Flüsse in Sachsen-Anhalt Flüsse in Sachsen-Anhalt: Die Unstrut - Im Land der Weinberge

Naumburg - Der böige Wind macht Mario Krieg zu schaffen. Er bläst von der Unstrut herüber und bringt an diesem Tag die Strömung der Saale zusätzlich in Fahrt. Da muss der Fährmann besonders kräftig am Stahlseil ziehen, damit es zügig über die Holzrolle auf der Fähre surrt, wenn er seine Gäste von der Naumburger Seite hinüber zum Blütengrund schippert. Die derben Handschuhe, mit denen er das Seil packt, sehen noch neu aus und auch der Mann ist neu im Job.
Als seine Passagiere ausgestiegen sind, zeigt er stolz seinen Schiffsführerschein, ausgestellt am 7. Juni 2016, Kategorie A. Krieg hat schon vieles gemacht, war Schuhfacharbeiter, Tischler, Möbelrestaurator. Zuletzt hat er als Elektroniker gearbeitet und Leiterplatten montiert. Nun ist das Wasser dran. Damit schließt sich für Mario Krieg auch ein Kreis. Sein Vater war Schiffer und hat früher die „Moritzburg“, die „Giebichenstein“ und die „Freiheit“ von Halle und Weißenfels aus über die Saale gesteuert.
Unter Mario Kriegs Fähre mischen sich beide Flüsse - von links die Saale, von rechts die Unstrut. 20 Meter flussaufwärts vollendet die Unstrut nach 192 km ihren Lauf. Auf einem weißen Schild links der Unstrut steht „Unstrutmündung 163,83 km“. Wie, das fragt sich da mancher Mündungsbesucher, der die Flusslänge mit 192 km im Kopf hat. Mario Krieg kann aufklären. Die 163,83 km sind von der Saale-Quelle aus gemessen, geben die Saale-Länge bis zum Zusammentreffen mit der Unstrut an. Warum das Schild so dicht am Unstrut- und nicht am Saaleufer steht, kann auch der Fährmann nicht aufklären. Wahrscheinlich ist irgendein Wasserstraßenparagraf schuld. Auf der gegenüberliegenden Seite vermeldet ein kleines Schild neben der großen Pappel: „Unstrut km 0,01“, noch zehn Meter. Da bekommt man amtlich bestätigt, was man ohnehin sieht - hier ist Schluss.
Von einer Bank aus, geschnitten aus einem mächtigen Baumstamm, kann man das Finale entspannt beobachten. Von hier schweift der Blick hinüber zu Weinbergen, die sich steil den Hang über eine Felskante hinaufziehen. Die Unstrut mündet mitten im Weinanbaugebiet Saale-Unstrut, dem nördlichsten Qualitätsanbaugebiet Europas, in die Saale. Die idyllische Lage, stille Wege und Wein machen die Mündung der Unstrut zur mit Abstand am meisten besuchten Flussmündung in Sachsen-Anhalt.
Zehntausende kommen jährlich hierher. Wandern, paddeln, fahren Rad oder Ausflugsschiff, rasten einfach nur unter dem Blätterdach von Manfred T. Schmidts „Gartenlokal zur Fähre“, wo weither gereiste Gäste die Speisekarte erst mal übersetzen müssen: „Däffdche Güche mid fille Fleesch“ für 13,50 Euro gibt es auf der rustikalen Speisekarte. Draußen vor dem Lokal steht ein altes Fährhaus. Die Hochwassermarkierungen lassen schaudern. Der oberste Strich ist mehr als mannshoch über dem Weg angebracht. Und runter bis zum Unstrutpegel sind es gut und gern noch mal drei Meter. Wie viele Mündungslandschaften ist auch die Unstrut-Mündung stark gefährdet bei Hochwasser.
Heinz Briese kann davon ein Lied singen. Der Pensionär hat seine Datsche von allen hier im Blütengrund am dichtesten an der Unstrutmündung. Draußen am Zaun hat der ehemalige Lehrer einen Zettel angeklebt, der vermeldet, wann es hier am schlimmsten war: „Hochwasser 3. 06. 2013“. Da habe das Wasser im Wohnzimmer 18 cm hoch gestanden in seinem Häuschen, das noch einige Stufen hoch über den Blumenbeeten davor steht.
