Großer Sprung in vier Jahren Immer mehr Rentner in Sachsen-Anhalt sind auf Grundsicherung angewiesen
Die Altersarmut steigt: Immer mehr Senioren in Sachsen-Anhalt sind auf Sozialhilfe angewiesen. Experten glauben, dass das Dunkelfeld noch viel größer ist – und dass viele Rentner sich schämen, Grundsicherung zu beantragen.
Magdeburg/MZ - Die Zahl der Senioren, die nicht von ihrer Rente leben können, ist in den vergangenen Jahren in Sachsen-Anhalt kräftig gestiegen. Das zeigen neue Zahlen der Landesregierung, die die Linke im Landtag erfragt hat.
Arm im Alter: Hansgeorg Wagenknecht aus Quedlinburg erzählt, was das bedeutet
Mussten im Jahr 2020 noch gut 7.000 Rentner in Sachsen-Anhalt die sogenannte Grundsicherung im Alter beantragen, waren es 2023 schon gut 10.000. Die Grundsicherung im Alter ist eine Art der Sozialhilfe, die Senioren mit niedriger Rente zugutekommt.
Immer mehr Rentner in Sachsen-Anhalt bekommen Grundsicherung
Laut Deutscher Rentenversicherung sollten Senioren mit einem Monatseinkommen unter 1.062 Euro Ansprüche auf eine solche Hilfszahlung prüfen lassen.
„Rentnerinnen und Rentner gehören zur Gruppe der Krisenverlierer“, sagte Linken-Fraktionschefin Eva von Angern am Montag mit Blick auf die sprunghaft angestiegenen Zahlen seit 2020. „Aber eigentlich ist die Lage noch dramatischer.“
Noch mehr bedürftige Senioren? großes Dunkelfeld befürchtet
Denn laut Linke dürfte das Dunkelfeld bedürftiger Rentner erheblich sein. „Die meisten Rentner gehen nicht zum Amt und beantragen Hilfe“, bekräftigte Linken-Sozialexpertin Monika Hohmann.
Lesen Sie auch: Großer Landkreis-Vergleich - wo Senioren im Land am meisten von ihrer Rente haben
Studien zufolge könne die tatsächliche Zahl der Antragsberechtigten mindestens doppelt so hoch sein wie die Zahl der Grundhilfe-Bezieher – wenn nicht noch höher.
Zu viel Scham für Grundsicherung: Trauen sich viele Rentner nicht?
Auch Sachsen-Anhalts Seniorenvertretung geht von einem großen Dunkelfeld aus. In den vergangenen Jahrzehnten hätten Rentner in aller Regel große Scham gehabt, Zusatzhilfe beim Staat zu beantragen, sagte Vize-Vorsitzende Cornelia Stegemann der MZ am Montag.
„Viele haben es hingenommen, dass die Rente nicht hoch war.“ Bei zahlreichen Rentnern habe lange die Einstellung vorgeherrscht: „Man bettelt nicht um irgendwas. Stattdessen versucht man erstmal, Miete und Strom zu bezahlen und spart dann vielleicht an Butter und Brot.“
Bürokratie hält Betroffene davon ab, Anträge zu stellen
Doch angesichts des jüngsten Anstiegs der Grundsicherungs-Empfänger glaubt Stegemann: „Diese Scham ist mittlerweile nicht mehr so gegeben.“
Lesen Sie auch: Mehr Rentner in Sachsen-Anhalt erhalten Wohngeld
Ein zweiter Faktor seien die stark gestiegenen Kosten und Verbraucherpreise für Sachsen-Anhalts Haushalte in den vergangenen Jahren. Allerdings gebe es immer noch Hürden, die Rentner mit kleinem Einkommen davon abhielten, Hilfe zu beantragen: vor allem die komplizierten Antragsverfahren.
Arm im Alter: Vor allem Rentner in Großstädten betroffen
„Die Bürokratie wird immer umfassender, außerdem muss man in den Anträgen viel offenlegen“, sagte Stegemann. „Manche Leute können das einfach nicht.“ Für viele Senioren seien diese Antragsverfahren schlicht demütigend – insbesondere, wenn sie ihr ganzes Leben lang gearbeitet hätten.
In ihrer Antwort auf die Große Anfrage der Linken schlüsselt die Landesregierung nun auch auf, in welchen Regionen Sachsen-Anhalts die meisten Rentner mit Grundsicherung leben. Wenig überraschend liegen die Großstädte Magdeburg (1.710 betroffene Senioren) und Halle (1.490) ganz vorn. Darauf folgen der Salzlandkreis (925), der Harz (895) und der Burgenlandkreis (820).
Sachsen-Anhalts Durchschnittsrente liegt unter dem Bundeswert
Zudem legen die neuen Daten nahe, dass Sachsen-Anhalts Senioren innerhalb von vier Jahren an Kaufkraft verloren haben. Nach Berechnungen der Linksfraktion stiegen die Renten im Bundesland in diesem Zeitraum um rund elf Prozent.
Das bleibe deutlich hinter den Inflationsraten der vergangenen Jahre von insgesamt 16 Prozent zurück, so die Fraktion. „Berücksichtigt man insbesondere die enormen Teuerungen bei Lebensmitteln und Energiekosten, gehören Menschen im Alter zu den finanziell am stärksten belasteten Bevölkerungsgruppen“, resümiert die Linksfraktion im Landtag.
Sachsen-Anhalts Rentner bekommen im Durchschnitt weniger als 1300 Euro pro Monat
Die Durchschnittsrente in Sachsen-Anhalt betrug im Jahr 2023 genau 1.287,62 Euro im Monat. Wer 45 Arbeitsjahre aufweisen konnte, erhielt im Schnitt 1.452,30 Euro.
Der Wert lag landesweit bei Männern etwas höher (1.509,90 Euro) als bei Frauen (1.370,66 Euro). Allerdings bleibt Sachsen-Anhalt weiter unterhalb des Bundesschnitts. Dieser liegt aktuell bei 1.543 Euro nach 45 Beitragsjahren.