Von der BSG zum TSV Von der BSG zum TSV: So erlebten Sportvereine im Saalekreis die Wendezeit

Merseburg - Stahl, Chemie und HO - der DDR-Sport war bekannt für so manchen markanten Vereinsnamen. Mit dem politischen Umbruch gingen diese jedoch verloren: Aus der BSG Chemie Buna Schkopau wurde beispielsweise der SV Merseburg 99, aus der BSG Stahl der VfB Imo und die Betriebssportgemeinschaft der Handelsorganisation (HO) ist heute als TSV 1990 Merseburg bekannt. Letzterer Verein, der vor allem für seine Tischtennisabteilung bekannt ist, trägt die Wende sogar in seinem Namen.
Die über Jahrzehnte gefestigten Sportstrukturen der DDR wurden mit der Wiedervereinigung fast komplett verändert. Aus den Betriebssportgemeinschaften wurden wieder bürgerliche Vereine. Mit dem Verlust der ehemaligen volkseigenen Betriebe als wichtigste Förderer brachen entscheidende finanzielle Stützen weg. Und die neu gewählten Vorstände der Vereine mussten mühsam erlernen, was Vereinsrecht, Sponsorenakquise und Betriebswirtschaft angeht.
„Die Wende machte vor unserem Sportverein nicht Halt“
„Die Wende machte vor unserem Sportverein nicht Halt, so dass wir uns durch die Abwicklung der HO Merseburg anderweitig orientieren mussten“, blickt Klaus Ködel, heute Zweiter Vorsitzender des TSV 1990 Merseburg, auf die wohl schwierigste Phase der Vereinsgeschichte zurück. 1978 gegründet, landete die BSG HO schnell sportliche Erfolge.
Spieler wie Bernd Schmidt und Günther Ulrich, aber auch Ködel selbst, brachten den Verein, in dem als Breitensport auch Volleyball und Fußball angeboten wurden, nach vorn. „Von 1981 bis 1990 waren wir Ausrichter des stärksten Vereinsturniers der DDR, bei dem immer alle Spitzenspieler mit am Start waren“, erinnert sich Ködel stolz.
Mitten auf dem Höhepunkt des Erfolgs kommt der politische Umbruch
Doch mitten auf dem Höhepunkt des Erfolgs kommt der politische Umbruch. Der Verein steht vor einer mehr als ungewissen Zukunft. „Hat die Betriebsleitung der HO den Verein bis zur Wende großzügig unterstützt, hieß es nach der Wende kräftig Klinkenputzen gehen“, meint Ködel.
„Da man aber genügend Tischtennis-Verrückte hatte, die sich zum ,Betteln‘ nicht zu schade waren, schaffte man es, in den ersten beiden Jahren den Verein aufrecht zu erhalten.“ Es gelang schließlich kontinuierlich Sponsoren zu gewinnen. „Auch wenn man öfters Fragen nach Mitgliedern mit Stasi-Vergangenheit beantworten musste“, sagt der Zweite Vorsitzende des TSV 1990.
„Uns war stets klar, dass wir im Verein nicht ohne ,Aufpasser‘ waren“
Tatsächlich gab es diese auch bei der BSG HO. „Uns war stets klar, dass wir im Verein nicht ohne ,Aufpasser‘ waren“, sagt Ködel. Gewissheit darüber hätte es aber erst drei Jahre nach der Wiedervereinigung gegeben. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich die ehemaligen Stasi-Spitzel aber von sich aus aus dem Verein zurückgezogen.
Nachteile durch deren Verwicklung im Verein hätte man laut Ködel bewusst nicht erfahren. Im Gegenteil: „Wenn wir aufgrund von Spielen in Interhotels übernachtet haben, haben wir auch kurzfristig Zimmer bekommen.“ Gedanken darüber, wieso eigentlich, hätte man sich zu DDR-Zeiten nicht gemacht.
Was ist bei der Gründung eines Vereins zu beachten?
Doch nicht nur die Vereine selbst, sondern auch deren Massenorganisation, der Deutsche Turn- und Sportbund (DTSB), blickten in eine ungewisse Zukunft. Als im Frühjahr 1990 der Kreissportbund in Merseburg gegründet wurde, war Roland Schwarz hautnah mit dabei. „Beim Besuch meiner Tante in Aschaffenburg, habe ich sofort Kontakt mit dem Sportbund der Partnerstadt Bottrop aufgenommen“, erinnert er sich an die damalige Zeit.
Mit dem Fall der Mauer war auch den Sportfunktionären unklar, welche Herausforderungen da genau auf sie zukommen. Was ist bei der Gründung eines Vereins zu beachten? Wie sehen zukunftssichere Strukturen aus? Fragen, die man in Merseburg dank der bereits engen Kontakte zum Pendant im Westen schnell klären konnte. Denn in Bottrop wollte man so gut es geht, bei der sportlichen Wende helfen.
Beratungen, Erfahrungsaustausche und Delegationsbesuche
„Ich weiß noch genau, wie wir schon vom 5. bis 7. Januar 1990 eine Delegation in Merseburg empfangen hatten“, erzählt Schwarz. Der hochrangige Besuch sollte im Dessauer Hof, damals das einzige Hotel am Platz, unterkommen. „Kurz vor der Ankunft rief mich der Hotelchef an und sagte, dass die Heizung ausgefallen wäre und er niemandem Zimmer anbieten könne.“ Der Besuch kam trotzdem und ließ sich von den Minusgraden nicht aus der Bahn werfen.
Bis Ende 1990 folgten Beratungen, Erfahrungsaustausche und Delegationsbesuche. „Der Kreissportbund war in der Anfangszeit wirklich eine Sportberatung, und er half den Vereinen, wo es nur ging“, meint Schwarz. Immer wieder holte sich der Sportbund Tipps bei den Sportfreunden in Bottrop. Die Partnerstadt selbst sagte der Stadt Merseburg sogar eine finanzielle Unterstützung von bis zu 40 000 D-Mark zu, damit die heute nicht mehr existente Turnhalle am Eulenturm in Merseburg für den Behindertensport genutzt werden kann.
„Schon 1993 hatten wir wieder ein Tischtennisturnier mit Spitzenspielern ins Leben gerufen“
Viele Vereine überlebten die gewaltigen strukturellen Veränderungen. Vereine, wie der heutige TSV 1990. „Schon 1993 hatten wir wieder ein Tischtennisturnier mit Spitzenspielern ins Leben gerufen“, erinnert sich Klaus Ködel. Wenige Tage danach hätten sich auf einen Schlag zwölf Kinder zum Training angemeldet.
Apropos Kinder: Mit Ködels Tochter Mandy hat der Verein in den Folgejahren eine echte Spitzenathletin aufgebaut. Und der TSV spielte zwischenzeitlich sogar 2. Bundesliga. Ein riesiger Erfolg - trotz oder wegen der Wende im Jahr 1989? (mz)