hinterher. Für manche Ausstellungsstücke wie das Duroplast-Schild hat Grüner fast so viel wie für einen Kleinwagen bezahlt. Die Arbeit an der Ausstellung teilt er sich mit seiner Frau und seinen Eltern. Letztere leben in Langenweddingen, wo auch Grüner lange wohnte. Mittlerweile ist er ins 100 Kilometer entfernte Braunschweig gezogen.
„Das war das erste Radio der DDR und kostete damals 320 Mark“
Wie enthusiastisch er trotz der großen Entfernung sein Museum betreibt, merkt man bei einem Gang durch die Räume. Alle zwei Schritte stoppt Grüner, um eines seiner Ausstellungsstücke anzupreisen: das Stern Radio 6D71 mit Bakelit-Gehäuse („Das war das erste Radio der DDR und kostete damals 320 Mark.“), der Präsent 20 Hochzeitsanzug mit passenden Igelit-Schuhen („Sowas würde heute niemand mehr tragen.“), die ungeöffnete Packung Kenton Menthol Zigaretten („Da waren alle scharf drauf, weil es die so selten gab.“) oder die mechanische Minol-Tankstelle für Kinder („Die kennt heute noch jeder.“).
Das alles aufzugeben, kam für Grüner allerdings nicht in Frage. Nach dem Schock, den das Schreiben der Gemeinde auslöste, war für ihn klar: Ich brauche einen Käufer. Allerdings: Wer hat mal eben Platz für 30 000 Erinnerungsstücke an einen Staat, der vor etwa 30 Jahren verschwand?
DDR-Museum Berlin will die Hälfte der Sammlung übernehmen
„Es gibt schon Interessenten“, sagt Grüner zuversichtlich. Gerade erst waren die Chefs des Berliner DDR-Museums (3,9 Millionen Besucher pro Jahr) bei ihm. Die seien sehr interessiert gewesen, wollten aber nur die Hälfte der Sammlung haben. Das komme jedoch eher nicht in Frage. „Es laufen aber bereits weitere Gespräche mit potenziellen Käufern.“ Vielleicht bleibe die Ausstellung sogar in der Region. „Bisher ist da aber noch nichts spruchreif.“
Fest steht derzeit nur, dass das Ostalgie-Kabinett zu Pfingsten das letzte Mal öffnet. Bis Ende Oktober hat der 48-Jährige dann Zeit, seine Sammlung in Kisten und Kartons zu verpacken. Grüners Traum ist es, diese dann gleich in das neue Domizil der Ausstellung zu schaffen. Ob er dann Teil der Ausstellung bleiben wird, sei für ihn dabei jedoch erst einmal zweitrangig. „Ich könnte mir vorstellen, weiter zu machen, eine neue Ausstellung zu leiten und zu begleiten“, sagt er. „Am wichtigsten ist aber, dass die Sammlung nicht verloren geht.“ (mz)