Gleich nebenan hat Manfred T. Schmidt sein Haus, der Chef der „Saale-Unstrut-Schifffahrtsgesellschaft“. Die Unstrut-Mündung ist Schmidt-Land. Drei Schiffe betreibt der Unternehmer, die Fähre, das Gartenlokal. Seine Flotte würde jede Oldtimer-Parade schmücken. Auf 128 Jahre bringt es die „Fröhliche Dörte“. Die „Unstrutnixe“ schafft nur 108 Jahre, als junges Ding gilt die „Reblaus“, die hat 48 Jahre auf dem Buckel. Manchmal gibt es Anlässe, da lässt Schmidt alle drei gleichzeitig fahren, dann hat er Full House: 150 Passagiere zuckeln über Unstrut oder Saale.
Knapp vor der Mündung der Unstrut setzt die „Reblaus“ immer wieder mal auf, so flach kann es sein. Wie flach? Schmidt deutet Hüfthöhe an. Aber kein Problem, beruhigt er, da schramme der Stahlrumpf einfach drüber. Die Gäste bekämen das kaum mit, zudem ist oft viel los an Bord der Schmidt-Flotille. Der umtriebige Unternehmer bietet in einer 24-seitigen Broschüre Schiffstouren aller Art an, fährt Hochzeiten, verabschiedet Junggesellen, schippert Firmen-Feiern durchs Tal. Es wird an Bord gegessen, getrunken, getanzt, und wenn der Gast es wünscht, kann er auf der „Fröhlichen Dörte“ auch eine Striptease-Show buchen.
Wem das zu viel Remmidemmi ist, der findet wenige Minuten nach der Unstrut-Mündung viel Stille und viel Kunst. Hoch oben in den Weinbergen hat der Bildhauer und Maler Max Klinger gelebt, daran erinnern Museum und das sogenannte Radierhäuschen, in dem er oft arbeitete. Hier oben wurde er begraben, als er 1920 verstarb. Klinger wird zugeschrieben, dass er die Gegend an der Unstrutmündung besonders überschwänglich pries: „Hier ist es ja wie in der Toscana, bloß näher!“ Das dort wie hier der Weinbau Jahrhunderte alte Tradition hat, daran erinnert dicht bei der Mündung das 1722 entstandene „Steinerne Bilderbuch“, zwölf Meter hohe Sandsteinreliefs zur Geschichte des Weinbaus.
Der Unstrut-Mündung gegenüber erwartet ein Campingplatz Gäste. Der Blick auf die Kennzeichen verrät: Man kommt aus ganz Europa hierher. Natürlich nicht nur wegen der Unstrut-Mündung, der Naumburger Dom ist der Magnet Nummer eins. Gleich neben den Campern treffen sich die, die wegen der Unstrut hier sind, die Paddler, die Kanuten, die Schlauchbootfahrer. In Scharen kommen sie an schönen Tagen die Unstrut herunter, von Karsdorf, von Laucha oder Freyburg.
Das letzte Unstrut-Stück sind die Paddler ganz tief unten gefahren und haben wenig gesehen von der Weinberg-Landschaft oben. Wie durch einen Graben mit drei Meter hohen Steilwänden gleiten sie im Blütengrund der Mündung entgegen. Das tiefe Flussbett vor dem Schild „0,01 km“ erinnert auch ein wenig daran, dass sich hier urzeitliches Wasser vor 250 Millionen Jahren besonders tief in den Sand- und Kalkstein einer Landschaft gefressen hat, die heute als „Saale-Unstrut-Trias-Land“ Besucher auf eine geologische Spurensuche schickt.
Gleich nach dem Zusammenfluss der beiden Flüsse müssen sich Paddler und Kanuten mit Mario Kriegs Fähre arrangieren. Der wartet dann auch schon mal, bis ein, zwei Bootsrudel durch sind. Nur nicht zu lange, denn schnell schallt der harte Klang der Fährglocke zu ihm: Fährmann, hol über! Mehrfach am Tag schlagen Radler mit vollgepackten Rädern dort an. Sie sind unterwegs auf dem Unstrut-Radweg. Wer bei Mario Kriegs Fähranleger flussaufwärts startet, hat bis zur Quelle im Eichsfeld-Dorf Kefferhausen 192 Fluss-Kilometer vor sich. (mz)