Kitas verweigern Notfall-Hilfe Kitas in Landsberg verweigern Notfall-Hilfe: Eltern verzweifelt: "Die Kinder können sterben!"

Landsberg - Wenn die fünfjährige Tochter von Nicole Nagorny auch nur eine Erdnuss isst, schwillt ihr Hals an, sie bekommt erst Schluck- und dann Atembeschwerden. Die kleine Landsbergerin reagiert allergisch auf die Hülsenfrüchte und hat deshalb immer eine Notfall-Tasche mit Medikamenten wie Tropfen und einer Spritze dabei - fast immer.
Denn in der Kita „Wirbelwind“ im Ortsteil Gütz weigert man sich seit Kurzem, die Notfallmedikamente im Fall des Falles zu geben. Auch andere Einrichtungen sind betroffen und wollen Kindern im Notfall keine Medikamente mehr verabreichen.
Landsberger Verwaltung verbietet Erziehern medizinische Notfallhilfe
„Ich habe Angst um meine Tochter“, sagt Nagorny, die den Namen ihres Kindes nicht in der Zeitung lesen will. Ende Mai habe sie ein Schreiben und den sogenannten Notfall-Pen, eine Spritze, die auslöst, sobald man einen Knopf drückt, von einer Erzieherin zurückbekommen. Bei dem Schreiben handelt es sich um eine Mail der Verwaltung an sämtliche städtische Kindergärten.
Der Inhalt ist eindeutig: Gemäß einer neuen Satzung würden Arzneimittel ab sofort nicht mehr verabreicht, denn Erzieher seien pädagogische und keine medizinischen Fachkräfte, heißt es darin. Eine Anwältin habe der Verwaltung mitgeteilt, dass im Notfall nur das geleistet werden müsse, was in einer normalen Ersthelferausbildung gelehrt werde, also keine Medikamentengabe.
Den Erziehern wird sogar gedroht: „Sollte ein Erzieher trotz unseres Hinweises im Notfall ein Notfallmedikament geben und dabei ein Fehler passieren, haftet dieser privatrechtlich.“
Erzieher bekamen sogar Schulung über die lebenrettende Spritze
Nagornys Anwalt Jens Stiehler, den sie inzwischen eingeschaltet hat, kann darüber nur den Kopf schütteln. Selbst die Unfallkasse habe festgelegt, dass jeder die Hilfe zu leisten hat, zu der er in der Lage ist. „Die Erzieher wissen alle um die Allergie der Tochter meiner Mandantin und sie wissen auch, was sie für Medikamente geben müssen“, sagt er.
In der Tat haben alle Erzieher Nagorny zufolge vor einem Jahr sogar eine Schulung von einer Kinderärztin für den Notfall-Pen bekommen. Der sei davon abgesehen idiotensicher. „Man kann da auch nichts falsch dosieren, das ist auf die Altersklasse abgestimmt“, sagt sie.
Streit um Notfall-Spritze: Mutter aus Landsberg zog vor Gericht
Weil sich die Kita-Leiterin dennoch weigerte, die Spritze zurückzunehmen, zog die 35-Jährige vor Gericht. Sie legte Widerspruch gegen die Entscheidung von Kita und Stadt ein und verlangte, dass die Notfallmedikamente erst einmal gegeben werden müssen, bis in der Hauptsache entschieden ist.
Das Gericht entschied für Nagorny, so dass die Medikamente bis zur Klärung des restlichen Verfahrens gegeben werden müssen. Und auch sonst stehen die Chancen für die Mutter gut: In seiner Urteilsbegründung formulierte das Gericht, dass sich die Stadt mit ihrer Anweisung an die Erzieherinnen auf dünnem Eis bewegt. Die Erzieher würden eben nicht Gefahr laufen, wenn sie Erste Hilfe leisteten und einen Fehler machten, sondern wenn sie keine Hilfe leisten würden. Dann komme der Straftatbestand einer unterlassenen Hilfeleistung in Betracht, argumentiert Rechtsanwalt Stiehler.
Andere Eltern haben ähnliche Probleme: „Die Kinder können sterben!“
Bei ihm haben sich inzwischen auch zwei andere Eltern mit ähnlichen Problemen gemeldet. Von mindestens zwei anderen betroffenen Familien weiß auch Nicole Nagorny. Eine davon: Judith Karl, deren dreijähriger Sohn in eine Kita in Reußen geht. Er hat eine Hühnereiweiß-Allergie und ebenfalls Notfall-Medikamente. „Die Leiterin hat mir schon gesagt, dass sie auch mir die Medikamente wiedergeben wird“, sagt Karl. „Dabei geht es um Minuten. Die Kinder können sterben!“
Landsberger Bürgermeister verweist auf Ministerium
Auf Anfrage der MZ bestätigt Landsbergs derzeitiger Bürgermeister, Kurt-Jürgen Zander (SPD), dass es eine „derzeit rechtlich ungeklärte Situation bei Notfallmedikamenten“ gibt. „Hier ist es der Stadt trotz Bemühung nicht gelungen von übergeordneten Stellen eine entsprechende Handreichung zu bekommen. Eine klare Rechtsauskunft durch die angefragte Aufsichtsbehörde haben wir nicht erhalten.“
Problematisch sei die Frage der Haftung, wenn ein Erzieher einen Fehler bei der Medikamentengabe machen würde. Im Fall Nagorny sollten Erzieher ja sogar zwischen drei Medikamenten, die sie geben können, entscheiden. Das könne aber nur ein Arzt, meint Zander. Er fordert daher eine Entscheidung des zuständigen Ministeriums. (mz)