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Insekten in Sachsen-Anhalt Fliegende Doppelgänger: „Die Tiere sind einer Hornisse durchaus ähnlich“

Sommerzeit ist Hornissenzeit. Ähnlich aussehend, aber harmlos sind die in Sachsen-Anhalt vorkommenden Hornissen- Glasflügler. Wie man sie unterscheiden kann – und was an der Insektenkunde fasziniert.

Von Robert Horvath Aktualisiert: 26.06.2024, 18:57
Einer Hornisse zum verwechseln ähnlich: der Hornissen-Glasflügler.
Einer Hornisse zum verwechseln ähnlich: der Hornissen-Glasflügler. (Foto: Steffen Schellhorn)

Auf Spaziergängen in der Natur Sachsen-Anhalts kann es dieser Tage durchaus vorkommen, dass aufmerksame Beobachter die ein oder andere Hornisse zu Gesicht bekommen. Oder aber ein Insekt, das ihr täuschen ähnlich sieht: So ist der Hornissen-Glasflügler beispielsweise auf den ersten Blick leicht mit ihr zu verwechseln.

Der Insektenkundler Hans-Joachim Händel, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für allgemeine und angewandte Entomologie sowie Vorsitzender des Entomologischen Vereins Halle, kennt die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Insekten: Der Hornissen-Glasflügler ist demnach in ganz Europa und somit auch in Sachsen-Anhalt verbreitet, so Händel. Er gehört zu den Schmetterlingen, ist tagaktiv und für gewöhnlich im Juni und Juli beim Flug zu beobachten.

„Die Tiere sind einer Hornisse durchaus ähnlich“, erklärt Händel. Daher könnten Laien beide Insekten auf den ersten Blick leicht miteinander verwechseln. Das betreffe besonders die Größe und die Färbung: „gelber Kopf, gelbes Vorderende des Hinterleibs, dann ein dunkler Abschnitt und schließlich ein großer, gelber Bereich, der mehr als die Hälfte des Hinterleibs misst und bis zum Ende reicht.“ Der Sinn dieser Nachahmung bestehe darin, „dass die Tiere einer anderen, gefährlichen Art ähneln und somit von Fressfeinden gemieden werden“, so Händel.

Der Hornissen-Glasflügler: ein Schwerfälliger Flieger

Doch zwischen beiden Tieren gibt es auch Unterschiede, wie der Insektenkundler deutlich macht. „Wenn man ein an einem Baum ruhendes Tier genau anschaut, kann man feststellen, dass die Flügel zwar größtenteils durchsichtig sind, aber der Flügelrand dunkel beschuppt ist.“ Bei Hornissen sind die Flügel komplett transparent. Und so ähnlich sich beide Insekten beim während des Fliegens erzeugten charakteristischen Brummtones sind, so sehr unterscheiden sie sich doch in ihren Flugkünsten. „Während Hornissen geschickte und schnelle Flieger sind, ist der Flug des Hornissen-Glasflüglers eher schwerfällig, langsam und leicht schwirrend.“

Der Hornissen-Glasflügler gehört zu den Schmetterlingen.
Der Hornissen-Glasflügler gehört zu den Schmetterlingen.
(Foto: Steffen Schellhorn)

Und noch eines unterscheidet den Hornissen-Glasflügler von der Hornisse: Das Insekt ist vollkommen ungefährlich, versichert Händel. „Sie besitzen keinen Stachel und sind nicht giftig.“ Anstatt auf sicheren Abstand zu gehen, könne man sich also an den schönen Tieren erfreuen. Denn obwohl die Art relativ häufig sei, bekomme man sie in der Stadt, im Garten oder auf dem Balkon nur selten zu Gesicht. So seien Hornissen-Glasflügler vor allem in sogenannten Weichholzauen zu Hause – „feuchte, möglichst sonnendurchflutete Gebiete mit genügend Pappeln, aber auch Haine und Alleen.“

Hornissen-Glasflügler besitzen keinen Stachel und sind nicht giftig.

