AOK AOK: Chef über Kritik an Kasse, die Klagen von Physiotherapeuten und die GroKo

Halle (Saale) - Die AOK Sachsen-Anhalt ist vermögend. 2016 hatte keine andere Kasse Deutschlands höhere Rücklagen pro Versicherten - nämlich etwa 340 Euro. Sie ruht sich auf einem Finanzpolster von etwas 512 Millionen Euro aus. Vom Gesetz her erlaubt wäre das eineinhalbfache einer Monatsausgabe - also etwa 363 Millionen Euro. Leistungserbringer wie Physiotherapeuten oder Pflegekräfte klagen derweil über eine schlechte Vergütung durch die Kasse. Darüber sprach Bärbel Böttcher mit AOK-Vorstand Ralf Dralle.
Herr Dralle, wie fühlt es sich an, Chef einer der reichsten Krankenkassen Deutschlands zu sein?
Ralf Dralle: Wir sind im Moment in einer guten finanziellen Situation. Keine Frage. Wir haben aber auch komplett andere Zeiten hinter uns. Wir sehen unsere Aufgabe jetzt primär darin, die gute Lage zu nutzen, unseren Versicherten und den Arbeitgebern, deren Mitarbeiter bei uns versichert sind, Vorteile zu gewähren. Dazu gehört ein günstiger Beitragssatz genauso wie ein gutes Leistungsangebot. Beispielsweise ist die betriebliche Gesundheitsförderung ein großes Thema.
Und was ist mit Leistungserbringern? Nach den Physiotherapeuten beklagt der Verband Deutscher Alten- und Behindertenhilfe (VDAB) im Namen privater Pflegedienste eine zu geringe Vergütung durch die AOK. Warum halten Sie die Schatulle so fest zu?
Dazu kann ich nur sagen, dass der VDAB, der sich jetzt beklagt, erst im Dezember den miteinander verhandelten Vertrag unterschrieben hat. Übrigens - auch andere Kassen zahlen nicht mehr. Die Vergütung der Leistungen in der häuslichen Krankenpflege (HKP), um die es hier geht, ist für 82 Prozent der Versicherten, die HKP erhalten, gleich, egal ob sie bei der AOK, der IKK, einer Ersatz- oder Betriebskrankenkasse abgerechnet werden. Die höhere Vergütung, welche der Verband der Ersatzkassen (Vdek) an die privaten Pflegedienste zahlt, betrifft nur 18 Prozent. Und nach unserer Kenntnis strebt der Vdek eine niedrigere Vergütung an und hat dagegen geklagt.
Fakt ist, dass die Vergütungen, beispielsweise 4,42 für Insulinspritzen, recht niedrig sind.
Die Vergütung addiert sich aus mehreren Komponenten. Die Insulingabe ist nur ein Teil, hinzu kommt beispielsweise noch die Einsatzpauschale. Die Preise beruhen auf Schiedsverfahren aus den Jahren 2014 und 2015. Auf dieser Grundlage wurden die aktuellen Verträge verhandelt. Und auch von allen Verbänden akzeptiert. In den letzten Jahren stiegen die Vergütungen hier um zirka 20 Prozent.
Mit den Physiotherapeuten werden sie sich aber nicht einig. Sind denn da höhere Vergütungen drin?
Es gibt gesetzliche Regelungen, nach denen die Preise festgelegt werden. Daran halten wir uns. Nehmen wir die häufigste physiotherapeutische Leistung: die Krankengymnastik. Dafür zahlen wir seit 2016 14,72 Euro. Für 2017 und 2018 haben wir Erhöhungen angeboten.
Physiotherapeuten: Kommen Erhöhungen bei Angestellten nicht an?
Und warum kommen die Verhandlungen nicht voran?
Die Physiotherapeuten fordern mehr Geld immer mit dem Argument, dass sie ihre Angestellten besser bezahlen möchten. Wir wissen aber aus vielen Gesprächen mit eben diesen, dass bisherige Erhöhungen bei ihnen nicht angekommen sind. Deshalb sagen wir den Verhandlungsführern jetzt: Wenn ihr wollt, dass wir mehr zahlen als gesetzlich vorgeschrieben ist, dann fordern wir im Gegenzug eine belastbare Zusage, dass davon die Beschäftigten profitieren. Eine derartige Zusage erhalten wir von den Verbänden der Physiotherapeuten nicht. Und an dieser Stelle haben sich die Gespräche verhakt.
Verbände, egal ob sie Physiotherapeuten oder Pflegedienste vertreten, sehen durch die Preispolitik mittelfristig die Versorgung gefährdet. Beunruhigt Sie das nicht?
Ich sehe das nicht. Die Zahl der Physiotherapie-Praxen hat sich von 2006 bis 2017 fast verdoppelt - von 656 auf 1 295. Es gibt mehr als 600 Pflegedienste im Land, etwa 150 mehr als noch 2014. Was ich sehe ist ein wachsender Markt in einem zwar alternden, aber doch zahlenmäßig stagnierenden Land.
Die Finanzreserven der AOK Sachsen-Anhalt sind größer als es das Gesetz erlaubt. Sie dürften das Eineinhalbfache einer Monatsausgabe nicht überschreiten. Die AOK liegt weit darüber. Könnte damit nicht eine bessere Vergütung von Leistungen finanziert werden?
Was ist denn in zwei, drei Jahren? Die Vergütungsstrukturen, die wir heute aufbauen, muss man sich dann noch leisten können.
Was passiert bei der AOK mit den Überschüssen?
Aber die Überschüsse sind da. Was passiert mit ihnen?
Unsere Finanzen haben sich, wie ich schon sagte, gut entwickelt. Bereits im nächsten Jahr rechnen wir aber in unserem Haushalt mit einer Unterdeckung. Um den Beitrag für unsere Versicherten stabil halten zu können, werden wir die Rücklagen einsetzen.
Wieso plötzlich Unterdeckung oder im Klartext: ein Minus?
Grundsätzlich steigen in der Gesetzlichen Krankenversicherung Ausgaben schneller als Einnahmen. Dieser Effekt war aus verschiedenen Gründen in den vergangenen drei Jahren in der gesamten GKV geringer. Außerdem wurden im neuen Koalitionsvertrag teure Leistungen etwa im Krankenhausbereich oder in der Pflege beschlossen, die uns viel Geld kosten und die GKV in Milliardenhöhe belasten werden.
(mz)