Enteignung in der DDR Enteignung in der DDR: Aufarbeitung des DDR-Unrechts ist noch nicht geschafft

Halle (Saale) - Dieses Dokument, maschinengetippt am 25. Juni 1991 in Halle, hat historischen Wert. In jener Akte, die heute in grüner Pappe im Landesverwaltungsamt lagert, geht es um die Südharzer Käserei GmbH in Breitungen (Mansfeld-Südharz). Das Papier war damals eine Premiere. Erstmals überträgt das junge Bundesland Sachsen-Anhalt ein Unternehmen, das einst zu Unrecht enteignet wurde, zurück an seine rechtmäßige Besitzer. Es wird nicht bei einer Akte bleiben: Ab diesem Tag werden tausende weitere Fälle folgen - eine Welle der Rückübertragung von Eigentum, das einst zu Unrecht vom Staat genommen wurde.
Die Verwaltung im jungen Sachsen-Anhalt wollte so nicht nur das Unrecht der DDR-Herrschaft aufarbeiten - auch zur Zeit der sowjetischen Besatzungszone von 1945 bis 1949 und in Nazi-Deutschland gab es viele Enteignungen von Immobilien, Unternehmen und sonstigem Eigentum. Auch dieser Fälle nahm sich die Verwaltung an. 30 Jahre nach dem Mauerfall schaut Sachsen-Anhalt deshalb auch auf 30 Jahre Entschädigungspolitik zurück. „Es gab viel Unrecht aufzuarbeiten und gutzumachen“, sagt Thomas Pleye, Chef des Landesverwaltungsamts.
30 Jahre Entschädigung - bis heute sind Fälle offen
Was kaum jemand weiß: Pleyes Behörde hat heute, kurz vor dem 30. Jahrestag des Mauerfalls, immer noch strittige Vermögensfälle auf dem Schreibtisch - oft geht es um langwierige Gerichtsverfahren über enteignete Vermögen oder um die Frage, wer denn nun legitimer Erbe eines Grundstücks oder Unternehmens ist.
Zum Jahrestag der Wende hat das Landesverwaltungsamt nun Bilanz zum Komplex „offenen Vermögensfragen“ gezogen - es sind schwindelerregende Zahlen, die den radikalen Umbruch nach 1990 illustrieren. Allein in Immobilien-Fragen bearbeiteten die Landesbehörden bis heute mehr als 430.000 Fälle, offen sind aktuell noch 120. Ein Blick in die Details zeigt zudem, wie hart der Kampf ums Vermögen nach der Wende geführt wurde. Knapp ein Drittel der Anträge endete mit einer Rückübertragung der Immobile, fast die Hälfte der Anträge lehnte die Behörden aber ab.
Die meisten Unternehmensfälle sind inzwischen geklärt
Ähnlich ist die Quote bei den gut 11.000 betroffenen Unternehmen: Knapp die Hälfte übertrug der Staat rechtmäßigen Inhabern wieder zurück, allerdings scheiterten 41 Prozent der Anträge. In zwölf Prozent der Fälle gab es statt einer Rückübertragung Entschädigungszahlungen - seit 1991 insgesamt 380 Millionen Euro, so Pleye. Das Geld kam aus einem Sonderfonds des Bundes. „Lediglich zwei Unternehmensfälle sind noch offen“, bilanziert Pleye.
Zahlreiche Firmen aus Sachsen-Anhalt, die nach 1990 reprivatisiert wurden, sind heute regionale Größen. Etwa das Back-Unternehmen Kathi aus Halle, Vetter-Touristik aus Zörbig (Anhalt-Bitterfeld) oder Leißlinger Mineralbrunnen aus Weißenfels (Burgenlandkreis), das heute unter Mitteldeutsche Erfrischungsgetränke firmiert.
Die Geschichte des Umbruchs hat das Landesverwaltungsamt in Halle jetzt in einer Ausstellung aufgearbeitet. Darin wird etwa das Schicksal jüdischer Unternehmer beleuchtet, oder aber die des Volksparks in Halle: Das Haus im SPD-Besitz gehörte nach dem Verbot der Partei 1933 unter Hitler zum enteigneten Vermögen der Sozialdemokraten. Erst 1995 entschieden Behörden: Das Haus wird der Partei rückübertragen.
Einer, der damals dicht dran war und sich „Zeitzeuge“ nennt, ist heute Chef der Staatskanzlei. Rainer Robra (CDU) war 1990 Justizstaatssekretär, überwachte auf dem Posten die Aufarbeitung. „Heftig umstritten“ seien die Vermögensfragen gewesen, sagt er - und je nachdem, wen man fragt, ist das durchaus bis heute noch so. „Am liebsten hätten einige all diese Verfahren in drei Jahren erledigt“, so Robra. Utopisch aus heutiger Sicht. Aber: „Ich habe den Eindruck, dass das mit hoher Akzeptanz verwaltet wurde.“
Zeitweise 800 Mitarbeiter - heute noch 14 Experten
Die junge Verwaltung kämpfte jedenfalls mit Mann und Maus gegen sich stapelnden Aktenberge an, die sich im neugegründeten „Landesamt zur Regelung offener Vermögensfrage“ türmten. Gestartet mit zehn Mitarbeitern, arbeiteten zu Hochzeiten in ganz Sachsen-Anhalt mehr als 800 Verwaltungskräfte an den Akten.
„Da ging Schnelligkeit vor Schönheit“, sagt heute Annekatrin Preuße, wenn sie Akten wie jene zur Südharzer Käserei GmbH rausholt. Preuße ist heute Abteilungsleiterin im Landesverwaltungsamt, bearbeitet seit drei Jahrzehnten solche Fälle. Mittlerweile gibt es noch 14 Mitarbeiter für Vermögensfragen. Der Deckel ist noch nicht ganz zu. (mz)