Hans-Joachim Händel

Im Laufe seines Lebens durchläuft der Hornissen-Glasflügler eine Metamorphose, er verwandelt sich. Aus dem Ei, dass das Weibchen in die aufgesprungene Rinde einer Pappel legt, schlüpft nach etwa drei Wochen eine Raupe, erklärt Händel. Diese ernährt sich Gänge grabend vom Holz des Baumes, wächst, überwintert zweimal und verpuppt sich. „Anfang Juni, gelegentlich auch eher, schlüpfen dann die Falter aus der Puppe und gelangen durch ein vorgefertigtes Loch nach draußen.“

Drei Jahre Larve, drei Tage Schmetterling

Ab jetzt nehmen die erwachsenen Hornissen-Glasflügler keine Nahrung mehr auf. Im Gegensatz zu den meisten anderen Schmetterlingen, die sich mit „einem hoch spezialisierten Saugrüssel“ von Nektar ernähren, haben sie „einen verkümmerten Rüssel“, besuchen keine Blüten und „leben von den Energiereserven, die sie sich als Raupen angefressen haben“, so Händel. Und dieses Leben dauert von nun an nicht mehr allzu lang. „Kurz nach dem Schlupf aus der Puppe paaren sich die Falter. Die Männchen sterben bald danach.“ Sie haben eine Lebenserwartung von zwei bis fünf Tagen. Das Weibchen, das die Eier legt, lebt etwas länger: etwa zwei bis drei Wochen.

Steffen Schellhorn hat es geschafft, den Hornissen-Glasflügler in dieser verhältnismäßig kurzen Lebensphase abzulichten. Neben seiner Tätigkeit als professioneller Fotograf, unter anderem für die MZ, widmet sich der 62-Jährige in seiner Freizeit einer anderen Leidenschaft: der Insektenkunde. Bereits als Kind ist er viel in der Natur unterwegs und beginnt sich für Insekten zu interessieren. Obwohl ihn alle Insekten faszinieren, fokussiert er seine Aufmerksamkeit bald auf die zweitgrößte Insektengruppe nach den Käfern: auf Schmetterlinge, wie auch der Hornissen-Glasflügler einer ist. Doch was begeistert ihn an den Tieren? „Die verschiedenen Größen, die Formen- und Farbenvielfalt und dass es sie auf allen Kontinenten außer der Antarktika gibt“, so Schellhorn.

Weltweit gibt es noch viele unentdeckte Arten

Seine Eltern erkannten die Passion früh und schicken ihn 1977 zum Kulturbund der DDR, in die Fachgruppe Entomologie – zur Insektenkunde. Dort kommt er mit Gleichgesinnten ins Gespräch, tauscht sich aus, nimmt an Leuchtabenden teil. „Viele Nachtfalter haben die Eigenschaft, dass sie gern zum Licht fliegen.“ Sich diese Eigenart zunutze machend, wurden nachtfliegende Schmetterlinge angelockt, gefangen und gesammelt. Ziel einer solchen Sammlung sei es, mindestens ein Pärchen einer Art, also ein Weibchen und ein Männchen zu ergattern. Als sich der Kulturbund mit der Wiedervereinigung auflöst, gehört Schellhorn zu den 16 Gründungsmitgliedern, die im Dezember 1990 den Entomologischen Verein zu Halle ins Leben rufen.

Auch andere  Glasflügler sind derzeit in Sachsen-Anhalt zu finden, wie  etwa  der   Zypressenwolfsmilch-Glasflügler, der bei Nienburg aufgenommen wurde.
Auch andere Glasflügler sind derzeit in Sachsen-Anhalt zu finden, wie etwa der Zypressenwolfsmilch-Glasflügler, der bei Nienburg aufgenommen wurde.
(Foto: Steffen Schellhorn)

Der Leidenschaft bis heute treu geblieben, unternimmt der 62-Jährige mit Kollegen seit vielen Jahren Sammelreisen und Expeditionen. „Es gibt noch viele unentdeckte Arten“, erklärt Schellhorn. So zum Beispiel in Afrika, in Australien oder im Amazonas. Ihm selbst seien Neuentdeckungen „in naturnahen Biotopen“ in Jordanien, Südafrika und Kenia bereits gelungen. Das Wichtigste an seiner Arbeit sei für ihn „die Erfassung von Arten und Daten“ für die Nachwelt.

Mimikry: In der Biologie spricht man von Mimikry, wenn Tiere und Pflanzen das Aussehen, den Geruch oder die Geräusche anderer Lebewesen nachahmen. Mit dem Kopieren eines oder mehrere dieser Signale verfolgt der Nachahmer das Ziel andere Lebewesen zu täuschen. Entweder, um diese anzulocken (Nahrungssuche) oder um sich vor Fressfeinden zu schützen. Damit das gelingt, imitiert das harmlose Lebewesen gefährliche Tiere oder giftige Pflanzen.